Comedians kommen mit dem Kritisiert-Werden noch nicht so gut zurecht. Dabei geht wenig über den gepflegten Verriss. Ein paar gelungene und weniger gelungene Beispiele.
Hanns Dieter Hüsch ist einer der berühmtesten Kabarettisten des Landes, aber ich kann keine einzige Zeile aus seinem Werk zitieren. Im Gedächtnis geblieben sind mir stattdessen einige Stellen aus einem wuchtigen Verriss über Hüsch. Das Leben ist schon manchmal unfair.
Am 6. Mai wäre Hüsch 100 Jahre alt geworden. Ohne ihn wären Kabarett und Wortkunst in Deutschland nicht das, was sie heute sind. Im Kabarettarchiv in Mainz steht eine Büste von ihm, eine Ehre, die sonst nur dem wesentlich bekannteren Dieter Hildebrandt zuteil wurde.
Und doch: Lustiger ist es der Verriss, den der Satiriker Eckhard Henscheid vor 40 Jahren anlässlich von Hüschs 60. Geburtstag schrieb und der in der Titanic erschien. “Der Allerunausstehlichste”, lautete der Titel. “Sein Geburtstag ist ja wohl der rechte Anlaß: Mit 60 hat einer das Recht zu erfahren, wie widerlich er sei”, schrieb Henscheid. Autsch.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir unregelmäßig einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Ist schon sehr fies, und das wird Kritikern (auch mir bisweilen) entgegengehalten: Warum glaubst du, du müsstest so Bosheiten verbreiten? Vor allem in Comedy sind es die Menschen noch nicht gewöhnt, dass sie als Künstler:innen auch kritisiert werden können. Warum auch nicht, das werden doch Schriftsteller oder Schauspieler auch.
Und, then again: Ist es nicht die viel größere Bosheit, wenn einer faule Kunst macht und das Publikum für dumm verkauft? „Einerseits darf man nicht zynisch sein“, schrieb Henscheid in dem Sammelband Erledigte Fälle (aus dem ich auch den Allerunausstehlichsten entnommen habe). „Andererseits mahnt die Existenz vieler jener Menschen als ein einziger, eitler und aggressiver Zynismus, der ihre Kritiker, stellvertretend für die zum schweigenden Erdulden verdammte Mehrheit, zur Kompensation per Gegenangriff treibt.“
Der Allerunausstehlichste ist unterhaltsam, aber eben nicht, weil hier einer unausstehlichen Person einer reingewürgt wird. Henscheid zeigt minutiös am Werk (und manchmal aus dem Gedächtnis), warum er Hüsch für unausstehlich hält. Er analysiert und argumentiert, zwingend. Und das wäre dann Regel Nummer eins für das Schreiben von Verrissen. Sie dürfen fies sein wie sonst was, aber sie müssen fundiert sein. Nicht einmal der schlechteste und rassistischste Witz rechtfertigt, dass man auf Künstler:innen einteufelt. Die Verachtung oder, eine Nummer kleiner, die künstlerische Geringschätzung muss am Werk gezeigt werden.
Wie das geht, zeigte, ebenfalls 1985, der Kritiker Harald Wieser im Spiegel. Der ging, mit großer Kenntnis des Werks, mit dem österreichischen Kabarettisten Werner Schneyder noch vernichtender um als Henscheid mit Hüsch. “Ich geh’ da unten ab. Ich fehle wirklich sehr. Mein Sterben war nicht fair, weil ich noch Themen hab”, zitiert der Kritiker den Kabarettisten und kommentiert selbst weiter: “Dieser vierfache Irrtum Dr. Schneyders kommt die Lebenden inzwischen teuer zu stehen.” Autsch.
Ein anderes Mal machte es der Spiegel schlechter, als er eine Show des Politically Correct Comedy Club in Wien besuchte, anlässlich der gewichtigen Suche nach einer Antwort auf die Frage, worüber man denn eigentlich noch lachen dürfe. Im Artikel ist notiert: “Der PCCC [sic] ist auch ausdrücklich offen für Unbeholfene: […] manch kümmerliche Performance, die eher therapeutisch als satirisch motiviert zu sein scheint. Das hat dann das Niveau einer Szeneparty, auf der jemand in der Küche mal Dampf ablässt, kein Timing, kaum eine echte Pointe. Wer hier lacht, will freundlich und – ganz wichtig – »woke« sein”
Autsch?
Zur Einordnung: Der PCCC* (der Stern fiel beim Spiegel durch) versteht sich als safe space für queere Menschen und alle, die über die typische Mainstream-Comedy nicht lachen können oder wollen. Es handelt sich um ein Open Mic, auch Anfänger treten dort auf, und die sind dann mit den “Unbeholfenen” im Artikel gemeint. Der PCCC* hat nie behauptet, die bessere Comedy zu machen, noch hat er das eigene komische Konzept (z. B. die Unterstützung durch eine sensitivity reader) zum Muss für die Branche erklärt.
