Ist Comedy Kunst?

Illustratorin und Stand-up-Comedienne Ingrid Wenzel bewegt sich an den Schnittstellen von Comedy und Kunst.
Illustratorin und Stand-up-Comedienne Ingrid Wenzel bewegt sich an den Schnittstellen von Comedy und Kunst.

Deutschland hat ein Problem mit Unterhaltungsformaten, und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Über Jahrzehnte wurden die Grenzen zwischen Anspruch und Blödelei mit Stacheldraht gezogen: Oper oder Operette? Literatur oder Belletristik? Kabarett oder Comedy? Ist es klug und gesellschaftskritisch? Oder schalten wir lieber um?

Stand-up-Comedy hatte es da schon immer besonders schwer. Einerseits grenzten sich Comedians ab vom als intellektuell geltenden Kabarett, standen also von Beginn an unter einem Banalitätsverdacht. Und dann verhielten sie sich auch noch anders als die verrückten Künstler-Genies aus der bildenden Kunst: Da stiegen einfach Menschen auf Bühnen und sonderten Gedanken in Mikrofone ab. Kann doch jeder! Aber ist es wirklich so einfach? Und wann ist Kunst Kunst und wann „nur“ Handwerk? Darüber habe ich mit der Berliner Comedienne, Illustratorin und Kunsthistorikerin Ingrid Wenzel gesprochen.

Setup/Punchline: Ingrid, was unterscheidet Stand-up von Kunst?

Ingrid Wenzel: Es gibt einen großen Unterschied: Kunst hat einen Selbstzweck. Kunst ist Kunst und kontextabhängig. Sie kann einen bewegen, kann einen zum Nachdenken anregen. Sie kann an gesellschaftlichen Strukturen rütteln, kann aber auch nur gefallen und ein rein ästhetisches Erlebnis sein. Stand-up dagegen…

Moment, all das, was du aufgezählt hast, kann Stand-up doch auch…

Klar, durchaus. Aber vor allem anderen kommt steht die erste Prämisse: Es soll lustig sein. Dann erst kommt der Rest. Einen Comedian auf der Bühne betrachtet man nicht wie einen Performance-Artist. Lass‘ mal schauen, was der macht. Nein, wenn der Comedian nicht lustig ist, hat er seine Aufgabe nicht erfüllt. Kunst ist anders, die kann auch einfach nur für sich existieren.

Stand-up-Comedienne und Illustratorin Ingrid Wenzel

Ingrid Wenzel (Foto: Eike Walkenhorst) stammt aus Celle in Niedersachsen. Sie arbeitete als Hochzeits-DJ, fuhr als Soldatin zur See und zog auf Kreuzfahrtschiffen die Bingo-Nummern. Heute ist sie Stand-up-Comedienne und Illustratorin und lebt in Berlin. Ihr Hauptanliegen, schreibt sie auf ihrer Homepage, ist to make life artsier and funnier. Ingrid will mit ihrer Arbeit unterhalten und ist ständig auf der Suche nach der je perfekten Ausdrucksform.

Aber Stand-up ist auch kein reines Handwerk. Es gibt unterschiedliche Stile, Geschmäcker und Witzstrukturen. Ist es doch Kunst, zumindest ein klein wenig?

Die Leute wollen lachen, aber dann ist die Frage: Wie? Wie bringt man sie dazu? Ich glaube, hier kommt die Kunst ins Spiel. Worte können Kunst sein. Gutes Timing kann Kunst sein. Und die größte Kunst ist sowieso, alles so aussehen zu lassen, als wäre es gar keine Kunst. Ich glaube, es war Jerry Seinfeld, der gesagt hat: Ich bin kein Künstler, ich bin Handwerker. Ich sehe das anders, für mich sind alle Comedians Künstler. Zumindest alle, die Demut vor der, Achtung, Kunst haben, die keine Witze klauen, die ihr Material selbst schreiben und die es selbst performen. Für mich sind das keine Handwerker.

Ist Comedy Kunst – wozu eigentlich die Frage?

Du bist auch Illustratorin. Die meisten Menschen würden dich da wohl ohne zu zögern eine Künstlerin nennen. Denn auch wenn sie selbst nicht zeichnen können, wissen sie, wie schwierig es ist. Braucht es diese Einsicht, damit ich ein Werk auch als Kunstwerk schätzen kann?

Beim Zeichnen oder in der Musik merken das auch Laien: Boah, die kann ja was! Es wäre schön, wenn das im Stand-up auch mal mehr honoriert würde, wenn jemand was kann. Aber da hast du eben den besonderen Umstand, dass dein Medium die Alltagssprache ist, die jeder jeden Tag benutzt. Darin liegt aber auch ein Reiz, wie ich finde. Stand-up sieht so aus, als könnte es jeder. Jeder kann sprechen. Man stellt sich hin und erzählt ein paar Witze. Aber es sieht eben nur so aus. Die große Kunst ist, wenn hinterher alle sagen: Kann ich auch!

