Stand-up-Comedy ist knifflig. Was einmal zündet, funktioniert höchstwahrscheinlich nicht wieder, und auch beim geschliffensten Joke bleibt ein Restzweifel: Wird das Publikum lachen oder nicht? Im Grunde weiß doch niemand, wie man verlässlich einen guten Witz schreibt.
Einfacher dagegen ist: einen schlechten Witz schreiben – und sich dann wie ein Mechaniker drunter legen. Wo hakts, wo klemmts, wo sind Teile verrostet? Oder hat man es mit einem Totalschaden zu tun, bei dem nichts mehr hilft? Diese Liste will ein paar Anregungen geben und bei der Selbstbefragung helfen, warum der Witz letztens auf der Bühne schiefging.
MENTALITÄT UND ATTITÜDE
- Bist du gerade nicht gerne auf der Show? Ist das Publikum vielleicht nicht gerne da? Gibt es irgendeine Störung?
- Hast du Angst? Hast du Grund, Angst zu haben? Warum nicht?
- Ist deine Erzählhaltung überzeugend? Kann ich mich als Zuschauer:in darauf einlassen? Oder wirkst du bitter und unsympathisch?
- Willst du klug, interessant oder sexy rüberkommen, anstatt witzig zu sein? Don’t be a comedian, be a person. (Zum Beispiel auch die Person, die nur zusammenhangslos alberne Witze erzählt.)
- Strahlst du Bitter- oder Traurigkeit aus, die nicht aufgehoben werden? Ja, die Welt ist schlecht, aber wollen wir das wirklich sieben Minuten vorgeführt bekommen? (Geschweige denn sieben, zwölf oder dreißig.) Und Zyniker sind wir selbst schon.
- “Das mach’ ich auf der Bühne dann spontan” – Verlässt du dich zu sehr auf den Zufall? Du musst den Lacher auslösen, nicht darauf hoffen, dass sich das schon irgendwie geben wird. Ein wahrer Comedy-Architekt kann alles lustig machen.
- Hast du lange genug am Witz gearbeitet? Seinfeld soll jeden Tag drei bis fünf Stunden schreiben. Warum sollte es bei dir schneller gehen?
PERSÖNLICHKEIT
- Hast du eine greifbare, glaubhafte Bühnenpersönlichkeit? Kannst du sie in zwei Sätzen beschreiben? Was will sie? Was tut sie, um ihr Ziel zu erreichen? Was für Mist baut sie?
- Hast du ein komisches Koordinatensystem? Gibt es einen für dich typischen Witz? Wärst du imitierbar? (Aber nicht zu sehr!) Hast du eine Stimme?
- Versteht das Publikum die Persönlichkeit? Kennt es dich? Verstehen und Kennen heißt nicht, dass du vorhersehbar bist. Wenn das Publikum dich versteht, versteht es auch deine Witze besser. Hängst du dich zu sehr am Witz auf oder liegt das Problem woanders?
- Könnte auch jemand anderes deinen Witz erzählen?
- Ist, was du sagst, wahrhaftig gegenüber deiner Person?
- Bist du jemand, für den das Publikum Partei ergreifen könnte? Mit dem es mitfiebert?
- Du kannst ein Lästermaul oder Arschloch auf der Bühne sein. Aber bist du es nur, um fies zu sein? Oder haben die negativen Eigenschaften eine wichtigere Bedeutung für dich?
- Widerspricht der Witz deiner etablierten Persönlichkeit auf der Bühne? Hast du deine Persönlichkeit denn etabliert und deutlich gemacht?
THEMA
- Ist das Thema originell oder wenigstens neu, zumindest die Perspektive darauf? (Faustregel: Findet man den Witz auf T-Shirts, Frühstücksbrettchen, in Memes oder bei Seiten wie Twitterperlen, lautet die Antwort Nein.)
- Bist du voller Leidenschaft für dein Thema? (Siehe B. Burr: “I’m not yelling, I’m passionate about my opinions.”) Interessierst du dich zumindest dafür?
- Bist du kontrovers zum Selbstzweck oder interessierst du dich wirklich für trans* Personen, für gendergerechte Sprache, für dead baby jokes etc.? Wirklich? Wird deine Verstrickung in das Thema deutlich? Könnte jemand anders das genauso erzählen?
- Ist das Thema nicht subjektiv genug? Kannst du es subjektiver machen?
- Ist das Thema zu düster? Vergewaltigung, Rassismus, Abtreibung, Terror etc. – glaubst du, du kannst Substanzielles beitragen? Hast du lustige Aspekte gefunden? Wirklich? Kannst du die im Publikum erzeugte Anspannung auch wieder auflösen?
- Hast du dir den gewagten Witz auch verdient? Ist er lustig genug, um entsprechend gewagt zu sein?