Will man diese Leute in einem Artikel in eine Reihe mit Profis wie Dieter Nuhr und Lisa Eckart zerren, ob man deren professionelle Einlassungen nun gutheißt oder nicht? Will man diese Waffenungleichheit? Ging es hier vielleicht eher um den Genuss am Scheitern eines imaginierten Schreckgespensts namens wOkE cOmEdY? Was ist eigentlich ein Open Mic? Das sind alles Fragen, an deren Beantwortung der Spiegel kein Interesse hatte. Als “Sturmgeschütz der Demokratie” auf Leute bei ihrem teils ersten Auftritt einzudreschen, ist bösartig und auch ein bisschen dumm.
Verrisse müssen auch den Kontext, Position der Verantwortlichen und Machtkonstellationen beachten. Meine Regeln, die ich mir über die Jahre bei Setup/Punchline selbst gegeben habe, lauten etwa: Nur auf mächtige Leute draufhauen, also Leute mit großer Reichweite, großer Bühne, großer Aufmerksamkeit. Leute mit Geld und Meinungsmacht. Produktionsheinis sowieso. Aber selbst bei denen allen: Immer fundiert. Niemals draufhauen um des Draufhauens willen.
Das ist auch der Grund, warum es hier bei Setup/Punchline schon öfter über den Jokeklau von Luke Mockridge ging. Aber nie über den Jokeklau kleinerer, unbekannterer Comedians, selbst wenn die es später ins Fernsehen geschafft haben. Der Zeitpunkt des Klaus ist entscheidend. Wenn eine Comedienne am Anfang ihrer Karriere klaut, geht das als unnötiger Streich durch, ok. Wenn Mockridge für seine riesigen Shows bei Bo Burnham abkupfert (oder Witze über Menschen mit Behinderung bei Shane Gillis klaut), gehört das kritisiert.
Noch ein Fundstück aus meiner Sammlung: Im Jahr 2000 organisierte der Comedian Michael Mittermeier eine Benefizgala für UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Draufhauen oder nicht draufhauen?
Der Kritiker der Süddeutschen Zeitung schrieb: “Das Schöne ist, dass dabei 10 000 Mark zusammen kamen. Und dass die in Äthiopien ja nicht unbedingt mitkriegen, wie die Spende eingespielt wurde.” Autsch?
Ich meine, jeder mit einem halbwegs funktionierenden moralischen Kompass würde hier nicht draufhauen. Ja, Mittermeier ist ein Profi, Mittermeier steht in der Öffentlichkeit. Mittermeier hat Geld. Und ich gestehe sogar zu, dass dem gemeinen Kritiker Stand-up-Comedy im Jahr 2000 noch wie eine Ausgeburt der Hölle vorkommen mochte.
Aber die Benefizgala hat nichts von dem “aggressiven Zynismus”, von dem Henscheid sprach. Angesichts eines humanitären Zwecks, den der Comedian jetzt auch nicht über Gebühr medial ausschlachtete, wirkt es schon seltsam, wenn sich jemand nicht verkneifen kann, sein Gift zu verspritzen.
Und, wieso nicht, einen hab ich noch: Vor kurzem porträtierte (schon wieder dieser vermaledeite) Spiegel den Kabarettisten/Comedian respektive Philosophen-Comedian Florian Schroeder. Der Autor hält Schroeder vor, dass es nicht zum großen Fernseherfolg gereicht hat, obwohl er doch rechts wie links gleichermaßen draufhaue. “[W]enn er im Fernsehen dauerhaft Erfolg haben will, müsste er mehr bieten als die Humoristen in den dritten Programmen, sein Potential ausschöpfen.”
Ist ja jetzt kein direkter Verriss, sondern durchaus auch eine interessierte Auseinandersetzung. Aber wenn eins keinen Erfolg hat oder nur weniger als der Spiegel-Autor für angemessen hält, dann ist das, will ich meinen, eher das Problem des Spiegel-Autors und dem Künstler selbst nicht anzulasten.
Ein echter Verriss ist zu allerletzt: fair. Man wolle die kritisieren Gestalten ja nicht aus der Welt schaffen, schrieb Henscheid, “denn die Welt wäre öde ohne sie”, aber man wolle sie doch “als Zumutungen, die uns schon viel zu lange und hoffärtig auf den Geist gegangen sind, angewidert ad acta legen”. Ein guter Verriss hat auch etwas Heilsames. Für Publikum und Kritiker.
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