Phoebe Waller-Bridge macht einen faden Witz über Männer und Frauen. In Saturday Night Live sagt sie im Herbst 2019, dass sie gemeinsam mit dem Schauspieler Andrew Scott überlegt habe, warum so viele Frauen Scotts Rolle des „Hot Priest“ in der Serie Fleabag so attraktiv fanden. Natürlich sei er hot, klar, aber rechtfertigt das allein den unglaublich „horn storm“? Nein, sagt Waller-Bridge. Stattdessen seien beide zum Ergebnis gekommen: „It was because he was doing this one thing: listening.“ Aha. Großes Gelächter. „Try, guys.“ Waller-Bridge winkt ab und leitet zügig weiter zum nächsten Witz, da schiebt sie noch schnell etwas nach: „But we all find weird things sexy.“
Es ist ein unerwarteter neuer Spin für einen alten Joke, dazu eine gekonnte Überleitung, trocken abgeliefert, ganz nebenbei. Im ganzen Monolog zeigt die britische Drehbuchautorin und Schauspielerin ihre Stand-up-Fähigkeiten: ihr Joke-Writing, Timing, die delivery. Es ist das Prinzip von SNL, dass wechselnde Gastgeber der Sketch- und Comedy-Show neue Impulse geben. Trotzdem gilt: Eingeladen zu werden ist eine große Ehre in der Comedy-Branche, natürlich verbunden mit großen Erwartungen. Waller-Bridge erfüllt sie.
Was für ein komödiantisches Talent Waller-Bridge hat, ist auch in einem Video des Lifestyle-Magazins Vogue zu sehen.
Das Magazin hat die Künstlerin einmal ein paar Minuten für die Rubrik „73 Questions With“ begleitet. Es ist eine große Freude, den Witz, die Schnelligkeit und Schlagfertigkeit zu erleben. Etwa wenn Waller-Bridge unvermittelt an einer Straßenlaterne stehen bleibt und sagt „My favourite lamp post“ oder auf die Frage, welche Frage sie denn öfter gestellt bekommen möchte, antwortet „Are you a model?“. (Falls das alles einstudiert ist, so ist es wunderbar einstudiert.)
Aber eine ihrer Antworten fällt besonders auf. „Would you consider a stand-up, ever?“, fragt der Interviewer. Darauf sagt Waller-Bridge: „Mmmmh… yeah!“ Wie bitte, sie würde darüber nachdenken, mal Stand-up zu machen? Eine Frau, die all die Fähigkeiten versammelt, die für Stand-up maßgeblich sind, hat nie Stand-up gemacht? Wie ist das möglich? Hat sie mit Fleabag nicht sogar eine Serie geschaffen, die auf einem Bühnenmonolog basiert?
Offenbar hat Waller-Bridge nie Stand-up gemacht
Das erinnert an viele Stand-up-Comedians der 1980er und 1990er Jahre, deren Sets oder Bühnenpersönlichkeiten als Vorlagen für Fernsehserien dienten. Zuvorderst ist natürlich Seinfeld zu nennen, dann folgen Roseanne, Home Improvement, Everybody Loves Raymond, King of Queens. Die Liste ist lang.
Jedoch: Fleabag gehört nicht dazu. Nur weil sich aus Stand-up-Sets gut Serien machen lassen, muss nicht jede Serie auf einem Stand-up-Set basieren. Auch wenn sich der Eindruck bei Fleabag natürlich aufdrängt und manche Kommentatorïnnen das fälschlich vermuteten.
Und tatsächlich ist Waller-Bridge auch keine Stand-up-Comedienne, wie man an der Fleabag-Vorlage erkennen kann, uraufgeführt 2013 beim Fringe-Festival im schottischen Edinburgh. Das Stück über schmutzige Gedanken und dreckigen Sex erregte großes Aufsehen, wobei der Sex im Grunde nur als Vorwand dient, großen Fragen nach Schuld, Trauer und Vergebung nachzugehen. Später tourte die Autorin durch Großbritannien, spielte im Londoner West End (quasi dem europäischen Broadway) und dann noch am richtigen Broadway (Off-Broadway) in New York. (Danach tourte das Stück noch als Aufzeichnung durch europäische Kinos, wo auch ich es sehen konnte.) Als Amazon Fleabag als Serie kaufte, hob Waller-Bridges Karriere richtig ab: Sie bekam Emmys und Golden Globes ab, spielte in einem Star-Wars-Film einen Droiden und wurde als Co-Autorin für das nächste James-Bond-Drehbuch engagiert.
