Wie nah ist Comedy an der Tragik, Jakob Schreier?

Autor und Comedian Jakob Schreier als Jaksch in der Comedy-Serie "Fett und Fett"
Jakob Schreier als "Jaksch" in "Fett und Fett"
Sitzt irgendwie ständig im Regen: Jakob Schreier in „Fett und Fett“ (Foto: ZDF/Johannes Brugger)

Sollte man nicht eigentlich mal aufstehen? „Spinnst du? Ich hab 140 Tabs offen!“, sagt Hauptfigur Jaksch in „Fett und Fett“ und bleibt im Bett. Geschichten von jungen, verplanten Großstadtmenschen hat man schon viele gelesen und gesehen. Aber selten sind sie so lockerleicht, sympathisch und tieftraurig zugleich wie „Fett und Fett“. Wie geht das zusammen? Und was macht eigentlich einen gelungenen Witz aus? Ein Treffen mit Hauptdarsteller, Co-Autor, Comedian und Witzesammler Jakob Schreier.

Setup/Punchline: In Fett und Fett zeigt ihr das Leben von Jaksch, einem Tunichtgut in München, der es gut meint und trotzdem ständig in absurde Situationen gerät. Hin und wieder blitzt aber auch etwas Existenzielles auf, etwas Schweres: Jaksch ist nicht einfach jung und verplant, er ist auch ein trauriger Charakter. Beim Partymachen fragt ihn ein Kumpel, ob alles gut bei ihm ist. Jaksch antwortet: „Ich glaub‘, irgendwie nich‘.“ Wie nah ist Comedy an der Tragik?

Jakob Schreier: Es gibt diesen Spruch: Komödie ist Tragödie plus Zeit. Das ist nicht mein Lieblingsspruch, aber es ist etwas dran. Du kannst eigentlich nichts lustiges machen, wenn es nicht einen wahren Kern gibt. Mann kann Comedy sicherlich auch anders sehen. Aber für mich ist dieser wahre Kern das Wichtigste: Der Witz muss auf eine Wahrheit oder eine gefühlte Wahrheit abzielen. Und die ist meistens halt auch traurig. Insofern ist alles, worüber man lacht, irgendwie auch tragisch.

Wieso ist das so?

Weil das Leben an sich tragisch ist.

Warum?

Weil man am Ende stirbt.

Der Tod ist aber ja unausweichlich, für jeden. Ist das dann noch tragisch?

Das kann man so sehen, aber im Einzelfall? Die wenigsten Menschen wollen sterben, auch wenn sie müssen. Und wenn jemand stirbt, sagt man ja auch nicht so leicht: Ja, gut, war ja unausweichlich.

Du findest, über den Tod kann man nur lachen?

Das Lachen ist eine Verarbeitungsstrategie. Es gibt noch andere, damit umzugehen. Musik schreiben, zum Beispiel. Aber um bei der Comedy zu bleiben: Viele der Leute, die ich im Humor-Business kenne, sind entweder Melancholiker oder Zyniker. Solche Leute machen meistens nie „nur“ Comedy. Da gibt es immer ein, ich sage mal, Leiden an der Schwere des Daseins.

FETT UND FETT | 2015-2019 | Mit Jakob Schreier und Isabella Wolf | Regie: Chiara Grabmayr | Buch: C. Grabmayr, J. Schreier, Philipp Klakl, Romina Ecker, Sina Haghiri
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Lass‘ uns doch einen kurzen Film über einen Typen wie dich machen. So sagt das Chiara Grabmayr 2015 zu Jakob Schreier. Also laden die beiden Freunde ein, leihen sich eine Kamera und gehen zum Feiern ins Münchner Charlie. Grabmayr führt Regie, Schreier spielt. Heraus kommt zunächst eine kleine Erinnerung für alle, die mitgemacht haben. Nach und nach werden weitere Folgen gedreht, die auf Festivals auf der ganzen Welt laufen. Für eine zweite Staffel springt schließlich das ZDF auf. Konnte ja keiner ahnen. Und doch sagt Schreier: „Ich find‘s immer wieder faszinierend, wie schon in der allerersten Folge alles drin ist.“ F&F ist noch bis 6. April 2020 in der ZDF-Mediathek zu sehen.

Manchmal ist es auch nur absurd: In einer Folge von Fett und Fett fährt mehrmals ein Auto mit singenden Männern an Jaksch vorbei. Das ist so bescheuert wie lustig. Was sollte das?

