Serdar Somuncu deckt ein unglaublich breites Spektrum ab: Er ist Regisseur, Schauspieler, Musiker, Talkshow-Host, ging wie einst Helmut Qualtinger mit „Mein Kampf“ auf Lesereise und als „Hassprediger“ und „Hassias“ auf Tour. Weil die Themen sehr politisch waren und das Publikum viel lachte, wird Somuncu häufig „Kabarettist“ genannt. Er selbst sieht sich nicht so, und schon gar nicht als Comedian.
Im Frühjahr wollte Serdar Somuncu eine Weiterentwicklung seines Programms spielen. Als „GröHaZ“ wollte er auf Tour gehen, als „Größter Hassias aller Zeiten“. Zu diesem Anlass haben wir uns über das Erwartungen-Brechen und Missverstanden-Werden unterhalten, und darüber, was junge Comedians vom Theater lernen könnten. Die Tour ist wegen Corona vorerst in den Herbst verschoben. Unser Gespräch will ich euch derweil aber nicht vorenthalten.
Setup/Punchline: Als „Hassprediger“ hast du früher vor Publikum aus der Bild-Zeitung vorgelesen, ab 2009 gingst du auf Tournee. Später wurde die Figur zum „Hassias“. Nun kommt sie als „GröHaZ“ zurück, als „Größter Hassias aller Zeiten“. Ist Hass denn 2020 noch der adäquate Modus, um auf die Welt zu schauen?
Serdar Somuncu: Die Figur verändert sich ja auch, passt sich der Zeit an und scheint notwendiger zu sein denn je. Und sie ist auch nicht allein auf den Namen beschränkt. Der Hass war nie der Hauptaspekt, er war immer Beilage, neben Aufklärung, Auseinandersetzung, neben einem offenen Diskurs. Es geht nicht nur um Hass, sondern um eine bestimmte Perspektive, eine ungehemmte Weltsicht, die die Figur hat. Das hat sich noch nicht erledigt. Die Themen bleiben vielleicht gleich, aber wie wir darüber sprechen, ändert sich rasant.
Wie unterscheiden sich deine „Hassfiguren“ voneinander?
Früher habe ich mich mit Texten auseinandergesetzt, zum Beispiel Mein Kampf. Dann kam ich an den Punkt, dass ich keine Vorlage mehr brauchte. Ich hatte das verinnerlicht und konnte es reproduzieren. Das war der Anfang des „Hasspredigers“. Mit dieser Figur hat das Publikum gespielt, so hat sie sich weiterentwickelt: zum „Hassias“, eine Art Sektenführer des „Hassismus“. Die Figur ist immer echter geworden, sie ist eine politische Kraft geworden, ganz wie beim Christentum. Mir kam der Gedanke: Konsequenterweise muss man den christlichen Leidensweg nachzeichnen. Irgendwann wurde die Figur gekreuzigt und es war klar, dass sie als Geisteswesen wiederkommt. Das wäre dann der „GröHaZ“.
Warum hat sich die Religion als Genre aufgedrängt?
Weil sie etwas sehr Ambivalentes hat: etwas Verblendetes und Verblendendes zugleich. Sie bettet einen in ein Ungleichgewicht von totalem Schwachsinn und praktischer Hilfeleistung. Als Plattform war sie ideal, weil auch das, was ich erzähle, ambivalent ist.
Ist Hass wirklich ambivalent?
Der Hass rückt – nach meinem Gefühl – immer weiter in den Hintergrund. Das ist heute so inflationär geworden: Comedians agieren oft aggressiv, indem sie sich weiche Ziele aussuchen. Oder Leute angreifen unter der Überschrift „Ich darf das“ und dann einfach losschießen – ohne zu sagen, auf welcher Grundlage. Das ist nicht mein Anliegen. Ich suche mir die harten Ziele, bei denen sich das Zuschlagen lohnt.
Du trittst auf der Bühne auch aggressiv auf, du brüllst, fletschst die Zähne, benutzt Schimpfwörter. Inwiefern bist du anders?
