Vom Versagen der konservativen Comedians

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Wie sollte Comedy sein? Was muss sie tun, was kann sie sich erlauben? Zu diesen alten Fragen gab’s kürzlich eine weise Antwort aus unerwarteter Richtung, nämlich vom erfolgreichsten Podcaster der Welt, Joe Rogan. Der ist in der Vergangenheit nicht unbedingt als reflektierter Comedygelehrter aufgefallen, hat aber trotzdem Ende Juli in einer Episode seines Podcasts (#2083) etwas sehr Schönes gesagt: “Funny is the fucking weird things that people do, all of our hypocrisies and all of our contradictions, all the chaos about being a human being.” Und weiter: “Stand-up comedy has to be everything.”

Alles sollte Stand-up sein, die ganze Bandbreite der menschlichen Empfindungen, all ihre Widersprüche und all das Chaos sollte in Comedy abgebildet sein? So klingt das – aber so war es natürlich nicht gemeint. Denn Rogan hat wie die meisten der Podcaster/Comedians (Schulz, Segura, Von usw.) das Bullshitten zu seinem Prinzip erhoben. Das bedeutet unter anderem, dass sie sich widersprechen, sobald sie den Mund aufmachen.

Wie war’s denn gemeint? “[Stand-up] has to be everything that’s funny, regardless of whether or not it’s socially acceptable to make fun of those things.” Und spätestens hier kann man dann ahnen, wohin die Reise geht: “You can’t always punch up and cater to everybody. That’s not what’s funny. And if you never wanna make fun of marginalized groups, never make fun of protected classes, anybody that’s downtrodden or dissociated – you can’t do that. That’s not stand-up comedy.”

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Wer niemals nach unten tritt, macht laut Rogan keine Stand-up-Comedy. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wer Stand-up machen möchte, muss (!) zwingend nach unten treten und Witze machen, die socially not so acceptable sind. Und das ist ja schon ein wenig lustig, da hier jemand Comedians strikte Redevorgaben erteilt und darüber befindet, was in Comedy “erlaubt” ist und was nicht, der ansonsten so gerne den Wert der free speech beschwört.

Aber halt, denkst du nicht genauso – mag der eine oder andere hier einwenden. Würdest du nicht sofort Witze, die auf Kosten marginalisierter Gruppen gehen, verbieten wollen? Nein, würde ich nicht. Ich finde: Je weniger die Möglichkeiten in einer Kunstform eingeschränkt sind, umso besser. Mehr Möglichkeiten zwingen die Künstler:innen dazu, mehr Entscheidungen treffen zu müssen. Mache ich diese oder jene Art der Comedy, wähle ich diesen oder jenen Witzmechanismus oder lehne ich alles ab und schaffe etwas ganz Neues? Comedians müssen sich ernster mit ihrer Kunstform auseinandersetzen, müssen sie sich selbst und anderen besser erklären. Worauf wird ein Pianist wohl spannendere Musik spielen? Auf einem Klavier mit 88 Tasten oder auf einem mit nur fünf?

Rogan dagegen will Möglichkeiten einschränken. Comedians soll zwar alles erlaubt sein! Na gut, außer Comedy, die niemals nach unten tritt, die wollen wir delegitimieren und ausschließen. Man muss das mal in Gedanken durchspielen, was für ein großer Teil der Branche damit eigentlich gemeint ist: Alle cleane observational oder confessional comedy, Comedians mit interessanten Gedankengebäuden und Konzepten, mit klugen Onelinern – die halt nur den Faux-pas begehen, nicht nach unten zu treten, all das kann nach Meinung von Joe Rogan weg. Um im Musikbeispiel zu bleiben: Er hätte gern, dass alle Klaviere nur fünf Tasten haben und außerdem immer das gleiche Lied gespielt wird.