Das ist mir tatsächlich einmal passiert, irgendwo im Sommer in einem Stau auf der Autobahn. Die saßen da in ihrem Auto und haben gesungen. Das habe ich mir dann als Idee aufgeschrieben: ein Chor, der auf dem Weg zum Auftritt noch übt. Solche Ideen sammelt man und dann denkt man sich irgendwann: Wäre doch cool, wenn wir das irgendwo einbauen. In der Folge von Fett und Fett hat es gepasst. Wir durften wegen der Rechte keine neueren Lieder verwenden. Es war klar, dass die altes Liedgut singen. Kommt ein Vöglein geflogen, weil Jaksch Angst hat, dass die Freundin schwanger ist. Oder Bruder Jakob: „Schläfst du noch“, heißt es im Lied. In der Folge heißt das quasi: „Checkst du‘s noch nicht?“ Ein bisschen war der Chor auch wie der Chor im griechischen Drama, der das Geschehen kommentiert.

Wie viel ist denn beim Drehbuchschreiben Konzipieren und Strukturieren und wie viel ist einfach: Komm, das bauen wir jetzt auch noch ein?

Ist das nicht das Gleiche? Man klatscht ja nicht einfach eine Idee ins Drehbuch, man überlegt sich: Es wäre schön, wenn das passiert. Was muss also vorher passieren, damit unser Protagonist in diese Situation kommt? Und man muss sich auch eingestehen, wenn es nicht passt.

Drehbuchautor und Comedian Jakob Schreier

Jakob Schreier, geboren 1986, schrieb sich nach der Schule an der Uni für Philosophie ein, was er „versehentlich fertig studiert“ hat (mit einer Abschlussarbeit über die Medienphilosophie Vilém Flussers). An der HFF München dann Drehbuch-Studium. die Humorkarriere begann beim Münchner Ausbildungssender M94.5. Schreier schrieb und schreibt unter anderem für Ottis Schlachthof, Grünwald Freitagscomedy, die Heute-Show und die Kabarettistin Monika Gruber. Als Stand-up-Comedian spielte er Dutzende Auftritte in New York, Los Angeles, Berlin und München. „Dutzende, aber nicht Hunderte, wie es das vielleicht braucht“, sagt er.

Gehst du immer von lustigen oder absurden Situationen aus?

Manchmal hat man ein Thema, zum Beispiel: vom Feiern heimkommen. Dann überlegt man sich, wer die Figur sein könnte, der etwas passiert. Manchmal ist es aber auch anders herum. Dann hat man eine bestimmte Figur, die etwas will, und wenn es nur ist, dass sie nach Hause will. Dann überlegt man: In was für Situationen könnte die jetzt geraten? So ist es immer beim Drehbuchschreiben: Du fängst mit einer Idee an, und während du schreibst, hast du eine andere und noch eine andere. Und die Anfangsidee ist am Ende vielleicht gar nicht mehr drin.


„Wenn mir jemand einen Witz erzählt, dann
kenne ich den in 95 Prozent der Fälle schon“


So war das in der Folge mit dem Chor zum Beispiel. Da sitzt Jaksch verkatert auf einem Spielplatz und kommt ins Gespräch mit einem Kind. Das ist einem Freund von mir so passiert. Der ging morgens vom Feiern nach Hause und hat sich auf einer Bank ausgeruht. Ein kleines Mädchen hat ihn gesehen und war schockiert von dem betrunkenen Mann, ohne genau zu wissen, was das bedeutet. Die ist einfach langsam rückwärts weggegangen. In Fett und Fett ist das so jetzt nicht mehr drin.

Was ist der lustigste Witz, den du kennst?

Ich sammle schon mein ganzes Leben Witze. Ich glaube, ich kann ganz ohne Bescheidenheit behaupten: Wenn mir jemand einen Witz erzählt, dann kenne ich den in 95 Prozent der Fälle schon. Wenn mir jemand ein Thema vorgibt, kann ich recht schnell Witze abrufen. Aber hier muss ich sagen: Diese Frage sorgt für komplette Implosion in meinem Kopf. Ich kann mich nicht für einen entscheiden.

Jakob Schreier und Isabella Wolf als Jaksch und Hanna in "Fett und Fett"
Jaksch und Hanna (Isabella Wolf) in „Fett und Fett“ (Foto: ZDF/Johannes Brugger)

Was macht einen guten Witz aus?