Waller-Bridge hat als Fleabag ihr Publikum zu jedem Zeitpunkt im Griff, lässt es jubeln oder sich ekeln. Und manche Passagen würden leicht in Stand-up-Bits funktionieren, zum Beispiel die über die „slutty pizza“: „I mean, the bitch was dripping. That dirty little stuffed-crust wanted to be in me so bad, I just ate the little tart like she meant nothing to me. And she loved it.“
Und doch ist das aus guten Gründen keine Stand-up, sondern eben ein Theaterstück für eine Person. Zuerst einmal steht bei Fleabag die Entwicklung von Charakter und Story im Vordergrund. Das Stück charakterisiert die Protagonistin durch ihre inneren und äußeren Kämpfe und zeigt, wie sie sich dadurch wandelt. Das kann natürlich, darf natürlich lustig sein (ist es auch), aber der Witz ist immer der Story untergeordnet.
„Fleabag“ ist keine Stand-up – aus guten Gründen
Natürlich gibt es Gegenbeispiele, Stand-up-Specials, die eine solche Charakterentwicklung anhand einer Story nachzeichnen. Weil ich das vor kurzem gehört habe, denke ich zum Beispiel an Mike Birbiglias My Girlfriend’s Boyfriend (2013). Comedians benutzen Werkzeuge des Storytelling, Storyteller benutzen Werkzeuge der Komik. Die Grenzen sind selten eindeutig zu ziehen.
Wo Fleabag aber eindeutig ausschert, ist der Faktor relatability. Comedians wollen, dass man sich mit ihnen identifizieren, sie sympathisch oder unsympathisch finden kann. Sie wollen Bezugspunkt für das Publikum sein oder – in einer schwächeren Version – zumindest erreichen, dass das Publikum einen irgendwie gearteten Bezug zu ihnen herstellen kann.
All das geschieht bei Fleabag als Bühnenstück natürlich auch. In einem Interview sagte Waller-Bridge einmal, was sie (und ihre Co-Produzentin Vicky Jones) faszinierend fänden, sei der Prozess des Schälens und Freilegens, bis man zur Wahrheit gelange. Und die laute „Everybody is gloriously fucked up“.
Ein Gedanke, der natürlich äußerst relatable ist, vielleicht der most relatable von allen. Aber der Twist in Fleabag ist dann doch zu krass, hebt alles aus den Angeln, erfordert eine radikale Neubewertung. (Spoiler gibt’s zum Beispiel hier.) Stand-up is about truth – das heißt nicht, dass jede geschilderte Anekdote zu 100 Prozent wahr sein muss. Sonst dürften Comedians zum Beispiel nicht mit Übertreibungen oder Neukombinationen arbeiten.
Aber angenommen, eine Stand-up-Comedienne würde von einem ähnlich dunklen Erlebnis erzählen wie Fleabag, dann könnte man das nicht mehr als kleine akzeptierte Schwindelei abtun. Man müsste vielmehr, aufgrund der wichtigen Bedeutung für das große Ganze, davon ausgehen, dass dieser Kern absolut wahr sei.
„Fleabag“ ist mehr griechische Tragödie als Stand-up
Das würde erst einmal schwer auf einem Publikum lasten und viele Fragen nach sich ziehen: Stimmt das wirklich? Hat sie mit allen Beteiligten geklärt, ob sie das auf einer Bühne erzählen darf? Man würde nicht recht glauben, dass jemand ausgerechnet Stand-up als die Form auswählt, um so ein Trauma zu verarbeiten. Man würde ein solches Stand-up-Set für aufgesetzt halten und die Comedienne ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs sehen. Fleabag ist in seiner Drastik der griechischen Tragödie, näher als ein relatable Stand-up-Special. Wenngleich die Tragik von vielen Witzen und absurden Situationen aufgelockert wird.
