Comedy-Presseschau vom 28.05.24

  • Jerry Seinfeld hat zwei bemerkenswerte Interviews gegeben, ein sehr interessantes und ein sehr deppertes, im besten Fall kalkuliertes. Im US-amerikanischen GQ spricht er wieder mal viel über das Handwerk, was Seinfeld schon oft getan hat, und was er sehr gut kann. Diese Gespräche sind immer ein Mix aus protestantischem Arbeitsethos, eingängigen Vergleichen (diesmal: Stand-up ist wie Surfen) und viel Altersweisheit.

    Das zweite Interview hat er in einem Podcast des New Yorker gegeben. Hier präsentiert er sich wirr bis bizarr, beklagt sich unter anderem darüber, wie sehr die Linke und political correctness Comedy zu schaffen machen. Dass sich ausgerechnet der Comedian beschwert, dass man nicht mehr alles sagen darf, dessen Lebenswerk wie kein anderes auf cleaner, nicht-edgy Familiencomedy basiert, lässt nur zwei Schlüsse zu: Seinfeld tut sich mit dem In-Würde-Altern schwer. Oder er weiß halt, was er sagen muss, um bestmöglich einen Film zu promoten, auf den die Welt nicht gewartet hat („Jerry Seinfeld is a man who has just made a film about some pastry.“). Naiv, wie ich bin, hoffe ich, Ersteres trifft zu. Siehe hierzu auch: Jerry Seinfeld Jokes That Would Offend the Cancel Police bei Vulture.
  • Es ist der Albtraum von Besuchern von Comedyshows: „Topact“ Oliver Pocher hat beim Sommerfestival des SWR eine Zuschauerin fast eine Stunde lang immer wieder bloßgestellt und gedemütigt, so dass sie offenbar unter Schock stand und laut Bericht in der Stuttgarter Zeitung verzweifelt bat, die Szenen sollten nicht im TV ausgestrahlt werden. Das war zwar ohnehin nicht geplant, hielt aber Pocher nicht davon ab, die „Crowdwork“-Vollkatastrophe auf Instagram auszuwalzen. Tragisch finde ich schon fast, den fehlgeleiteten bothsideism mancher Medien, etwa T-Online, die sich nicht schämen, zu schreiben, dass der Auftritt Pochers „polarisiert“ habe. Ja, es mag Leute geben, die bei so etwas „selbst schuld“ schreien. Und das muss auch nicht verwundern in einer Zeit, die darüber debattiert, ob sich der Staat Maßnahmen gegen Kinderarmut leisten kann. Aber es gibt hier meiner Meinung nach wenig rumzudeuteln, und vielleicht muss man es halt auch einfach mal hinschreiben: Oliver Pocher ist ein unwitziges Großmaul ohne handwerkliches Können und ohne Herz. Er ist der Grund, warum Menschen bei Comedyshows Angst haben angesprochen zu werden. Er ist der Grund, warum Menschen „flotte Sprüche“ und Beleidigungen für Comedy halten. Niemand ist zu wünschen, in die Fänge eines solchen Dilettanten zu geraten, nicht mal Menschen, die freiwillig zu seinen Shows gehen.
  • Das Leben verläuft nicht wie ein Film mit klaren Wendepunkten – außer im Fall des Seinfeld-Schauspielers und Comedians Michael Richards, der sich 2006 mit einem der berühmtesten Stand-up-Sets aller Zeiten spektakulär ins Aus schoss, dass alles zu spät war. (Heute würde Richards dafür recht sicher in den Podcasts von Rogan, Schultz und Legion of Skanks als Held gefeiert, einen Buchdeal einsacken und wer weiß wo auftreten – damals ging das noch nicht.) Nun bewirbt er seine Memoiren und hat People erzählt, dass er den Ausbruch, surprise, damals sehr bereut.

      stand-up comedian fabi rommel

      BIT-EMPFEHLUNG: Fabian Rommel: Respekt vor Katzen (2024)