Ähnlich funktioniert das in Deutschland etwa bei Satire im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch hier stören sich Rechte oft einfach an der bloßen Existenz widerstreitender Meinungen. Regelmäßig klagen sie, ein irgendwie linksgrün-progressiver Sendungsüberschuss ersticke konservative Stimmen. Böhmermanns ZDF Magazin Royale, Die Anstalt (mit von Wagner und Uthoff) oder die heute show (Oliver Welke) – gehts auch mal ein bisschen weniger radikal

So sehr das Quatsch ist, die Anwürfe verfangen leider ja doch. Weltweit eifern Comedians Joe Rogan nach. Und sogar unter den etwas liberaler gesinnten Comedians der urbanen Szenen ist es en vogue, sich von woken Strohmänner abzugrenzen. Dass sie damit einer Agenda nachhetzen, entgeht ihnen – diese woken Leute, die so komisch reden, sind halt auch echt blöd, oder? Anti-Wokeism ist einer der größten Trends in Comedy.

Und bei der Satire in Deutschland wird sogar doppelt nachgehetzt. Zum einen dadurch, dass es aus einer journalistischen Tradition der Fairness heraus Brauch geworden ist, sich mit den Positionen der Gegenseite auseinanderzusetzen. In der Episode der Anstalt über die Schuldenbremse hören wir gefühlt 80 Prozent der Zeit, was gefährliche Menschen wie Christian Lindner und sein Gefolge alles für Dummheiten machen. Immer werden erst die Positionen lang und breit erklärt, die doch eigentlich widerlegt werden müssen. Und wenn das dann passiert, passiert es zu den Bedingungen, die von der Gegenseite vorgegeben werden. Im Sinne von: Geflüchteten Menschen hilft man nicht, weil sie Menschen sind, sondern weil sie eeeeecht nützlich für die deutsche Wirtschaft sind. Wie viel Progressivität bleibt da noch übrig?

Zum anderen lieben es Satire und Medien gleichermaßen, den Vorwurf zu reflektieren, Satire sei in Deutschland zu liberal. Im Deutschlandfunk wurde jüngst im Medienmagazin Nach Redaktionsschluss wieder mal diskutiert: Bräuchte das Land nicht ein paar Satiriker, die auch konservativere Meinungen bedienen? Wo sind sie denn, die konservativen Stimmen im Fernsehen?

Ich würde ja sagen: Na zum Beispiel bei Nuhr im Ersten, bei Mario Barth präsentiert die größten Stars der Comedy auf RTL, bei Die besten Comedians Deutschlands auf Sat1. Bei allen Übertragungen von Arenashows oder den Comedy Nächten XXL. Auf 3sat oder in den häuslichen Sitcoms im ZDF. An sich überall wo Comedy läuft, man müsste halt das Fernsehprogramm zur Kenntnis nehmen. Und nicht einfach ständig auf Böhmermann oder die Anstalt verweisen. Nur weil die heute show Friedrich Merz schon mal schmunzelnd einen mitgibt, betreibt sie nicht automatisch progressive Gesellschaftskritik.

Die genannte Episode von Nach Redaktionsschluss hatte Glück, dass sie Dietrich Krauß zu Gast hatte, einen Autor der Anstalt, der kundige Sachen beizutragen hatte. “Ich würde einfach mal bestreiten, dass man jedes Problem von links oder rechts anschauen kann”, sagte Krauß. “Man kann sich nicht einfach am Endergebnis stören und sagen: Ich will eine Sendung, wo die Schuldenbremse verteidigt wird.” Wichtig sei es vielmehr, einen Prozess und eine Argumentation abzubilden.

Hier berührt Krauß ein für konservative Satire elementares Problem. Warum sollte Satire für eine konservative Agenda argumentieren – wo doch die Zeiten für nicht-progressive Kräfte kaum etwas zu wünschen übrig lassen? Die Armut wächst, Geld wird von unten nach oben umverteilt, Infrastruktur zerfällt, die Migrationspolitik ist die rechteste seit Jahrzehnten. Nur weil eine Ampel regiert, die sich mal “Fortschrittskoalition” nannte, heißt das ja nicht, dass grüne/liberale/sozialdemokratische Politik gemacht wird.

