Ich wollt‘, ich werd zensiert…

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
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Eine Comedygeschichte aus deutschen Landen, die alles hat, nur keine Pointe: Der Comedian Bastian Bielendorfer – bekannt unter anderem für politische Stellungnahmen gegen die AfD, jüngst für seine Teilnahme in der Tanzsendung Let’s Dance! und manchen vielleicht auch für seine Bestseller und Comedyprogramme über sein Dasein als Lehrerkind hat in einem Podcast über seine Heimatstadt Gelsenkirchen geschimpft. Nicht um zu lästern, sondern eher aus Sorge: Er findet die Entwicklung, die die Stadt gemacht hat, bedrückend.

Die Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, SPD-Politikerin Karin Welge, fühlte sich angegriffen. Man kann es ja ein bisschen verstehen, kritisiert der Comedian damit natürlich indirekt auch sie. Bei einer Vereinsveranstaltung sagte Welge dann zum ebenfalls anwesenden Eventmanager, der Bielendorfers Show in der Stadt veranstaltet, dass sie nicht möchte, dass der Comedian im nächsten Jahr „noch einen Auftritt“ habe, wie die WAZ erfragt hat.

Das Portal Ruhrbarone schrieb so aufgeregt wie falsch von einem „Auftrittsverbot“, die WAZ versah selbiges immerhin noch mit einem Fragezeichen. Nun hat man als Bürgermeisterin einer so großen Stadt wie Gelsenkirchen sicherlich nicht wenig Macht. Aber Auftrittsverbot für einen Künstler? Man kann sich da auch als Normalbürger und Nicht-Jurist schon mal fragen, wie denn ein solches Verbot, das Meinungs-, Kunst- Vertragsfreiheit und dazu noch einige demokratische Kontrollmechanismen aushebeln würde, überhaupt durchsetzbar sein soll. Und man kann sich auch gleich die Antwort geben: Ist es ja auch nicht. Nichts wird, nichts kann sich ändern. Schon im Dezember tritt Bielendorfer wie geplant das nächste Mal in Gelsenkirchen auf.

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Kommt natürlich trotzdem nicht gut, wenn Politiker:innen sich so dünnhäutig zeigen, ist aber mehr eine Image- denn eine Demokratiekrise. Zur Schadensbegrenzung setzte Welge denn auch auf eine gerade in Comedykreisen bekannte Strategie: Es sei doch alles nur ein Scherz gewesen und alle Anwesenden hätten das auch so verstanden. Die Bürgermeisterin hätte „mit Comedy auf Comedy geantwortet“, sagte ein Parteikollege. Das ist, nebenbei bemerkt, natürlich ziemlicher Unsinn, müssen wir ja davon ausgehen, dass Bielendorfer seine Kritik an Gelsenkirchen durchaus ernst verstanden wissen wollte. Aber gut, dass „war doch nur Spaß“ in der deutschen Öffentlichkeit als valides Argument gegen alles durchgeht, ist nicht zuletzt das Verdienst von Comedians. (Bielendorfer hat sich des Arguments zwar nie bedient, soweit ich das überblicke; trotzdem nur gerecht, dass sich auch mal ein Comedian dieser Nullausage ausgesetzt sieht.)

Bielendorfer ist ja glücklicherweise keiner der Comedians, der selbst einen belanglosen Witz noch zum widerständischen politischen Akt hochjazzt. Man hätte es also an dieser Stelle dabei bewenden lassen können. Aber Comedian/Auftrittsverbot/Meinungsfreiheit ergibt eine medial wirksame Melange und eine Chance, die wohl auch er nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte.

„Ich empfinde den Gedanken der Politik, jemanden wegen freier Meinungsäußerung […] nicht mehr empfangen zu wollen, für doch sehr fraglich“, sagte er in einem auf Twitter veröffentlichten Video. „Das ist nichts anderes als Zensur.“ Ob es wirklich als Zensur durchgehen kann, wenn keine Zensur stattfindet, und mediale Aufregung zu gesichert ausverkauften Folgeshows führt? Ich meine ja: nein. Aber was weiß ich schon.

Er halte freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit für wichtige Güter, sagte Bielendorfer, und werde darum auch weiter Veranstaltungen in Gelsenkirchen machen. „Weil das lassen wir uns doch nicht verbieten!“ Das ist natürlich eine so geniale wie praktische Verkehrung: Wir lassen es uns nicht verbieten, da es uns auch niemand verbieten kann. Folglich gehen wir als aufrechte Streiter aus dieser Angelegenheit.

Das Vorgehen der Bürgermeisterin entspreche nicht den demokratischen Werten der SPD „und auch nicht meiner Vorstellung von Demokratie“, sagte Bielendorfer, zu dessen Vorstellung von Demokratie es offenbar ebenfalls nicht gehört, dass auch Politiker:innen ein Recht auf Peinlichkeit, schlechten Stil oder schlicht freie Meinungsäußerung haben.

Wir haben also unter dem Strich: einen Comedian, der keine Comedy macht, sondern Politik; und eine Politikerin, die keine Politik macht, sondern Comedy. Wenn schon das Publikum nichts davon hat, vielleicht ja am Ende wenigsten Gelsenkirchen.

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