„Keine Politik, keine Religion“, so beschrieb der Comedian Markus Krebs bei einem Auftritt vor kurzem dem Publikum das Programm: „Wir machen uns einen schönen Abend.“ Dass, wo einer „keine Politik“ draufschreibt, trotzdem Politik drin sein kann, machen das wandelnde Witzebuch Krebs und seine Beziehung zum kollektiven Unbewussten zu einem Untersuchungsobjekt für die Kulturwissenschaften. Aber nun ist die Sehnsucht nach einem politik- und gesellschaftsleeren Raum irgendwie ja nachvollziehbar. Und gegen einen schönen Abend wirklich nichts zu sagen.
Das konträre Programm dagegen bietet der Kabarettist und Comedian Dieter Nuhr, seit 2014 unter dem Titel Nuhr im Ersten. Und seit einiger Zeit setzt der Gastgeber bei sich und seinen Gästen auf die volle politische Dröhnung. Ein Twitteruser hat vor kurzem ein paar exemplarische Ausschnitte zusammengestellt: Da gibt es (immer noch) viel über Veganer zu hören, immer wieder Genderwitze bzw. -witzinnen (hehe); Halbverstandenes über kulturelle Aneignung, immer wieder die Insinuation, dass der Staat ihm unliebsame Meinungen unterdrücke, bis hin zu rassistischen Äußerungen – oder wie will man es nennen, wenn Michael Mittermeier der Bundeswehr rät, zur Beschaffung von Waffen mal eine Razzia in einer Shishabar in Neukölln durchzuführen?
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Es ist knapp zweieinhalb Jahre her, dass in einer Shishabar im hessischen Hanau ein Rechtsradikaler neun Menschen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte erschoss, was Mittermeiers Witz dann natürlich aus den Angeln hebt. Research kills comedy, klar, aber darum heißt es auch research und nicht oberflächliche Googlerecherche. So ist das häufig bei Nuhr im Ersten: Vieles fällt bei näherer Betrachtung in sich zusammen. Aber die Sendungen sind nun mal Treffen der Mehrheitsgesellschaft, und für gut wird befunden, was auf das Mantra einzahlt, selbst doch die unterdrückteste Gruppierung zu sein. „Weggecancelt“ werde Dieter Nuhr, war vor einiger Zeit einmal im Cicero zu lesen. Needless to say, dass die Sendung ungerührt weiterlief.
Es wird bei den leichten Themen übrigens nicht besser. Auch bei den ungezwungeneren Sachen entdeckt Nuhr einen dramatischen Kern, stößt auf Cancelwut oder „moralischen Rigorismus“. In der Sendung vom 6. Oktober witzelte er anlässlich der Umbenennung eines Festivals für Blasmusik über Menschen, die Sex und Sexismus verwechseln („sei’s weil sie keinen haben, weil sie keinen Spaß dran haben, sei’s weil sie im Bistum Köln tätig sind“), trieb mit den Wörtern „Po“ und „Posaune“ Schabernack über die nicht-gendergerechte deutsche Sprache; und er fand die korrekt gegenderte Bezeichnung für ein Flügelhorn, nämlich „Flügelhornisse“.
Sich „populistisch den einfachen Applaus abzuholen“, sei ihm zu billig, sagte Nuhr einmal im Interview bei Jung und naiv. (Ich weiß ja, es kommt zeitlich nicht hin, aber ich stelle mir zur Erheiterung manchmal vor, dass er dann nach Hause ging und den Joke über die Flügelhornisse schrieb.)
Ist das ziemlich schrecklich? Faul ausgedacht, schlecht geschrieben und im Timing schief dargeboten? Einmal nur fürs Protokoll: Ja. Denn es geht ja um etwas anderes. Nuhr selbst sagte auf jeden Fall bei Jung und naiv auch, die Diskrepanz zwischen „Anspruch und Wirklichkeit“ sei ein wesentlicher Teil seines Humors. Ich dachte lange, er meint damit die Diskrepanz in den Weltbildern der Irgendwie-Linken, aber offenbar war das programmatisch für den Künstler selbst gemeint.
Vor zwei Jahren warf Nuhr der Schwarzen Autorin Alice Hasters anlässlich deren Buchs Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten Rassismus gegen Weiße vor. Nuhr zeigte damit ja viel, vor allem anderen aber, dass er Hasters’ Buch nicht gelesen hatte. Will man, zur Abwechslung, mal Tucholsky zitieren, warum dann an dieser Stelle nicht dessen Folgerung, „dass man überhaupt nur das satirisch behandeln kann, was man in seinem tiefsten Kern begriffen hat“? Nuhr schneidet daran gemessen nicht nur schlecht ab, er kann selbst zwei Jahre später immer noch nicht vom „Rassismus gegen Weiße“ lassen.
Natürlich ist es nicht damit getan, dass sich Nuhr halt mal besser anstrengen oder mehr Zeit fürs Jokewriting einplanen müsste. Dass es ihm nur an geeigneten Lektüreempfehlungen mangelt. Damit eine Sendung wie Nuhr im Ersten zustandekommt, müssen Dutzende Entscheidungen getroffen werden. Die Sendung ist nicht wider besseres Wissen, wie sie ist, sondern weil sie jemand genau so und nicht anders gemacht hat.
Es geht nicht darum, Diskrepanzen aufzuzeigen oder gegen den moralischen Rigorismus™ von Linken aufzubegehren. Die Show hat kein politisches Projekt, die Inhalte sind ein „financial ploy“, ein Trick zum Geldverdienen, wie Nick Marx und Matt Sienkiewicz das in ihrer Monografie That’s not Funny. How the right makes comedy work for them genannt haben. „Wo alle nur sagen: Genau so isses! Das interessiert mich nicht“, sagt Nuhr im Gespräch bei Jung und naiv. Dabei schalten jedes Mal Millionen ein, weil sie genau dieses „so isses“ suchen. Und sie kriegen es, weil sie einschalten. Der Kulturkampf muss um jeden Preis am Laufen gehalten werden.
Apropos, weil da ja gerade ein böses Wort stand: Ist das rechte Satire? Sicherlich hat Nuhr im Ersten thematische Überschneidungen mit Sendungen wie Tucker Carlson Tonight oder von mir aus auch mit Der Wegscheider im österreichischen Servus TV. Aber man kann die Frage trotzdem etwas herunterkühlen. Nuhr im Ersten ist in erster Linie eine Sendung, die sich kritisch an emanzipatorischen und progressiven Positionen (oder dem, was sie dafür hält) abarbeitet.
Mit „owning the libs“ wird vor allem in den USA die Strategie bezeichnet, gesellschaftspolitisch liberal gesinnte Politiker:innen um jeden Preis zu ärgern, zu brüskieren oder (bei ihrer politischen Arbeit) zu sabotieren. Egal wie sinnvoll die Projekte oder Ansichten, sei es, Schulen oder Zufahrtsrampen für Rollstuhlfahrer zu bauen, die Grundsicherung und Löhne zu erhöhen oder Minderheiten zu schützen: Wenn es von der falschen Seite kommt, ist es abzulehnen und zu trollen. Ohne Wenn und Aber. Nuhr im Ersten hat das einfach auf Comedy übertragen.
Wohin die „owning the libs“-Mentalität führen kann, kann man zum Beispiel bei den US-amerikanischen Republikanern erfragen. Sie hat nicht zwangsläufig eine politische Heimat, kann aber auf die Dauer eine nahelegen.
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