Vor kurzem habe ich eine kleine Bilderstrecke von dir gesehen, in der du ein merkwürdiges Gefühl eingefangen hast: Man ist bei jemandem zu Besuch und eine Putzkraft kommt rein. Man fühlt sich gestört, kann aber nichts sagen. Es ist eine weirde Erfahrung. Eine mögliche Lösung: Man tarnt sich als Möbelstück. Das alles hast du in wenigen Bildern gezeichnet. Warum hast du kein Stand-up-Bit daraus gemacht?

Das Tolle an Kunst ist ja: Du hast ein Gefühl, packst es in irgendeine Form und lässt es auch andere fühlen. Man könnte das natürlich auch als Bit machen, aber ich glaube, das Ganze ist als Bild viel lustiger. Da habe ich noch die Ästhetik der Inneneinrichtungen, ich habe Ansichten von schön eingerichteten Zimmern. Die Idee, dass sich darin jemand versteckt, weil er Angst vor der Putzkraft hat, kommt da besser raus.

Wonach entscheidest du, ob du zeichnest oder Witze schreibst?

Der Unterschied zwischen Illustrieren und Stand-up ist für mich nicht so groß. Ich will mit beidem unterhalten. Und das will ich tun, indem ich Bilder erzeuge. Beim Illustrieren, klar, mit Bildern. Und bei Stand-up benutze ich Worte, um Bilder in den Köpfen zu erzeugen. Bei mir ist es so: Wenn das Bild, das ich mit Worten erzeuge, nicht auf den Punkt ist – dann zeichne ich. Beim reinen Betrachten kannst du dir Zeit lassen, es ist eine andere Wahrnehmung, wie beim Lesen. Bei Stand-up geht das nicht. Die Bilder müssen passen und prägnant sein, weil du gewissermaßen vom Comedian gekidnappt wirst. Du bist gefesselt an sein Tempo.

Jede Form eignet sich für verschiedene Inhalte. Für welche Inhalte eignet sich Stand-up am besten?

Das kann man nicht pauschal sagen. Wortkunst ist generell total unterschätzt, auch unter Comedians. Viele sind sich gar nicht bewusst, dass man mit Worten so viel Schönes schaffen, aber auch zerstören kann. Ich bewundere Menschen, die Sprache prägnant einsetzen können. Wir alle setzen sie eh viel zu oft unprägnant und faul ein. Nimm zum Beispiel einen Comedian, der sagt: „Das war wie ein Autounfall, man konnte gar nicht wegsehen.“ Das ist ein ganz altes Bild, das haben wir schon tausend Mal gehört. Du hast doch die Freiheit, jedes andere sprachliche Bild zu erzeugen mit deinen Worten. Warum bist du so faul und benutzt ein altes?

Comedians haben keinen Lehrauftrag, aber eine Verantwortung

Müssen Comedians unbedingt progressiv sein? Dürfen sie nicht faul sein?

Ich finde, es ist die Verantwortung von Künstlern. Dass sie, wenn sie mit Worten Kunst machen, auf ihre Sprache achten. Ich versuche das bei mir auch und merke, wie wenig ich das früher gemacht habe.

Was passiert, wenn Comedians nicht auf ihre Sprache achten?

Sprache formt die Gesellschaft. Wer auf einer Bühne steht und zu anderen Menschen spricht, kann beeinflussen, ob nun positiv oder negativ. Er hat also eine gewisse Verantwortung. Nicht falsch verstehen: Comedians haben keinen Lehrauftrag. Aber sie können sich überlegen, wie sie ihren Inhalt präsentieren. Ich muss manchmal dabei an die drei Siebe des Sokrates denken: dass im besten Fall alles, was man sagt, durch diese drei Siebe passt – ist es wahr, gut und notwendig? Und bei Comedy gibt es noch ein viertes Sieb: Ist es unterhaltsam? Vielleicht ist das ein bisschen too much und erfasst dann doch auch wieder nicht alles. Man kann ja auch etwas Banales oder Unpolitisches sehr kunstvoll darstellen.

Wie wichtig sind Kreativität und Genialität?

Ich bin keine Freundin von Genie-Kulten. Oder von übermäßigem Vergleichen: Der eine Comedian ist besser als der andere, dieser hat bessere Punchlines als jener. Das Entscheidende ist doch die Originalität: dass man etwas selber erschafft, womit man viele andere erreicht. Wir bewerten alle viel zu schnell. Davon versuche ich gerade wegzukommen. Oder zumindest: zu erreichen, dass die Bewertung nicht immer gleich der erste Gedanke ist.

Bewerten und Vergleichen ist an sich ja etwas sehr Menschliches.

Am Hamburger Bahnhof war mal eine Skulptur ausgestellt, die hat ein paar Pariser Künstler gezeigt, irgendwann Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Künstler haben ein Wettrennen gemacht, allerdings gab es keine Ziellinie. Bei Comedy ist das genauso: Es gibt keine Ziellinie. Mit wem soll ich also um die Wette laufen? Stattdessen könnte man sich fragen: Wie kann ich noch an mir arbeiten, wie will ich sein auf der Bühne? Es gibt nur die Linien, die du dir selber setzt.

Und nun? Ist Comedy Kunst? Schreib mir deine Meinung. Oder hast du Lust auf mehr Informationen zu Stand-up-Comedy? Melde dich doch für den S/P-Newsletter an.