It’s a scam

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
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Viele Debatten verlaufen immer gleich und man mag manchmal hieran verzweifeln. Der Autor Dax Werner hat hier etwas fast Tröstendes zu entgegnen und schreibt bei der Titanic, dass der höhere Sinn einer Debatte nicht darin liege, die Gesellschaft nach vorne zubringen, sondern „die kosmische Ordnung der Dinge zu verkörpern“.

Ein, wie gesagt, nur fast tröstender Gedanke. Denn angesichts von gerade wieder aufpoppenden Artikeln (etwa in der Süddeutschen und der FAZ) möchte man – nun aber wirklich – schier verzweifeln. Darin wird erneut in allen Facetten die Geschichte eines „woke mob“ breitgetreten, der wieder einmal umgeht, diesmal in (ausgerechnet!) England und dort über Comedy und Comedians hinwegfegt. Nichts ist diesem sogenannten Mob heilig, keine Legende (ausgerechnet Monty Python!) darf sich sicher fühlen. Er hinterlässt, glaubt man den Autoren, nichts außer verbrannte Erde.

Was derartige Artikel gerne ausblenden: Nichts ist so zeitkritisch wie das Komische. Kultur verändert sich, Geschmack verändert sich, der Witz von heute ist morgen schon alt. Wenn wir jetzt auch noch davon ausgehen, dass Menschen mit zunehmendem Alter im Schnitt(!), nun, etwas unflexibler werden im Geiste, knorriger, trotziger: Mag es da ernsthaft jemanden verwundern, dass „ausgerechnet“ der 82 Jahre alte John Cleese Probleme mit den Gepflogenheiten der Gegenwart bekommt?

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Was ist da nur Ungutes in Bewegung gekommen, fragen manche bang. Dabei ist die Antwort doch: Nichts. Monty Python haben immer auf ihrer Meinung nach heuchlerische Autoritäten gezielt. Früher waren das zum Beispiel die Kirchen, diese Analyse hat überzeugt. Heute ist es der „woke mob“, diese Analyse überzeugt eben weniger. Aber geändert haben sich die (noch lebenden) Mitglieder meiner Meinung nach nicht.

Ebenso falsch ist der Glaube, dass „früher“ einmal alles anders war; sich alle einige waren über die guten Witze und einträchtig beieinander saßen und lachten. Das war ja schon in den 1960ern und 70ern nicht so, wie gerade Monty Python zeigen: Die Sendung bekam so viel wütende Zuschauerpost, dass man das aufgriff, überspitzte und regelmäßig noch absurdere, fiktionale Zuschriften einblendete. („I hereby voice my utter contempt for the previous sketch…“)

Und auch davor gab es dieses Einverständnis bezüglich Komik nicht. Der US-amerikanische Autor und Stand-up-Historiker Kliph Nesteroff sammelt Belege für Kritik an Comedy – und den jeweils folgenden backlash, der beklagt, dies bedeute wiederum das Ende von Comedy. In einer jüngeren Folge von Marc Marons Podcast WTF berichtet Nesteroff, dass sich sogar 1848 schon Menschen in den USA über das rassistische Blackfacing mokiert haben. Feststeht also: Falls es die Zeiten jemals gab, als noch alles in Ordnung war, man noch alles sagen konnte und die Menschen noch Spaß verstanden, muss das vor 1848 gewesen sein.

Bei SZ, FAZ und anderen trauert man ihnen auf jeden Fall hinterher. Und es ist ein bisschen erschreckend, wenn selbst Journalisten von so renommierten Blättern unterhinterfragt Vokabular übernehmen wie „woke mob“ oder „Wokistan“. In einem anderen SZ-Artikel war kürzlich die Rede davon, dass ein amerikanischer Professor einen „Cancel-Sturm“ im Internet „überlebt“ habe. Unbefangenheit ist ein Ideal, das ist klar. Man ist auch als vermeintlich neutraler Beobachter ja immer irgendwie Teil des Geschehens. Aber wer unironisch so schreibt, sollte vielleicht mal hinterfragen, warum er rhetorisch so aufgerüstet hat, und die Motivation, einen bestimmten Artikel zu schreiben, gleich mit.

Aber solche Geschichten bzw. solche „Schauergeschichten für die Boomerseele“ funktionieren eben, wie es der Germanistikprofessor Adrian Daub von der Uni Stanford ausdrückt. Obwohl wir heute in einer unprüden Zeit leben, in der Menschen und vor allem Comedians so viel und so ungestraft äußern können wie niemals zuvor. Anstatt konkret zu überprüfen, wer in den vergangenen Jahren eigentlich wirklich weggecancelt worden ist, ist es vielen Journalist:innen wichtiger, die Deutungshoheit darüber zu behalten, was als gesellschaftliche Krise einzustufen ist und was nicht.

Schlimme Krisen sind dann nicht etwa: die Gefahr des rechtsradikalen Terrors, antidemokratische Netzwerke in der Polizei, die zunehmende Gewalt gegen queere Menschen, Juden, Muslime, die Herausforderungen des Klimawandels. Nein, eine schlimme gesellschaftliche Krise ist, wenn ein kleines Privatcollege in den USA einen Redner wieder auslädt.

Was damit erreicht wird, fast in der genannten Episode des WTF-Podcasts der Host Marc Maron zusammen: „Sadly, all this fight against wokeness […] drives an wedge in the cultural dialogue and in the comedy community. […] A lot of it is very easily turned out by the right-wing propagandists. This serves the movement towards an anti-democratic, fascistic system that is fighting to conquer here.

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