Über die Stand-up-Szene: Im Garten der Comedy

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Im Backstagebereich des Lucky Punch Comedy Club in München wartet auf einem Tischchen eine Handbibliothek der Comedy. Die typischen Schreibratgeber und Biografien von Comedians, ganz unscheinbar, vermutlich hat sich niemand etwas groß dabei gedacht, und viel genutzt wird sie wahrscheinlich auch nicht – immer wenn ich dort war, hat irgendjemand gesagt: „Ach, sowas lese ich ja überhaupt nicht…“ Muss ja auch nicht unbedingt.

Aber ich finde das erstaunlich. Die zwei oder drei Dutzend Bücher sagen doch etwas aus. Sie warten auf jemanden, nämlich auf Menschen, die Teil von einem größeren Zusammenhang, einer Bewegung sind. Sie sagen: Du bist nicht allein. Du bist Teil einer Tradition. Du bist willkommen.

Ein Comedyclub ist nichts ohne Comedians, die auftreten wollen, und dabei könnte man es bewenden lassen und sagen: Irgendjemand wird sich schon finden, seid froh, dass hier eine Bühne steht. Oder man zieht sich seine Künstler:innen selbst heran. Im Lucky Punch (oder zum Beispiel auch im Mad Monkey Room in Berlin) finden mitunter Schreibworkshops statt, die mit einem gemeinsamen Showabend enden, auf dem ausprobiert wird. Wer angefixt ist, geht zum niedrigschwelligen Open-Mic. Wer mehr Material hat, wird von einem netten Host vielleicht mal bei einer Mixed-Show ins Line-up geschoben. Und wer nicht auftreten will, hängt ab und trifft andere Comedians.

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Wie es auch laufen kann, sieht man am Quatsch Comedy Club, der kurz vor Corona eine Filiale in München eröffnet hat. Hier hängen keine Comedians ab, außer die, die auftreten, und die kommen zum Großteil von außerhalb. Es gibt wenig Verzahnung mit der örtlichen Szene. Mitunter findet mit den Hot Shots ein Nachwuchswettbewerb statt, der von eindringlichen Aufrufen, vor allem an Frauen, begleitet wird, sich doch bitte zu bewerben. Aber wenn die es dann nicht tun, tun sie es nicht. Man stelle sich vor, der FC Bayern würde Talentscouting betreiben, indem er Talente dazu aufruft, sich doch unbedingt zu bewerben. Mit wie vielen Talenten würde er am Ende dastehen? Der QCC hat das Angebot in München inzwischen auf zwei Shows im Monat heruntergefahren, und dabei wird es vorerst bleiben, wie man mir aus der Geschäftsstelle mitgeteilt hat.

Eine Szene ist wie ein Garten, der gepflegt, gewässert und gedüngt werden muss. Es ist ein Ökosystem, in dem nicht ausschließlich Orchideen wachsen, sondern wo unter anderem auch Orchideen wachsen, wenn viele andere Parameter passen. (Bitte gerne schwierige, aber schöne Pflanze eurer Wahl einsetzen, bin kein Botaniker.) Passiert nicht eigentlich in so einem Ökosystem in all seiner Komplexität viel Schöneres, Unerwarteteres im Untergrund? Wer braucht schon Orchideen?

Entsprechend wild geht es zu in den Szenen in Deutschland, es gibt Stand-up-Shows, Impro-Shows, formatierte Shows, bei denen Comedians Aufgaben lösen müssen oder politische Jokes schreiben müssen, normale Solo- oder Mixed-Shows, Shows, bei denen nebenher gezeichnet oder mit Powerpoint präsentiert wird, Shows, bei denen Comedians Datingprobleme aus dem Publikum behandeln und und und… ich bemühe noch einmal den Lucky Punch Comedy Club, weil ich ihn vor der Nase habe, aber es gibt die Beispiele ja im ganzen Land. Tag für Tag schauen hier neugierige Comedians aus ganz Deutschland vorbei, mitunter auch Bekannte wie Torsten Sträter, Bumillo (der ein Ticket gekauft hatte, aber dann spontanerweise auch auf die Bühne ging) oder vergangene Woche Felix Lobrecht, der seinerseits die Eröffnung eines neuen Comedyclubs in Berlin bewarb, nämlich des Downstairs Comedy Club. Man kann hier magische Abende erleben und euphorisiert nach Hause gehen. Oder beim Open-Mic Anfänger markerschütternd bomben sehen – das ist mitunter nicht schön, aber wichtig für den Lernprozess, erfüllt also für das Ökosystem Comedyszene eine essenzielle Funktion.

