#Kabarettgate
Diesmal geht es nicht um umweltsauende Rentner, sondern um Antisemitismus und Transphobie. Drum hat das etwas gedauert mit der Empörung. Gut anderthalb Jahre sind vergangen seit einer Ausgabe der WDR-Sendung Mitternachtsspitzen. In der hat die Kabarettistin Lisa Eckhart antisemitische Muster bedient und transfeindliche Äußerungen gemacht. Viele finden das umöglich, zum Beispiel die Jüdische Allgemeine. Eckhart-Verteidiger sagen, ganz in Eckharts Duktus: Stellt euch nicht so an. Ist doch Satire.
Daran muss ich denken, seit ich mich intensiver mit dem ganzen Comedykram Der WDR teilt mit, Eckhart habe „Vorurteile gegenüber Juden, People of Color, Homosexuellen, Transgendern und Menschen mit Behinderungen aufgegriffen, um [sie] schonungslos zu entlarven“. Das ist trickreich: Vorurteile und Beleidigungen entlarven, indem man sie selber macht. Das Entlarven sollte dann aber nicht einfach behauptet werden. Es muss dann schon noch etwas kommen. Irgendwas.
Eckhart bleibt da stehen, wo ihre Arbeit, will sie lustig und nicht nur Provokation sein, eigentlich erst anfangen würde. Dann müsste sie sich eine Position der Schwäche suchen, sich mit Fehlern nahbarer machen. Solange sie aber die kühle Kommentatorin gibt, an der alles abperlt, bleibt von ihren Auftritten (übrigens ähnlich wie bei Dieter N.) am Ende nur das bloße Nach-unten-Treten stehen.
Neu bei Setup/Punchline
Im Podcast sprechen Comedians über eines ihrer Bits. Seit dem letzten Newsletter sind zwei neue Folgen erschienen: eine mit Henning Wechsler und einem Bit über seine tindernde Mutter. Und eine mit Ingrid Wenzel, die über ihre Erfahrungen als DJane in der Provinz spricht. (Nachdem nun Erika, Henning und Ingrid im Podcast waren, suche ich dringend nach Comedians, die Wolfgang, Hannelore, Karl-Heinz oder Hildegard heißen. Tipps werden dankbar angenommen.) Außerdem gibt’s die Buchrezension eines absoluten Comedy-Klassikers, nämlichThe Comic Toolbox von John Vorhaus oder Handwerk Humor, wie die deutsche Ausgabe heißt. Vielleicht der berühmteste Schreibratgeber in dem Segment. |
Comedy-News
- Jerry Seinfeld hat ein neues Special mit dem Titel 23 Hours to Kill auf Netflix veröffentlicht. Seinfeld hat das Bild von Stand-up-Comedy mit seiner typischen observational comedy über die Jahrzehnte geprägt. („What’s the deal with…?“) Ich war erstaunt, dass es erst Seinfelds viertes Special ist. Der Guardian findet’s gut, Vulture findet’s Vulture-typisch gut und schlecht zugleich. Der Comedian Cristian Dragos macht auf Youtube eine statistische Analyse. (Übrigens hat Seinfeld das Ende seiner Interview-Serie Comedians in Cars Getting Coffee angekündigt.)
- Der Schauspieler Sam Lloyd ist gestorben. Bekannt ist Lloyd vor allem für seine Rolle des schwitzigen Krankenhausanwalts Ted Buckland aus Scrubs. Kurz vor seinem Tod ließ er noch ein Video von sich im Krankenhaus aufnehmen, in dem er sagt: „If you’re looking for a talented character actor, I’m right here!“
- Der Comedian Vince Ebert (bekannt u.a. aus Wissen vor acht im Ersten) hat zur Comedy-Fortbildung ein Jahr in New York verbracht und festgestellt, wie hart das Leben dort ist. Anders hier: „Von der Comedy zu leben, ist in Deutschland sehr einfach“, sagt Ebert. Hier geht es zum interessanten kleinen Artikel in der Stuttgarter Zeitung. Ebert schreibt übrigens ein Buch über den Aufenthalt. Allerdings, und das ist nun sehr deutsch, wird nicht Comedy im Fokus stehen, obwohl er ja nun sehr viel über Comedy sagen könnte. Der Titel: Broadway statt Jakobsweg: Mein Anti-Entschleunigungsjahr in New York.
- Die zweite Staffel von Ricky Gervais‚ After Life ist gestartet. Das SZ-Magazin hat zu diesem Anlass ein Interview mit dem Comedian und Produzenten geführt. (€) Hängen geblieben ist bei mir, dass Gervais Thomas Bernhard nicht kennt (ohne Wertung, es ist halt hängen geblieben). Und die merkwürdige Charakterisierung des Jahrs 2017 als „Höhepunkt der allgemeinen Political Correctness„: „Alle haben versucht, einander vorzuschreiben, was sie zu sagen und zu denken haben. Eine Phase der totalen Beschränkung.“ In Zeiten, in denen Comedians mehr sagen können als jemals zuvor, finde ich das Eindreschen auf die angeblich unterdrückende PC-Kultur immer etwas albern. (Nicht das gute Albern.)
- Ältere Damen, die lustig sind und über Sex sprechen? Gibt es bis heute in Film und Fernsehen selten. Umso wichtiger ist die Serie Golden Girls anzusehen. Der Guardian hat eine Einordnung, weil die Serie gerade wieder im britischen TV wiederholt wird.
- Der Guardian hat euch ein Interview-Porträt von Laurie Nunn, der Schöpferin der großartigen (und modernen) Serie Sex Education.
- Ein offizielles Bootleg von Lenny Bruce wird neu veröffentlicht, also ein nicht aufpolierter (und normalerweise illegaler) Mitschnitt.
Hör-Tipp: How to Handle Rejection
Der Comedian John Field schreibt auf Medium: Menschen können von Comedians lernen, wie man besser mit Abfuhren und Zurückweisung umgeht. Denn Comedians machen das täglich dutzendfach durch. Wärmste Empfehlung. Unter anderem wegen des Satzes Rejection doesn’t mean the other people suck.
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