      Die kleinen Comedysketche von Fabi Rommel finde ich teils solide, teils genial. Mit seinem Special Alpha zeigt er nun, dass der Humor sehr gut auf die Stand-up-Bühne übertragen werden kann. Alpha zehrt davon, dass Rommel so ein Schluffi ist, wie er eben ist. Aber das reicht für den Comedian nicht aus. Im genannten Katzen-Bit wundert sich Rommel, dass eine seiner Erinnerung als Zweijähriger plötzlich abreißt. Dann sagt er einen programmatischen Satz: Entweder ist das also nur ein „normaler Erinnerungsfetzen eines Zweijährigen“ – oder… und in diesem „Oder“ liegt der riesige Schalter verborgen, der für Comedy umgelegt werden muss. Wie man gefundene oder erlebte lustige Dinge in Witze verwandelt, kann man in Alpha erfahren.

      • Daniel Haas schreibt in der ZEIT über den neuen (?) Trend zur „Dirty Comedy“ und meint damit Comedians wie Andrew Schulz oder Big Jay Oakerson, die Crowdwork machen und dabei auch ihre Gäste mal hart angehen. Haas beschreibt:

        „Man knöpft sich die Gäste vor und macht einen Gag auf ihre Kosten. Dafür müssen die offensichtlichen Eigenheiten des oder der Betreffenden blitzschnell erkannt und in eine Pointe verwandelt werden. Haarfarbe, Körperbild, ethnische Herkunft, mutmaßliche sexuelle Präferenzen: Das ist das Material, aus dem Klischees und Vorurteile geschmiedet werden. Und genau diese Anfälligkeit unserer Wahrnehmung für klischeehafte Zuschreibungen greifen die neuen offensiven Comedians auf und spitzen sie mit Ironie und Scharfsinn zu.“

        Naja! Ist halt eine Form des Crowdwork. Und dass das auch inkludierende Wirkung haben kann, wenn man in alle Richtungen austeilt, hatte sich zum Beispiel auch ein Chris Tall mal auf die Fahnen geschrieben und vor ihm schon viele, viele, viele andere. Das amerikanische Englisch hat dafür sogar den Begriff des „equal opportunity offender“ (auch wenn die zufälligerweise natürlich doch nicht immer equal austeilen, sondern merkwürdig häufig gegen Minderheiten, Menschen, die trans sind, oder Frauen).

        Etwas irritierend finde ich diesen Satz von Haas: „Wenn Kulturkämpfe in der Sphäre des Humors und nicht in der konkreten  Wirklichkeit ausgetragen werden, ist das sehr viel weniger gefährlich“ – nach all den Jahren mit Gamergate, Hass im Netz, rechtsradikaler Comedy auf Instagram und Tiktok, Identitären, die Gramsci gelesen haben und Kultur für ihre Zwecke vereinnahmen, und der Präsidentschaft Trumps, die auf dem Credo „politics is downstream from culture“ baute, darf man diese Analyse wohl naiv nennen. Figuren wie Schulz oder Oakerson mögen ja gute Comedians sein. Aber Schulz hat in seiner Comedy Verschwörungserzählungen runtergebetet, und Oakerson verkehrt im toxischen Legion-of-Skank-Kosmos mit Neonazis. Es sind schlechte Gewährsmänner für einen neuen, angeblich inkludierenden Trend in Comedy.

        Lesetipp: How many show runners…

        die showrunner der serie hacks

        Im Interview mit dem Hollywood Reporter sprechen Lucia Aniello, Paul W. Downs und Jen Statsky, die drei Showrunner der Serie Hacks, über ihre Erfahrungen durch improv comedy und generell Comedy als Gemeinschaftswerk. Hier geht’s zum Interview

        Die Presseschau gibt’s auch als Newsletter, einfach hier anmelden:

        Comedy-Newsletter

        Alles zu Stand-up und Comedy: Szeneinfos und Empfehlungen zu Specials, Bits, Interviews, Essays, News, Podcasts und Serien.