Meine These wäre: Es gibt kaum konservative Stimmen in der Satire, weil es keine geeigneten Ziele für konservative Satire gibt. Was will Satire aus konservativer Warte aufspießen, wo die Wirklichkeit halt seit mehr als 30 Jahren eine deutliche Sprache spricht? Satire muss sich mit Fakten auseinandersetzen, die man also irgendwie ausblenden müsste, so man sich nicht lächerlich machen will. Und das wäre dann der Grund, warum Künstler wie Dieter Nuhr sich auf den Kulturkampf verlegt haben, auf Nicht-Themen wie das Gendern oder Veganer und gegen eine imaginierte Meinungsdiktatur anrennen. Möglicherweise hat die konservative Satire ein besseres Standing, wenn es mal 30 Jahre lang tatsächlich linke und progressive Politik gibt. Wer weiß.

Bis es so weit ist, könnte man ja zumindest konservative Stand-up-Comedy machen. Also: auf der Bühne eine konservative Persönlichkeit entwickeln, eine konservative Linse präsentieren, durch die man auf die Welt blickt. Wie gerne würde ich mal eine auf humanistischen Grundwerten basierende Kritik des Genderns hören! Eine konservativ fundierte Ablehnung des Tempolimits auf Autobahnen! Oder eine aus christlicher Sozialethik hergeleitete Rechtfertigung geringer Bürgergeldsätze bei gleichzeitiger Amnestie für Steuerhinterzieher. Klingt widersprüchlich – beste Bedingung für spannende Comedy also! 

Allein, es macht halt doch keiner. Man kann noch so lange im Deutschlandfunk diskutieren, aber die progressiven Stimmen können halt eigentlich gar nichts dafür: Wie lange wird es in Deutschland keine vernünftige konservative Satire geben? Solange die konservativen Künstler sie nicht machen.

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4 Antworten

  1. Avatar von Anderer Max
    Anderer Max

    Bei “Eine konservativ fundierte Ablehnung des Tempolimits auf Autobahnen!” haben Sie’s übertrieben, da wird ja jedem klar, dass das ein sarkastischer Text ist.

    Konservative Comedy ist Nach-Unten-Treten, per Definition.
    Konservativismus kann sich ja nicht über die herrschende Klasse lustig machen, weil sie sie ist. Und Selbstironie bei Konservativen? Nicht in diesem Jahrtausend.

    “Wie lange wird es in Deutschland keine vernünftige konservative Satire geben? Solange die konservativen Künstler sie nicht machen.”
    Nein, Sie geben die tatsächliche Antwort ja selbst im Text: Weil es keine Jahrzehntelange progressive Politik gab / gibt. Deswegen können sich Nuhr und Konsorten ja auch nur über die Forderungen und Wünsche von Progressiven lustig machen, weil die Regierung seit Republikgründung eine Konservative in verschiedenen Schattierungen ist. Vielleicht mit Ausnahme Kabinett Brandt I.

    tl;dr:
    Konservative Satire kann nicht existieren weil Konservativismus per Definition den Status Quo repräsentiert.

    1. Avatar von Setup Punchline
      Setup Punchline

      Das ist eine theoretische Argumentation, der ich mich anschließen würde. In der Praxis bleibt unter dem Strich aber das Problem bestehen: Was ist das, worüber die Menschen lachen, wenn sie über Nuhr & Co. lachen oder über transphobe oder rassistische Witze? Und wie geht man mit diesem Phänomen um? Der Nachweis der Unmöglichkeit konservativer Satire (wie ich ihn in der Vergangenheit auch schon oft geführt habe) kann ein liberaleres Gemüt beruhigen. Aber wirkmächtig ist das Zeug ja so oder so, ob es nun bestimmten Maßstäben von Satire genügt oder nicht.

  2. Stephen Colbert hat das mal geschafft, eine solche konservative Persönlichkeit zu spielen. Das war lustig damals.

    1. Avatar von Setup Punchline
      Setup Punchline

      Aber war das nicht lustig in erster Linie, weil er so eine irre, vertrackte Person gespielt hat? Nicht aber doch, weil er Satire auf konservativ gemacht hat?

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