Wird Ari Shaffir jetzt gecancelt? Das war dieses Jahr mal eine Frage, die viele in der Comedywelt umtrieb. Der US-Comedian hatte Ende Januar wüst über den Tod von Basketballer Kobe Bryant getwittert. Das scheuchte den sogenannten Twitter-Mob auf, der dann Telefonterror bei einem Comedyclub machte, bei dem Shaffir auftreten sollte, woraufhin der Club Shaffir auslud. Boom! Wieder mal die Karriere von einem Comedian zerstört.
Kleiner Scherz. Wird zwar oft befürchtet, passiert aber eigentlich nie. Shaffir ist immer noch Comedian. Kabarettist Dieter Nuhr hat immer noch seine Fernsehsendung im Ersten. Kabarettistin Lisa Eckhart wird immer noch interviewt. Ich behaupte ja gar nicht, dass cancel culture nicht existiert. Aber Menschen, die wirklich gecancelt wurden – und damit meine ich nicht die Form des cancelling, die einem einen Sendeplatz einbringt oder wenigstens einen Buchvertrag –, lassen sich weltweit wohl an einer Hand abzählen.
Dagegen das Coronavirus: Das hat über Monate Veranstaltungen zum Erliegen gebracht, Comedyclubs weltweit mussten schließen, in den USA ging die Improcomedy fast vollkommen ein (zeigt natürlich auch, auf was für wackeligen Füßen sie stand), Comedians fremdelten mit Shows auf Zoom oder in Parks oder legten ihre Comedy erstmal auf Eis. Da kann man schon eher von cancelling sprechen.
Aber Comedy ist elastisch, Comedy assimiliert alles. Darum wird es auch 2021 höchstwahrscheinlich wieder Stand-up-Shows geben. Und vielleicht trifft man dabei auch Leute, die während Corona mit Comedy anfingen: auf Instagram zum Beispiel, oder Tiktok. Es wird spannend zu erfahren, welche Auswirkungen dieser Digitalisierungsschub haben wird. Und das müssen nicht zwangsläufig schlechte sein. Am Ende heißt es immer noch: Motherfuckers wanna laugh. Manche Dinge ändern sich einfach nie.
Bei Setup/Punchline
Im Podcast sprechen Comedians über den Entstehungsprozess hinter ihren Bühnennummern und ihren Werdegang. Hier gibt’s wieder zwei neue Folgen, nämlich mit Anuschey aus München und Vicki Blau aus Köln. |
Comedy-News
- Es ist die Zeit der Toplisten! Die besten Specials des Jahres, die besten Serien, die besten Weihnachtsfolgen! Ihr findet euch da bestimmt selbst zurecht. Nur auf eine Liste möchte ich hinweisen: 12 Innovators Who Changed Comedy in 2020.
- Zum Jahresabschluss noch ein Debattenbeitrag, der viel herumgereicht wurde und mir oft begegnete: In der Süddeutschen Zeitung beklagte Humorexperte Hilmar Klute den “Trend” zum “Kabarett-Clown”. “Vor allem im unterhaltungssüchtigen TV!” Ja Sapperlott, entfährt es mir als stoischem Bayer da, der ich meinte, eigentlich im Leben von nichts mehr überrascht werden zu können. Dass das lineare Fernsehen den Hang hat, schillernde oder streitbare Charaktere auszustellen anstatt seriöser Expert:innen, das hat uns 2020 wirklich gerade noch gefehlt.
Schon Klutes Auswahl an Beispielen ist irritierend: Wer die heute show einschaltet, ist vom Auftreten von “Kabarett-Clowns” eher nicht überrascht, sondern rechnet vielleicht sogar damit. Und über Kabarettistin Lisa Eckhart kann man ja sagen, was man will. Aber sie hat nun mal ein Buch geschrieben, die Einladung ins Literarische Quartett folgt somit einer gewissen Logik.
Andere Kostprobe: Satiriker betrieben heute mit “Statistiken, Grafiken und sogenannten Eigenrecherchen” ein Projekt der Gegenaufklärung. Sowas kann man nur behaupten, wenn man den Trend der Aufklärungssatire à la Jon Stewart, John Oliver oder Jan Böhmermann irgendwie verschlafen hat.
Es passt zwar vorne und hinten nichts zusammen, der Beitrag löst aber trotzdem lebhafte Debatten aus bzw. etwas, das so ähnlich aussieht. Interessierten möchte ich dazu die Leserbriefseite der SZ zum Thema empfehlen. Hier wird so gut wie jede Humorposition vertreten, die beiden Grundargumente lauten jedoch stets: Autor hat recht, weil ich derselben Meinung bin. Oder: Autor hat unrecht, weil ich einer anderen Meinung bin. Es ist eine Debattenillusion, die den Humordiskurs in Deutschland begleitet, und sehr schade, dass sich so wenige die Mühe geben, die immergleichen Reflexe zu vermeiden.
- Der Guardian hat ein knappes Porträt über den britischen Stand-up-Comedian James Acaster.Ich habe es leider noch nicht geschafft, sein Stand-up-Gesamtkunstwerk Repertoire anzusehen, das aus gleich vier Specials besteht.
- Anfang Januar erscheint eine neue Doku über Comedian und Schauspieler Robin Williams, in der unter anderem US-Stand-up-Legende Mort Sahl zu Wort kommt.
- Die US-amerikanische Improtruppe Upright Citizens Brigade schließt nach New York auch ihr Theater in Los Angeles.
Hör-Tipp: Frauen im Humorbusiness
An sich mag ich das Wort “Humorbusiness” nicht, der Kamm, über den da geschoren wird, ist schlicht zu groß. In diesem Fall sei das verziehen: Der Deutschlandfunk hat für ein Radiofeature mit weiblichen Comedians, Autorinnen und einer Linguistin (!) über die Geschichte der von Frauen gemachten Comedy in Deutschland gesprochen. Historisch, kritisch, interessant.
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