Ich glaube, dass es zu einem großen Teil die Überraschung ist. Mir gefällt ein Witz dann, wenn ich in der Dynamik noch keinen gehört habe, oder zumindest noch nicht viele. Ein Amerikaner, ein Chinese und ein Deutscher sitzen im Flugzeug – da weiß man sofort: Mindestens einer der drei wird am Ende auf ein Klischee seines Landes runtergebrochen. Das ist nicht so interessant. Aber man kann das natürlich updaten. Hier, jetzt doch ein Beispiel: ein Witz, den ich vor kurzem gehört habe, aber den ich noch nicht kannte. Der ist total alt, aber bei mir hängengeblieben.

Wie geht der?

Kommt ein Ryan-Air-Pilot in eine Bar… diese Prämisse ist schon so unglaublich schief. Auf jeden Fall: Sagt er: Entschuldigung, habt ihr ein Bier vom Fass da? Ja klar. Kostet einen Euro heute, Sonderangebot. Sagt der Pilot: Ja, dann nehm‘ ich eines. Ok, wollen Sie vielleicht ein Glas dazu mieten?

Das ist dein Lieblingswitz?

Nein!

Aber du erzählst ihn oft?

Nein, nein. Ich finde nicht, dass das ein guter Witz ist! Der ist wirklich total schief. Und zehn Jahre alt. Und die Botschaft kennt man natürlich. Und ich würd‘ ihn auch nicht erzählen. Trotzdem ist die Dynamik überraschend. Man weiß halt nie genau, was lustig ist. Das ist jetzt blöd, der steht jetzt da als einziger Witz, den ich erzähle! Ein Ryan-Air-Witz von vor zehn Jahren!

Von Stand-up zu „Fett und Fett“

Jakob Schreier als Jaksch in "Fett und Fett"
Wegen Szenen wie dieser wird „Fett und Fett“ gerne in einer Reihe mit großen Münchner Serien wie den „Münchner G’schichten“ genanntund Jakob Schreier in einer mit „Monaco Franze“ (Foto: ZDF/Johannes Brugger).

Setup/Punchline: Du schreibst unter anderem für die Heute Show und für die Freitagscomedy von Günter Grünwald, hast für Ottis Schlachthof Witze beigesteuert und du warst Co-Autor eines Kabarettprogramms für Monika Gruber. Klingt nach einer ziemlich deutschen Humorkarriere. Wie passt es da hinein, dass du in New York Stand-up-Comedy gemacht hast?

Jakob Schreier: Das war 2011. Irgendwie wollte ich schon immer Stand-up machen, aber ich wusste nicht, wo und wie das in München gehen soll. Klar gab es auch damals ein paar offene Bühnen in der Stadt, aber das waren eher so bayerische Brett‘l. Da kam einer, der jongliert hat, dann einer mit dem Akkordeon, dann mal ein Kabarettist. Damals musste ich meine Magisterarbeit [in Philosophie] vorbereiten und eh zwei Monate in der Bibliothek sitzen. Dazu musste ich nicht in München sein.

Ich hatte ein bisschen Geld gespart, hab‘ meine Wohnung untervermietet und hab mich für einen Stand-up-Workshop im Comic Strip in New York angemeldet, dem Club, in dem angeblich auch Jerry Seinfeld seine Karriere begonnen hat. Der hat acht Wochen gedauert und war nur einen Abend in der Woche. Den Rest der Zeit saß ich an meiner Arbeit. Oder war natürlich in Comedy-Clubs. Dort habe ich dann erst verstanden, was die klassische Stand-up von deutscher Comedy unterscheidet.

Und zwar?

Noch vor allen inhaltlichen Kriterien ist da der Stellenwert, den Stand-up als Kunstform in der Gesellschaft hat, aber auch generell Entertainment. Etwas ist nicht weniger wert, nur weil es lustig ist. Diese Szene in New York zu sehen, war faszinierend. Es gibt da ein paar Tausend Leute, die alle Comedians werden wollen. Ein riesiger Talentpool bewegt sich in diesem System an Open-Mics hin zu Bringer-Shows. Und dann sitzt irgendwo in der Stadt zum Beispiel ein Sender wie NBC, von denen schaut ab und an jemand rein und greift sich jemanden ab.

„Als Autor dachte ich zuerst,
80 oder 90 Prozent würde der Text ausmachen“

Wie würdest du die Situation in Deutschland beschreiben?

Es ist ein bisschen so: Film ist ungefähr wie Theater. Man leistet sich das halt so als Kultur. Es gibt nur ganz wenige, die damit richtig Geld machen, und alle zehn Jahre mal ein riesiges, erfolgreiches Projekt wie Das Leben der anderen. Die „normalen“ Filme werden von der Förderung produziert. Wenn in den USA ein Film 80 Millionen Dollar einspielt, werden da ein paar Leute amtlich Millionäre. Man kann massiv Geld mit dem Filmemachen verdienen. Ich sage nicht, dass das besser oder schlechter ist. Es ist einfach anders.