Waller-Bridge ist als Autorin fasziniert vom Drama, vor allem von den Gefühlen der Schuld und der Unterdrückung. „In so many ways, women have a louder voice, are more empowered these days, and then in these other really insidious ways, blatant ways, we’re being marginalized again“, sagte sie in einem Gespräch mit Vogue. Als ihre Lieblingspodcasts nennt sie in dem Vogue-Gespräch „Guilt and Fame, The Guilty Feminist. Anything with the word ‚guilt‘ in it“.
Die Tragödie ist die Form, um das Drama in allen Facetten zu beleuchten, denn sie hat einen mächtigen Trumpf. Phoebe Waller-Bridge könnte sicherlich ein brillantes Stand-up-Set schreiben über den Kampf von Frauen im 21. Jahrhundert. Aber nur in der Theaterform kann sie für die Erkundung der Schuld eine so starke Metapher finden und im Drehbuch ausleben. Nur im Schauspiel kann sie etwa in ihren Händen ein (unsichtbares!) Meerschweinchen zu Tode quetschen, begleitet vom eingespielten Geräusch überlaut knackender Knochen (in der Serienfassung wurde die Szene gestrichen). Man will ja nichts ausschließen, aber als Teil eines Stand-up-Sets stelle ich mir das schwierig vor. Dass man die Tat der Protagonistin in Fleabag nachvollziehen, ja fast verstehen kann, zeugt von der Qualität des Drehbuchs.
Apropos Einspieler: Solche gibt es im Drama Fleabag mehrere. Manchmal sind es nur Geräusch wie Fußschritte, Meerschweinchen-Quieker, Orgasmen, manchmal aber auch, wie in der Klammer des Stücks, ein Vorstellungsgespräch.
Stand-up ist mehr und weniger als Schauspiel
Wir erleben Fleabag also zwar stilisiert und allein auf einer Theaterbühne, aber es gibt Elemente, die verdeutlichen: Sie ist Teil der Welt. Sie kommentiert zwar in weiten Passagen, aber sie nimmt sie auch wahr, sie handelt. Und vor allem: Sie reagiert. Sie weiß nicht, was kommt. In der Stand-up wissen Comedians dagegen zu jedem Zeitpunkt exakt, was geschehen wird. Sie können die Unwissenden spielen, aber die Unwissenheit ist nicht nur gespielt wie im Theater, sondern auch unwahr per Konvention. Schließlich bringen Comedians die Welt, in der sie sich bewegen, durch ihre Erzählungen ja erst hervor.
Fleabag wurde zur Serie als adaptiertes Theaterstück. Die erste Staffel hat im Grunde ausagiert, was im Stück schon angelegt war, hat zum Beispiel einzelne Episoden als Szenen oder Handlungsstränge angelegt. Fleabag hat aber nicht, wie die Comedians der 80er und 90er, einen Charakter eingeführt, der als Grundlage für lustige Ereignisse in 10-12 Staffeln dient. Das lässt die schwere Thematik von Schuld und Vergebung nicht zu. Von daher fühlt es sich auch folgerichtig an, dass Fleabag (die Serie) nach zwei Staffeln zu Ende war.
Es zeigt eindrücklich, wie offen Genres sind, wie gängig es ist, dass sich alle Anleihen an anderen nehmen: Literaten an Filmemachern, Filmemachern an Comedians, Comedians an Drehbuchautoren, Drehbuchautoren an Kleinformen wie Witz oder Anekdote – am Ende geht es allen darum, eine tiefere Wahrheit zu vermitteln. Das lässt sich auf viele Weisen erreichen. Weder Serie, Drama noch Stand-up sind dazu besser oder schlechter geeignet.
Freuen würde es mich aber natürlich schon, wenn Waller-Bridge ein Special macht. Wäre interessant.
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