Phantomscherz.
FDP-Chef Christian Lindner entschuldigte sich, weil er den Honorarkonsul von Weißrussland ohne Mundschutz umarmte. Der Journalist Alex Feuerherdt entschuldigte sich dafür, dass er an einem rein mit Männern besetzten Podium teilgenommen hat. Und der Comedian Moritz Neumeier entschuldigte sich für einen Dickpic-Witz in der ZDF-Serie Homies. Die Lehre daraus: Menschen können sich entschuldigen! Trotzig auf Empörung zu reagieren, ist nicht die einzige Möglichkeit.
Umgekehrt ist übrigens auch Empörung nicht der einzige Modus, um auf Fehltritte zu reagieren. Beim ZDF hält man es offenbar für eine tolle Idee, Dickpics zu versenden – so las ich das auf Twitter. Nein, hält man sicher nicht. Nicht hinter jedem Aufreger steht ein Schnurrbart-zwirbelnder Bösewicht, der sich fragt, wie man eine maximal große Anzahl an Menschen verletzen könnte. Wahrscheinlich war es halt Unbedachtheit. Das soll nichts beschönigen. Aber man kann es Menschen schon auch mal zugestehen, dass sie Fehler machen, bereuen und daraus lernen.
Natürlich können Männer Witze über Dickpics machen, ohne dass das frauenfeindlich ist. Man muss halt nuancierter dabei vorgehen als bei einem Witz über, sagen wir, die Deutsche Bahn. Jemand, der solche Nuancen drauf hat, ist zum Beispiel der US-amerikanische ComedianRory Scovel. In diesem Video ruft er “Women are dumb!” Empörung gab es darüber nicht. Nicht weil alle die Plumpheit durchschauten, sondern… ja, findet es halt einfach selbst raus.
Neu bei Setup/Punchline
Im Podcast sprechen Comedians über eines ihrer Bits. Seit dem letzten Newsletter sind zwei neue Folgen erschienen: eine mit Jonas Imam und einem Bit über pseudo-orientalische Filmmusik. Und eine mit Freddi Gralle und einem Bit über die Würde des Alterns und animal print. Bedeutet Corona goldene Zeiten für Comedy? Vor einiger Zeit habe ich dagegen argumentiert. Am anderen Ende des Meinungsspektrums behauptete nun die Süddeutsche Zeitung, dass der Humor in Corona-Zeiten also in einer Krise steckt – und das ist halt auch wieder Unsinn. Meine kritische Entgegnung auf den SZ-Artikel, der eine Ansammlung von jahrzehntealten Allgemeinplätzen über Humor ist, findet ihr hier. |
Comedy-News
- Entlassungen, Einsparungen, Strategiewechsel: Beim US-amerikanischen Fernseh- und Online-Sender Comedy Central rumort es gewaltig. (NY Times) Und das könnte natürlich auch Auswirkungen auf die vielen CC-Ableger in aller Welt haben.
- Seit Wochen trollt Oliver Pocher Frauen auf Instagram, wobei das fast noch untertrieben ist: Dieser Artikel bei der ZEIT benutzt die treffenderen Worte Mobbing und Doxing. Warum erwähne ich das hier im Comedy-Newsletter? Weil Pocher sein Tun mit dem Hinweis “ist halt Comedy” legitimieren will. Stimmt aber nicht: Mit penetrant-investigativem Erlösergestus auf Dinge hinweisen, die jeder weiß, ist keine Comedy.
- Und täglich grüßt der Comedyskandal. Auch die Engländer sind nicht gefeit: Comedian Stewart Lee hat eine augenzwinkernde Kolumne geschrieben und sich über den Nachnamen eines jüdischen Abgeordneten lustig gemacht. What could possibly go wrong?
- Verstorbene Comedians: Der Guardian hat Eindrücke aus Jerry Stillers Karriere (für mich: Arthur aus King of Queens), der wahrscheinlich längsten Comedy-Karriere der Welt. Und bei Entertainment Weekly gibt’s einen Nachruf auf Fred Willard, ein Name, der mir nichts sagte. Das zugehörige Gesicht dürften aber die allermeisten schonmal im Kino gesehen haben.
- Tina Fey, der erste weibliche head writer bei Saturday Night Live, ist 50 geworden. Vulture hat 50 große Momente aus Feys Karriere zusammengetragen.
- Es liegt in der Natur der Live-Kunstform Stand-up, dass Shows online nicht so gut funktionieren. Diesen Club in der Minecraft-Welt würde ich mir aber zu gerne ansehen.
- Comedian Mark Normand hat ein neues Special auf Youtube veröffentlicht und die Comedy-Welt fragt sich, warum keine Produktionsfirma, keine Streaming-Plattform, kein Network das haben wollte.
- Das Fringe Festival im schottischen Edinburgh hat alte Festivalplakate veröffentlicht. Haha, nichts altert so schnell wie Comedy.
Hör-Tipp: Stand down Podcast
Der Podcast von Daniel Reskin “is here to make you feel better about not pursuing your dreams”. Sehr sympathisches Projekt über die oftmals sehr guten Gründe, die es gibt, eben nicht mehr auf die Bühne zu steigen – und die Frage, ob man jemals aufhört, Comedian zu sein.
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