- Bleibst du rein thematisch oder sprichst du auch über deine Emotionen und deinen Bezug zum Thema?
- Ist das Thema zu erzwungen, zu gewollt? Wäre es nicht merkwürdig/komisch, wenn… – Nein. Gibt es eine einfachere, klarere, ehrlichere Beobachtung?
- Könntest du eine deiner persönlichen Schwächen zum Thema machen? Geht es existenzieller?
KONZEPT UND STORYTELLING
- Passiert in der Geschichte, die du erzählst, etwas? Oder schilderst du eine statische Situation?
- Gibt es eine Motivation für die Geschichte? Oder schilderst du nur Beobachtungen, die du z. B. im Hotelzimmer gemacht hast? (Test: Erzähle einer Person (oder dir selbst) mit knappen Worten, worum es in dem Witz/in dem Bit geht. Wo sind Fragen offen?
- Ist deine Geschichte glaubwürdig? Ist sie überspitzte Realität oder freiweg absurd?
- Gibt es einen Konflikt, einen Gegenspieler, eine Spannung, irgendeine Triebfeder? Bist du genügend in Konflikt mit deiner Welt? Kannst du uns wenigstens weismachen, der Konflikt wäre bedeutend? Ist er bedeutend für dich? Antagonistische Kräfte treiben deine Erzählung. Und bedenke: Disagreeing is not conflict.
- Geht es in der Geschichte um etwas? Wie hoch ist der Einsatz? Könntest du den Einsatz erhöhen?
- Ist die Szenerie des Witzes normal genug für die absurden Elemente?
- Sind die Witze um diesen Witz zu ähnlich? Braucht es mehr Abwechslung?
GEDANKLICHE KLARHEIT
- Bist du dir selbst im Klaren darüber, was du dem Publikum kommunizieren möchtest?
- Ist dein Sprechhandeln als Comedian schlüssig? Folgt es den dir selbst gesetzten Regeln oder verletzt es sie ungewollt?
- Ist absolut klar, was du sagen willst? Ein Witz sollte nicht zu viel Interpretationsspielraum lassen – If they’re thinking, they’re not laughing (Logan Murray)
- Gibst du alle Informationen, die zum Verständnis des Witzes notwendig sind? Kommen alle wichtige Informationen auch an? Hast du das an Freund:innen getestet? Gib dabei weniger auf ihre konkreten Anmerkungen als auf ihr generelles Gefühl.
- Agierst du zu crazy und überforderst das Publikum damit? Verrücktheit ist nicht ausgeschlossen, aber auch sie muss Regeln folgen, die die Zuschauer:innen verstehen können. Ansonsten verliert die Person ihre Glaubwürdigkeit und das Publikum sein Interesse.
JOKEWRITING
- Sind deine Referenzen zu spezifisch?
- Sind deine Details nicht spezifisch genug?
- Hat der Witz zu viele Wörter? Ist er unklar? (If it doesn’t add, it distracts.)
- Ist der mentale Abgrund, den das Publikum überspringen muss, zu groß/zu klein?
- Benutzt du Klischees und Floskeln, die dir das Denken abnehmen?
- Häufst du zu viele absurde Elemente an, die zwar für sich genommen lustig sind, in der Ballung aber konfus und nicht mehr absurd wirken?
- Ist der Witz noch lustig, wenn du ihn ausformulierst, niederschreibst und liest?
- Oft gehörte Seinfeld-Regel: Nutzt du ausreichend Wörter mit harten Konsonanten wie K, T, P, G, D und B? Angeblich macht das Wörter lustiger.
- Sind deine Zahlen unrund genug?
- Sind deine Beispiele zu extrem? Lassen sie sich ein Fitzelchen unter extrem ansiedeln?
- Ist der Witz zu verspult, zu gewollt kunstfertig, sodass du schon einen besonders guten Auftritt brauchst, um nicht ins Stolpern zu geraten?
- Hängen Informationen in der Luft? Jeder Satz folgt aus einem anderen oder bereitet einen anderen vor.
DAS SETUP
- Ist deine Prämisse besonders und interessant, aber völlig klar und einleuchtend? Woher kommt der Ball, wohin wird der Schlag wohl gehen?
- Ist die Ablenkung bzw. die aufgebaute Erwartung stark genug? Wie wird sie konstruiert?
- Ist dein Setup schon lustig? Ein lustiges Setup bringt einen Witz in Schieflage.
- Geht beim Erwartungsaufbau etwas schief? Wird vielleicht sogar die falsche Erwartung aufgebaut?
- Ist das Setup zu lang und kompliziert?
DIE PUNCHLINE
- Steht die Punchline im Widerspruch zum Setup und führt es nicht etwa fort oder wandelt es ab?
- Ist die Punchline gut genug für die Länge des Setups?