Das ist nur das, was dir am stärksten in Erinnerung geblieben ist. Dabei gibt es auch Momente auf der Bühne, in denen ich extrem empfindsam bin. Es gibt Stellen, an denen ich sogar weine. Das fällt niemandem auf, weil es nicht so eine große Rolle spielt wie das Aggressive. Aber ich will das Aggressive auch gar nicht verteufeln: Es ist Teil meiner Arbeit. Und solange ich erklären kann, warum ich es mache, ist es auch berechtigt, dass ich es mache. Wenn man nur auf die Beleidigung aus ist, auf den Effekt, auf die pure Lust am Stattfinden, bleibt man sich diese Erklärung schuldig. Wenn alles nur noch aus Beliebigkeit oder aus Spaß geschieht, dann bin ich halt, wie man in Deutschland sagt, Comedian. Aber der bin ich nicht, der wollte ich auch nie sein.
Was bist du denn?
Ich komme aus dem Theater. Und für mich gibt es zum Beispiel nicht den Schauspieler, der nur auf einer Bühne funktioniert. Ein Schauspieler, der spricht und agiert, kann zugleich Comedian, Sprecher und alles Mögliche sein. Ich habe immer noch andere Felder gesucht, auf denen ich Zuschauer erreichen kann, die nicht ins traditionelle Theater kommen. Deswegen bin ich nicht das eine und nicht das andere. Ich glaube, ich bin eine Art Aktionskünstler. Ich würde mich eher in der Nähe von Christoph Schlingensief sehen.
Als Aktionskünstler mogelst du den Zuschauern in deinen Programmen manchmal Gedanken von Hitler, Goebbels oder auch Scientology unter.
Ich habe zum Beispiel als „Hassprediger“ politische Reden sprechen lassen. Ich habe ganz schreckliche Dinge eingebaut, denen die Leute aber zugestimmt haben. Bei Scientology gibt es den Satz über das Fernsehen, sinngemäß: Dieses viereckige Ding ist wie ein Teufel, das verführt uns, macht uns abhängig.
Macht das einen Gedanken falsch, wenn er vom falschen Absender kommt?
Nein. Genauso wie sie auch nicht richtig sein müssen, wenn sie vom richtigen Absender kommen. Nur du als Zuschauer behältst die Verantwortung, darüber zu entscheiden, ob du das richtig findest. Kein Hashtag, keine Bewegung darf dich dabei beeinflussen. Und gleichzeitig hat der Künstler eine große Verantwortung. Er kann nicht einfach sagen: Ich habe einen Freibrief. Er muss überlegen, ob das zweckdienlich ist, dass er es so macht, wie er’s macht.
„Wenn der Hitler-Witz nicht scheißgut ist, schmeiß ihn halt weg“
Braucht Comedy den Tabubruch, um lustig zu sein? Die Gründer des Politically Correct Comedy Club (PCCC*) aus Wien sagen: Nein. Denn viel zu oft ist edgy Humor diskriminierend und faul.
Was ist, wenn ich als Zuschauer diesen Zweck nicht erkennen kann?
Dann darfst du deine Meinung haben. Ich mache ja meine Kunst nicht, damit du sie verstehst. Wenn du das tust: dein Hauptgewinn. Aber wenn nicht, dann ist es auch ok. Du bedingst nicht die Legitimation meiner Arbeit.
Wieso suchen Künstler dann die Öffentlichkeit, wenn es keine Rolle spielt, wie das Publikum die Kunst findet?
Ich habe eine Verantwortung, darüber nachzudenken, ob mich das Kunstwerk adäquat repräsentiert. Das ist etwas anderes, als darüber nachzudenken, wie ich meine Idee umsetze, sodass sie dir gefällt.
Macht es dir etwas aus, wenn Menschen deine Kunst missverstehen?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde: Nein. Aber es wird immer weniger. Es ist mir wichtig, was die Leute denken. Aber es bestimmt meine Arbeit nur marginal.
