Wer noch nie einen Film über die Open-Mic-Szene drehen wollte, war wahrscheinlich noch nie auf einem Open Mic. Hier tauschen sich Comedians aus und stellen ihr Material ins Schaufenster. Und ein Host führt alles zusammen, federt die Bombs ab, pusht die Kills. Wenn die Abende schlecht sind, sind sie zum Fremdschämen, verursachen Bauchschmerz, sind schlicht schrecklich. Wenn sie gut sind, sind sie magisch. Kaum jemand kann sich dem besonderen Vibe von Open-Mics entziehen. Müsste man doch mal festhalten.
Was viele aus Trägheit bald wieder verwerfen, hat nun endlich jemand durchgezogen. Der Comedian Vidura Rajapaksa hat Open Mic Days gedreht, einen gut einstündigen Film über die Mutter aller Open-Mic-Szenen in Deutschland: die englischsprachige Szene in Berlin. Im Film lässt er in Einzelinterviews viele Comedians darüber sprechen, was ihnen die Szene in der Hauptstadt und Stand-up im Allgemeinen bedeutet.
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Rajapaksa hat den Film in nur zwei Monaten gedreht, fast völlig im Alleingang. Er hat das Buch geschrieben, Regie geführt, gefilmt und geschnitten. Alles selbstfinanziert. “Ich war ein Teil der Szene und wollte diesen kleinen Zeitabschnitt in eben dieser sehr speziellen Szene dokumentieren”, schreibt Rajapaksa auf Anfrage. Open Mic Days gibt es (unter anderem) kostenlos auf Youtube zu sehen. “So viele Menschen wie möglich sollen den Film sehen”, sagt Rajapaksa.
Das, was fehlt, macht Open Mic Days besonders
Der Film selbst ist voller interessanter Gedanken und interessierter Beobachtungen. Etwa wenn Deo Katunga Stand-up mit Skateboarding vergleicht. Genauso wie das Sprechen auf der Bühne mache auch ein Kickflip erstmal “no sense in your head”. Comedienne Tamika Campbell spricht darüber, mit Stand-up Geld zu verdienen, oder Daniel Olel, wie er Zweifel hat, ob er das Reisen als Comedian durchsteht. Da sind viele vorsichtige, durchdachte und vor allem uneitle Äußerungen über Stand-up. Auch der Satz “Stand-up saved me” fällt. Und immer wieder wird klar, was für eine besondere Szene Berlin da hat, die international Beachtung findet und manchen an das Brooklyn der 1990er erinnert.
Die Interviews in Open Mic Days sind etwas statisch, weil sie fast ausschließlich vor demselben Hintergrund gedreht wurden. Zwischendurch sieht man kurze Clips von Auftritten, bei denen sich ebenfalls wenig mehr bewegt als ein Comedian auf der Bühne und Zigarettenrauch. Letzten Endes hätten mehr und verschiedene Kamerawinkel oder Wechsel der Szenerie das Projekt wahrscheinlich zwar aufgelockert, aber Zeit, Geld und Personal gekostet – und obendrein inhaltlich nichts substanzielles beigetragen.
(Außerdem ein großer Vorteil von statischer Kamera und Zigarettenrauch: Die Show-Szenen erinnern in ihrem Look an die Ästhetik der 90er. Ich rechnete jeden Moment damit, dass gleich Coolio oder Commander Riker Jonathan Frakes die Bühne betreten. Ein unfassbarer nostalgischer Effekt.)
Ein respektvolles Zeitdokument
Es ist das, was in Open Mic Days nicht passiert, was den Film besonders macht: Es gibt keine Stimme aus dem Off, die Erzählstränge zusammenfasst, es gibt (außer der Kapiteleinteilung) keine Struktur, keine Dramaturgie, keine aufgepfropfte Story. Der Film ist ungemein respektvoll. Rajapaksa ist selbst Teil der Berliner Szene und maßt sich trotzdem nicht an, stellvertretend für die Szene sprechen zu können. Wäre der Film zum Beispiel für das ZDF gedreht worden, wäre die Szene wohl exemplarisch an einem oder zwei Comedians beleuchtet worden: auf dem Weg von der Wohnung zum Auftritt, hinter der Bühne, erleichtert nach der Show.
Rajapaksa dagegen will nicht eine Story einfangen, sondern eine Szene oder eher: ein Gefühl. Das teilen eben viele Menschen und jeder auf seine Weise. Darum taucht der Autor im Film kaum auf, er unterbricht seine Gesprächspartner nicht, er hört zu, er lässt zu Wort kommen. Open Mic Days ist ein starkes Zeitdokument, das zeigt, wie die Szene in Berlin damals war, 2019 und 2020, und in dem sich zahlreiche Stand-up-Weisheiten verbergen.
Zum Beispiel die: “You manage to say what you meant at that moment”, fasst einer der Comedians zusammen, worum es bei Stand-up geht. Mehr ist es ja nicht. Und nicht weniger. Man kann ein ganzes Leben brauchen, bis man das schafft.
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