Vom Avantgarde-Zirkel zur Szene: Die Entwicklung der Berliner Stand-up-Szene
2015 gab es für Comedians in Berlin kaum Möglichkeiten, auf Deutsch aufzutreten. Was ist da in der Zwischenzeit passiert? Und wo führt es hin?
2015 gab es für Comedians in Berlin kaum Möglichkeiten, auf Deutsch aufzutreten. Was ist da in der Zwischenzeit passiert? Und wo führt es hin?
Man in the mirror. Der Philosoph Diogenes (der aus der Tonne) war zynisch, respektlos, stellte vieles in Frage und machte allen Leuten Vorhaltungen. Das ging nicht nur den Mächtigen in Athen auf die Nerven, sondern auch den normalen Leuten. Zur Verteidigung soll Diogenes gesagt haben, er ahmte mit seinem Tun einen Chorleiter nach. Chöre neigen immer dazu, die Tonhöhe zu verlieren. Darum gibt der Leiter den Ton immer etwas zu hoch an, damit der Chor diesen dann trifft. Womit wir schon bei Serdar Somuncu sind und dem jüngsten Skandal (hier sehr schön zusammengefasst nachlesbar). Somuncu kann man durchaus in der Tradition von Diogenes sehen. Die Frage ist halt, ob dieses Drüber-Singen noch zeitgemäß ist. Künstler:innen sagen gern Dinge wie: „Wir halten der Gesellschaft einen Spiegel vor. Wir legen ihre Brüche, Widersprüche und Lächerlichkeiten offen.“ Heute kommt mir das oft etwas bevormundend vor. Ich bin ein lächerlicher, kleiner Mensch und weiß sehr gut selbst, wann ich Heuchler bin, wann Opportunist. Was bleibt übrig, wenn sich das Spiegelvorhalten überlebt hat? Ein schwer erträglicher Seitenaspekt dieser Debatte sind …
Mit dem satirischen Künstler Shahak Shapira war Deutschland zufrieden, den Comedian verstand es erst mal nicht. In „German Humor“ macht er dem Publikum komplexere Stand-up schmackhaft.
Greta-Witz incoming. Ein ganzes Land diskutiert mal wieder über einen vermeintlich unsäglichen Witz, der vermeintlich auf Kosten von Greta Thunberg gemacht wurde. Bei diesem Land handelt es sich aber nur vermeintlich um Deutschland. Stattdessen gab es die Aufregung Anfang des Jahres in Großbritannien. Comedienne Rosie Jones hatte bei einer TV-Show gesagt: „Greta’s amazing and what she’s doing is brilliant. But don’t do it now. She needs to live a little, she’s only 16. She should be doing two things – drinking Lambrini and getting fingered.“ Große Aufregung bei den Briten, Programmbeschwerden, wütende Tweets, Showgäste, die sich distanzieren. Die spinnen, die Briten – würde ich sagen, wäre mir das alles nicht irgendwie vertraut. Natürlich lachen wir über das, was wir kennen. Aber man könnte sich durchaus öfter hinterfragen: Sind Witze – rassistische/homophobe/sexistische etc. ausgenommen – wirklich off limits, nur weil sie meinen Geschmack nicht treffen? Als ich von Rosie Jones las, hatte ich mich noch gar nicht entschieden, ob ich das lustig finden soll oder nicht, da hatte ich spontan schon laut losgelacht. Sorry. Man bekommt …
Banalitätsverdacht. Ein Freund schrieb mir vor kurzem, das mit dem Stand-up-Magazin sei ja schön und gut, aber er habe sich beim Lesen parallel erstmal durch das Begriffsdickicht googeln müssen. Recht hat er. Der Jargon ist voller Anglizismen (Spot, Line-up, Punchline) und obendrein nicht unbedingt intuitiv: Bomben ist negativ, Killen positiv? But why? Es ist zwar keine riesige Schwelle, aber immerhin eine Schwelle. Schon klar, dass sich manche dann eher abwenden als Jokes zu bouncen. Für ein kleines Comedy-Lexikon habe ich darum ein paar Begriffe zusammengetragen. Die Definitionen sind nicht hochoffiziell, schließlich gibt es keine DIN-Norm für Comedy (noch nicht!). Aber man kann sich mit der Liste einen ersten Überblick verschaffen. Falls jemand fragt: Auf den in der deutschen Kulturlandschaft sehr wichtigen Begriff „Banalitätsverdacht“ habe ich verzichtet. Ein blöder Begriff, der den Umgang mit vermeintlich banalen Dingen wie Comedy in Deutschland auf den Punkt bringt: Er nimmt eine Abwertung vor und suggeriert obendrein, dass das vermeintlich Banale verdächtig und anrüchig ist. Schon schade. Denn erstens kann auch das Banale sehr kunstvoll sein. Und zweitens ist das …