- Ist die Punchline zu schwach? Fehlen Details? Geht ein besseres Act-out?
- Ist die Punchline zu glatt, zu perfekt, zu gebügelt, zu gewollt?
- Muss der Punch härter sein? Ist er zu erzählerisch?
- Glaubst du nur, den Punch gefunden zu haben?
- Verbirgt sich da – unter Verkleidung, lustigen Props, hinter der schrägen Stimme und dem absurden Gehabe – irgendwo wirklich ein Witz? (Vgl. J. Seinfeld: “You can have any kind of furniture, but you gotta have steel in the wall.”)
- Ist die Punchline vorhersehbar?
PERFORMANCE
- Hast du zu viel gerifft? Hast du dir das Riffen verdient?
- Lenkt deine Körpersrapche ab oder widerspricht der Aussage des Witzes? Verletzt du die Regeln, die der Wortlaut des Witzes implementiert?
- War die Betonung der Wörter verkehrt?
- War die Punchline gut, aber mit der falschen Emotion verknüpft? Oder zu wenig der richtigen Emotion?
- Hast du die gewünschte Emotion ausgestrahlt? Hast du auch deinem Gesicht Bescheid gesagt?
- Hast du ein Gespür für den Rhythmus deines Materials? Weißt du, wann Pausen Sinn machen? Kannst du während deines Sets ruhig atmen? Machst du zu viele Pausen?
- Hast du die Performance übertrieben? Warst du zu laut, zu schnell, zu nervtötend? Geht es sparsamer?
- Bist du aus dem Bit geflogen und hast Energie und Emotion verloren?
UMGANG MIT DEM PUBLIKUM
- Glaubst du, das Publikum ist für dich da? Warum? Warum nicht?
- Hast du dich und den Witz dem Publikum zu sehr aufgezwungen?
- Hast du die Stimmung im Publikum fehlinterpretiert?
- War der Witz nicht das, was das Publikum gerade gebraucht hat?
- Bist du der Meinung, du hättest ein Anrecht darauf, dass das Publikum lacht? Warum?
- Fühlst du dich als Dienstleister, willst du dem Publikum helfen? Warum nicht?
- Hast du dem Publikum genug Zeit gelassen?
- Warst du in der falschen Emotion? Merke: The audience is in whatever state the performer is in.
WENN NICHTS HILFT
- Kannst du denn den Witz nicht einfach weglassen? Warum nicht?
NA, SO HALT NICHT…
- Na gut. Weitermachen. Und bedenken: Only mediocre comedians are at their best all the time.
Fehlen wichtige Aspekte? Hast du Anmerkungen und Tipps? Möchtest du deine Weisheit beisteuern? Dann kommentiere unten oder schreib mir unter killme@setup-punchline.de
AUSGEWERTETE QUELLEN
• Besser, Matt et. alt.: Upright Citizens Brigade Comedy Improvisation Manual. New York City: Comedy Council of Nicea 2013.
• Carter, Judy: The Comedy Bible: From Stand-up to Sitcom. The Comedy Writer’s Ultimate “How To” Guide. New York City: Atria Books 2001.
• Close, Del et.alt.: Truth in Comedy. Englewood: Meriweather Publishing 1994.
• Davis, Jeffrey u. Peter Desberg: Now Thats Funny!: The Art and Craft of Writing Comedy. Garden City Park: Square One Publishers 2017.
• Dean, Greg: Step by Step to Stand-Up Comedy. Be Funny Inc. 2019.
• Gervais, Ricky et. alt.: Talking Funny. New York City: HBO Studio Productions 2011
• Gulman, Gary: Gary Gulman’s Comedy Tips: The Complete Collection. In: vulture.com vom 26.03.2020, zuletzt abgerufen am 16.11.22
• Hines, Will: How To Be Funny. In: medium.com vom 19.12.2021, zuletzt abgerufen am 01.11.22.
•How to Make People Laugh | Brian Regan | Talks at Google. Mountain View: Google 2017.
•Interview With Louis C.K. at the Paley Center. New York City: The Paley Center for Media 2010.
•Jerry Seinfeld & Eddie Murphy Debate The Funniest Comedian Of All Time. Netflix: Los Angeles 2019.
• Kaplan, Steve: The Hidden Tools of Comedy: The Serious Business of Being Funny. Studio City: Michael Wiese Productions 2013.
• McBride, Jeff u. Harrison Tweed: Let’s Talk About Sets. The “science” & craft of stand-up comedy. A playful podcast by comics in NYC. 2016-2020
• Mendrinos, James: The Complete Idiot’s Guide to Comedy Writing. Indianapolis: Alpha 2004.
• Murray, Logan: Be a Great Stand-up: How to master the art of stand up comedy and making people laugh. London: Hodder Education 2007.
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