Was hast du in New York gelernt?

Als Workshopteilnehmer konnte man kostenlos in den Comic Strip. Da ich niemanden in New York kannte, war ich jeden Abend da und hab mir immer wieder die gleichen Künstler angesehen, vier oder fünf Mal in der Woche. Du merkst: Die Sets sind Wort für Wort ausformuliert, Sekunde für Sekunde. Die Leute feilen wirklich daran. Und du merkst sofort, wenn jemand mal ein neues Ende ausprobiert oder eine neue Tagline. Das zu beobachten, war meine Schule. Und trotzdem kommt es nicht allein auf den Inhalt an. Als Autor dachte ich zuerst, 80 oder 90 Prozent würde der Text ausmachen und die Performance den Rest. Je mehr man auftritt, merkt man: Das kann auch andersrum sein.

Auf der Bühne bei Ja&Weiter in München
Jakob Schreier bei „Ja&Weiter“ in München (Foto: privat)

Aber ein guter Darsteller ist zum Beispiel nicht automatisch ein guter Comedian.

Das stimmt. Du könntest einen Comedian nehmen – und dann einen Schauspieler, der dasselbe Set spricht. Seine Intonation ist besser, sein Timing ist besser. Trotzdem funktioniert es in den seltensten Fällen, weil die Identifikation fehlt. Im Film dagegen geht das ja wunderbar: Anthony Hopkins ist kein Serienmörder, aber in Das Schweigen der Lämmer spielt er einen sehr überzeugend. Aber wenn jemand auf der Bühne einen Monolog spricht: Dieses und jenes ist mir passiert und es ist ihm gar nicht wirklich passiert, dann vermittelt sich das nicht.

Warum machst du momentan keine Stand-up?

Ja, die Stand-up-Karriere ruht gerade, die ruht eigentlich immer. Ich habe schon Dutzende Auftritte gespielt, aber nicht Hunderte, wie man das eigentlich machen müsste. Nachdem ich aus den USA zurück war, wollte ich auch in Deutschland Stand-up machen. Aber ich dachte: Hier geht das eh nicht. Da habe ich mich natürlich selbst angelogen. Es gab immer irgendwelche Mixed-Shows oder in Berlin auch damals schon die englische Szene. Eigentlich drück‘ ich mich ja nur.

Stand-up ist wie Sport: „Man muss trainieren“

Bist du deswegen nach Berlin gezogen?

Genau, 2017 bin ich nach Berlin, um Stand-up zu machen. Ich dachte immer, mit all dem, was ich über Comedy weiß, muss ich nur einmal auf die Bühne gehen, dann wär alles sofort super. Vielleicht auch zweimal. Das war insgeheim meine Überzeugung. Ist aber natürlich nicht so. Ein paar Monate bin ich dann bei Open Mics aufgetreten, aber dann hab ich es wieder gelassen. Es bringt nur was, wenn du jahrelang drei, vier, fünf oder besser acht Mal die Woche auftrittst. Nicht nur einmal alle drei Monate. Es ist wie beim Sport: Man muss trainieren. Ich hoffe, dass ich irgendwann die Zeit finde und wieder trainiere.

Was werden wir in Zukunft noch von dir sehen?

Man hat ja ständig ein paar Sachen herumliegen, so ist das Autorenleben. Zurzeit arbeite ich an einer Sitcom, mehr möchte ich dazu aber noch nicht sagen. Ich schreibe auch gerade einen Krimi. Das macht Spaß. Alles verläuft in geordneten Bahnen, das finde ich angenehm. Man muss sich nicht ständig fragen, was alles passieren könnte, sondern man weiß zum Beispiel ja, dass ein Verbrechen passieren und wohl irgendwie aufgeklärt werden wird.

Würdest du gerne mal einen Tatort schreiben?

Klar, gerne. Wenn jemand einen Tatort braucht…

Wenn dir irgendein Sender 150 Millionen Euro geben würde und sagt: Mach irgendwas – was würdest du tun?

Jetzt gerade würde ich eine dritte Staffel von Fett und Fett machen.

Aber die kostet doch nicht 150 Millionen…

Wahrscheinlich nicht. Aber wir würden schon gerne noch damit weitermachen. Vielleicht ergibt sich da ja noch was.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast. Möchtest du zum Schluss noch etwas loswerden?

Ja – dass dieser Ryan-Air-Witz nicht mein Lieblingswitz ist. Das möchte ich bitte nochmal klarstellen.

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