Warum ist es dir so wichtig, harte Beleidigungen auszusprechen? „Kanake“ zum Beispiel, oder auch das N-Wort. Das wird ja garantiert missverstanden…
Glaubst du, dass der Mörder im Tatort, der Schauspieler, nachher wirklich ins Gefängnis muss? Hast du das jemals geglaubt? Warum nicht? Weil du abstrahieren kannst. Weil du weißt: Ich sehe das in einem bestimmten Rahmen. Das ist ein Film, in diesem spricht ein Schauspieler, der spielt eine Rolle. Warum habe ich nicht das Recht, das zu tun? Nur weil ich kein Kostüm trage?
Vielleicht irritiert es viel stärker, weil man bei dir nicht so genau weiß: Ist es wirklich eine Rolle oder bist du es selbst, der spricht? Du machst das ja in Talkshows oder Interviews zum Beispiel auch.
Ken Campbell war ein britischer Autor, Schauspieler und Theaterregisseur. Er hat ein Stilmittel entwickelt, das bis heute kopiert wird, nämlich die Vermischung von Realität mit der Rolle. Und zwar, ohne dass man die Grenze aufzeigt. Nur, indem man dem Zuschauer sagt: Du wirst das schon selber merken. Ein Beispiel: Wer ist die Hauptfigur in der Serie Pastewka? Ist das der echte Schauspieler Bastian Pastewka? Man wird übereinstimmen: Es gibt Teile, da ist der echte Pastewka drin enthalten. Und an manchen Stellen ist er eine Weiterentwicklung, ein Extrem von sich selbst.
Genauso funktioniert das auf der Bühne: Teile eines Programms können meine Meinung repräsentieren. Ich habe zum Beispiel über Greta Thunberg gesagt, dass ich es merkwürdig finde, dass Menschen eine Symbolfigur brauchen, um festzustellen, dass es den Klimawandel gibt. Und dann gibt es andere Teile, die sind überspitzt: Im Übrigen finde ich es sowieso nicht gut, dass 16 Jahre alte Mädchen mit Erwachsenen reden. Da könnte man schon auf Idee kommen: Glaube nicht, dass der wirklich so denkt. Damit wollte ich die Nähe zu den Leuten markieren, die so etwas aus parteipolitischen Gründen sagen. Das ist AfD-Sprech, und zwar ganz bewusst.
Du willst also Überspitzung kritisieren, indem du selbst überspitzt?
Satire ist Überspitzung, immer. Satire lebt davon, dass sie überspitzt. Sie findet auf vielen Metaebenen statt. Ironie, Zynismus, Sarkasmus sind Beilagen, damit irgendwann etwas rauskommt, was sich Satire nennt. Das ist ein komplexer Prozess. Es wird immer mehr Leute geben, die dich missverstehen, als Leute, die dich richtig verstehen. Das kann mich aber nicht daran hindern, meine Arbeit zu machen.
Wo liegt die Verantwortung des Künstlers konkret?
Im Nachdenken. Sich in Frage stellen, revidieren. Auch annehmen, dass man Fehler gemacht hat.
Welche sind das bei dir zum Beispiel?
Ich habe am Anfang die Überschrift „Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung“ nach vorne gestellt und nicht daran gedacht, dass das missverstanden werden kann. Ich kann das nicht verhindern, aber ich hätte mich deutlicher vom Missbrauch distanzieren müssen. Allerdings wird es nie gelingen, sich gegen jede Vereinnahmung immun zu machen.
Was braucht es, um als Künstler auf eine Bühne zu steigen?
Es muss eine starke Beschäftigung stattgefunden haben mit dir selbst. Und nicht nur das, du brauchst, nennen wir es mal: ein Schicksal. Etwas, was dem Leben eine Kontur gibt. Eine Patina muss die Kunst umgeben, die man hat. In der Musik würde man das „Blues“ nennen, diese Schwere im Ton. Dieses eigene Schicksal ist es, was die Kraft deiner Aussagen auf der Bühne ausmacht. Man schmückt sich nicht damit, sondern die Menschen spüren, dass sie da ist. Ich erkenne das innerhalb einer Hundertstelsekunde.