Alles wächst chaotisch in alle Richtungen. Niemand kann vorhersehen, wo es hingeht. Und da Sinngebungsprozesse immer krisenhaft ablaufen, bringt das natürlich gewisse Schwierigkeiten mit sich. Zum Beispiel wurde mit dem Bayerischen Rundfunk schnell ein etablierter Player auf Lucky Punch aufmerksam, schon wird für eine Comedysendung im TV gedreht, bei der gemeinsam junge Stand-up-Comedians und bekannteren Künstler:innen auftreten. Natürlich darf es Berührungspunkte zwischen Traditionslinien geben, und von der gestiegenen Verbreitung und Bekanntheit kann der Club profitieren. Er kann aber auch vom bestehenden Business assimiliert werden. Wenn jetzt nur mehr Urban Priol, Olaf Schubert und Mario Barth aufmarschieren würden, hätte der Club seine Glaubwürdigkeit als hippe und provisorische Festung alternativer Stand-up-Comedy schnell verspielt. Hier die Balance zu wahren, ist keine triviale Aufgabe.

Eine funktionierende Szene weckt auch Begehrlichkeiten. Vor anderthalb Jahren wollte der Youtuber Simon Ruane unbedingt „AUF DROGEN“ Stand-up machen und nutzte für den Clip die Münchner Szene aus. Da Ruane Hunderttausende Follower hat, kamen auch einige zu diesen Shows, heckelten und störten, auch noch im Nachgang seiner Auftritte – es dauerte Wochen, bis die Leute, die an Stand-up kein Interesse hatten, wieder verschwunden waren. (Und Ruane gab zwar an, seinen Prozess auf Instagram zu begleiten, aber sein letzter Stand-up-Clip dort ist drei Monate alt und wurde im Urban Comedy Club gefilmt, der im Juli 2023 schloss und seitdem wieder nur als Veranstaltungsreihe existiert. Ganz so ernst scheint es Ruane also mit der Comedykarriere nicht gewesen zu sein. Und vom Konsum von Drogen rät er selbstredend „strengstens“ ab. Youtuber, ey.)

Nicht immer ist der Effekt so drastisch wie bei Ruane. Aber filmende Influencer und Schauspieler, die sich „Comedian“ in den Lebenslauf schreiben wollen, und dann nach einer Woche wieder in der Versenkung verschwinden, schaden einer Szene. Hey, schöner Garten, ich breche mal eben ein paar Äste ab, trample den Kompost kaputt und halte den Gärtner von der Arbeit ab – auf Nimmerwiedersehen!

Und dann gibt es in einer Szene immer auch mal Skurrilitäten, etwa wenn Euphorie überschießt. Da Clubgründer Michael Mittermeier auch in den USA gut vernetzt ist, gelang es ihm, den in den USA für seine Roasts sehr bekannten Comedian Jeff Ross zu einem spontanen Drop-in im Lucky Punch Club zu bewegen. Das wurde in Comediankreisen begeistert aufgenommen. Dass eine Frau Ross „sexual misconduct“ vorwarf und Vulture erzählte, sie habe als 15-Jährige mit Ross eine Beziehung geführt, fiel unter den Tisch. (Ross klagte wegen Verleumdung, ließ diese Klage später fallen. Vermutlich haben sich die Parteien inzwischen irgendwie außergerichtlich geeinigt.) Gut, man muss das nicht wissen. Auch in den USA interessiert das niemanden, Ross‘ Ruf im Business hat es nicht geschadet. The point being: Bei allem Staunen darüber, was mit Stand-up in Deutschland gerade passiert, gibt es doch bessere Gewährsmänner für eine aufblühende Szene. Zumal Ross zwar in Stand-up-Kreisen berühmt ist, aber dem breiten deutschen Publikum ohnehin nichts sagen wird.

Ganz ohne solche Episoden laufen coming-of-age-Geschichten nun mal nicht ab. Alles normal also in Stand-up-Land. Man kann nur hoffen, dass Mittermeier, Lobrecht & Co. an ihren Unternehmungen nicht so schnell die Lust verlieren. Denn so sehr sie damit zur Institutionalisierung der Szene beitragen und Strukturen ausprägen, so leicht ist doch auch alles rückabzuwickeln. Etwas weniger zugkräftige, aber möglicherweise langfristigere Organisationen stehen noch auch.

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