Polt und Wells / German Humor / Robert Gernhardt

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
Comedy-Newsletter von Setup/Punchline

Man in the mirror.

Der Philosoph Diogenes (der aus der Tonne) war zynisch, respektlos, stellte vieles in Frage und machte allen Leuten Vorhaltungen. Das ging nicht nur den Mächtigen in Athen auf die Nerven, sondern auch den normalen Leuten. Zur Verteidigung soll Diogenes gesagt haben, er ahmte mit seinem Tun einen Chorleiter nach. Chöre neigen immer dazu, die Tonhöhe zu verlieren. Darum gibt der Leiter den Ton immer etwas zu hoch an, damit der Chor diesen dann trifft.

Womit wir schon bei Serdar Somuncu sind und dem jüngsten Skandal (hier sehr schön zusammengefasst nachlesbar). Somuncu kann man durchaus in der Tradition von Diogenes sehen. Die Frage ist halt, ob dieses Drüber-Singen noch zeitgemäß ist. Künstler:innen sagen gern Dinge wie: „Wir halten der Gesellschaft einen Spiegel vor. Wir legen ihre Brüche, Widersprüche und Lächerlichkeiten offen.“ Heute kommt mir das oft etwas bevormundend vor. Ich bin ein lächerlicher, kleiner Mensch und weiß sehr gut selbst, wann ich Heuchler bin, wann Opportunist. Was bleibt übrig, wenn sich das Spiegelvorhalten überlebt hat?

Ein schwer erträglicher Seitenaspekt dieser Debatte sind übrigens die Menschen, die „ja schon immer gesagt haben“, dass deutsche Comedy scheiße ist, und deutsche Comedy-Podcasts alle identisch und langweilig. Ob man ihn mag oder nicht: Somuncu ist speziell. Er taugt nicht als Sinnbild für Comedy, geschweige denn deutsche. Und die Zahl der Comedy-Podcasts wächst exponentiell. Wenn ihr die alle angehört habt, reden wir weiter.

Neu bei Setup/Punchline

Seit 40 Jahren steht Kabarettist/Komiker/Keschichtenerzähler Gerhard Polt immer mal wieder mit Mitgliedern der Familie Well auf der Bühne (u.a. Biermösl Blosn). Zum Jubiläum konnte ich Gerhard Polt und Michael Well treffen. Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, wurde es kein Gespräch über Stand-up. Aber das ist gar nicht schlimm.

In den USA greift der Trend zum DIY-Special um sich. In Deutschland kann man die selbstproduzierten Shows noch an einer Hand abzählen. Einer, der den Schritt gewagt hat, ist Shahak Shapira mit German Humor. Meine Gedanken dazu gibt es hier.

Man soll ja nicht alles toll finden als Journalist. Maybe it’s just me, aber ich habe Was gibt’s denn da zu lachen? mit großem Gewinn gelesen. Danke an Jakob S. für den Tipp. Der Autor Robert Gernhardt (1937-2006) hat die Neue Frankfurter Schule und später die Satirezeitschrift Titanic mitgegründet. Für die Titanic hat Gernhardt zahlreiche Humorkritiken geschrieben, die im Buch versammelt sind.Hier gibt’s weniger eine Rezension als eine kleine Einführung.

Comedy-News

  • Sorry, we’ve already got a black act! Ähnlich wie bei Stand-up von Frauen, sehen sich auch Schwarze Menschen dem Vorurteil ausgesetzt, dass alle den gleichen Stil haben und das gleiche Material spielen. Eben: „Schwarzes“ Material. Vice hat mit Schwarzen Comedians gesprochen und beleuchtet die Hintergründe in der britischen Szene.
  • Apropos Aussagekraft von Preisen: „Der Deutsche Comedypreis ist ein schlechter Witz“, schreibt Autor Stefan Stuckmann bei Übermedien. Er zeigt, welche Verbandelungen dazu führen, dass ständig dieselben Nasen gewinnen. Oder dass ein Jurymitglied ausgezeichnet werden kann. Oder Comedians ausgezeichnet werden, die an der Comedypreis-Firma beteiligt sind. Oder oder oder… auf jeden Fall eine sehr absurde Veranstaltung.
  • Saturday Night Live geht demnächst in die 46. Staffel. Der Cast bleibt gleich und Jim Carrey wird wohl US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden spielen. (TheInterrobang)
  • Stand-up für Kinder! Kennt man nicht nur von John Mulaney, im Vereinigten Königreich ist das mittlerweile ein kleiner Trend. Und nein, Kinder sind nicht genügsamer, als Publikum sind sie viel schwerer zu handeln: Kids can smell fear! (Guardian)

Schau-Tipp: Asian Privilege

Logo von Asian Privilege von Loy Lee

Der Stand-up-Comedian Loy Lee hat auf Youtube ein 25-minütiges Special veröffentlicht: ohne Publikum, ohne Gelächter. Eine sehr weirde Idee, die ex negativo reflektiert, warum Stand-up ein Publikum braucht – und welche merkwürdigen Konventionen beim Filmen von Stand-up bestehen.

>>> Hier geht es zum Newsletter-Archiv.