Wie das?
Das gehört zum Job als Regisseur. Schauspieler sind eigentlich nichts anderes als Psychoanalytiker, die sich ständig selbst analysieren. Sie jonglieren mit ihren Egoismen, Narzissmen, Befangenheiten, Komplexen. Sie sind sich komplett selbst ausgeliefert und machen nichts anderes, als auf die Bühne zu gehen und Schauspieler zu sein. Als Regisseur bist du meiner Meinung nach auch so eine Art Psychoanalytiker. Ich sehe mich nicht als Arzt meiner Schauspieler, sondern eher als Verbündeter, der auch mal in ihrer Lage war. Ich kann die Schauspieler in dem Moment, in dem sie sich selbst nicht verstehen, erklären. Sie zu lesen, ist meine Aufgabe. Ich spüre, wenn ein Künstler auf der Bühne nach dem Mikro grabbelt, weil ihm der Halt fehlt. Meine Aufgabe ist dann, zu vermitteln, den Halt ohne Mikro zu suchen. Das Mikro ist in dir.
Ist Comedy Kunst?
Comedy steht in Deutschland schnell unter einem Banalitätsverdacht. Zu Unrecht, denn auch ein banaler Witz kann kunstvoll sein. Ein Gespräch über das Verhältnis von Kunst und Comedy mit der Berliner Comedienne und Illustratorin Ingrid Wenzel.
Was hat dir dein Theaterhintergrund für deine Bühnenprogramme gebracht?
Ich habe das große Glück, dass vor meiner „Comedy“ in Anführungsstrichen das Theater stand. Es ist der Grundquell meiner Auffassung vom Sein auf der Bühne. Comedy ist ein Teilbereich des Theaters und hat viel mit Schauspiel zu tun, mit Sprechen, mit Darstellung von Rollen, mit Identifikation. Deswegen ist meine Sichtweise eine ganz andere als die von Comedians. Vielen würde ich empfehlen, erst mal Theater zu machen.
Was ist das Besondere am Theatermachen?
Es gibt diese Momente, in denen du ganz stark spürst, dass die Zeit stehen bleibt, unabhängig von der Zuschauerzahl. Das Zusammensein in diesem imaginären Raum, den wir ja nur als „Theater“ definieren, hat eine Magie. Und die ist unglaublich stark und lebensfreundlich. Sie lässt einen Angst, Trauer, Tod vergessen. Kollektiv sind solche Momente atemberaubend und erhebend. Da ist irgendwas im Raum. Kitschig gesagt: sowas wie Liebe.
Bühnenkunst ist aber auch ein hartes Business. Was müssen Künstler mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Der innere Drang, sich auf die Bühne zu stellen, reicht nicht aus. Das ist nur ein Aspekt. Du musst auch Talent haben. Kontext. Eine Idee. Ich könnte jetzt 20 Dinge sagen, die zusammenkommen müssen, damit am Ende – vielleicht! – die Möglichkeit entsteht, dass du Erfolg hast. Es gibt keine Garantie. Manchmal ist auch ein äußerer Faktor entscheidend, zum Beispiel der Markt. Der ist sehr hungrig und nimmt sich bestimmte Figuren gnadenlos. Und manche lässt er liegen. Da spielt nicht immer Talent eine Rolle.
Was würdest du raten?
Letztendlich ist der Impuls „ich muss auf die Bühne“ oft trügerisch. Viele wollen auf die Bühne gehen und dann sollen aber tausend Leute kommen und einen toll finden. Was machst du, wenn das nicht der Fall ist? Das ist ja gar nicht so unwahrscheinlich. Dann muss die Anerkennung ausreichen, die du dir selber gibst. Wenn deine innere Stimme dir aufträgt, irgendetwas zu tun, solltest du kein Publikum brauchen, um das zu bestätigen. Wenn es aber einen anderen Grund gibt, Publikum, Geld, Berühmtheit, Eitelkeit, ist das ja alles in Ordnung. Aber es wäre gut, wenn du den Grund erst einmal herausfindest.
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