Wenn gelacht wird, war’s wohl lustig. Es gehört zu den Eigenheiten von Comedy, dass man immer erst hinterher weiß, ob sie gelungen ist. Selbst der am kunstvollsten formulierte Witz kann beim Publikum durchfallen. Wie praktisch wäre es für Comedians, wenn sie schon vorher wüssten, wie etwas bei den Zuhörerïnnen ankommt. Beziehungsweise: Lassen sich aus der nachträglichen Bewertung eines Witzes Regeln für Humor aufstellen, die es erlauben, objektiv lustige Witze zu schreiben?
Viele haben sich im Laufe der Jahrhunderte schon Gedanken darüber gemacht. Und wer solche Gedankenspiele mag, für den ist Humour. A Very Short Introduction ein geeigneter Überblick. Aber: Was Humor ist und wie man ihn am besten einsetzt, um Lacher zu bekommen – diese Fragen beantwortet der Autor, der US-amerikanische Philosoph und Filmwissenschaftler Noël Carroll, natürlich nicht. Für jedes seiner Beispiele lassen sich zig Gegenbeispiele finden. Allerdings weiß das Carroll selbst auch. Es handelt sich bei Humour eben nicht um ein naturwissenschaftliches Werk, sondern um ein philosophisches. Antworten auf die letzten Fragen werden wir nie haben. Und dazu zählt nun mal auch, was Menschen zum Lachen bringt.
Bücher über Comedy
Was ist Humor, wie schreibt man einen Witz und was haben berühmte Comedians in ihren Leben erlebt? Diese Rubrik widmet sich dem, was wir aus Büchern über Comedy lernen können.
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Carroll geht es eher ums Nachdenken: Auf 126 Seiten schafft er eine Arena, in der er verschiedene theoretische Ansätze und moralische Positionen gegeneinander antreten lässt. Das erinnert in seiner Unerbittlichkeit an alberne Kampfformate wie Robot Wars. Jede Theorie hat ihre Eigenheiten, Werkzeuge oder Waffen. Aber erst im Aufeinandertreffen offenbaren sich die Stärken und Schwächen. Jede noch so kleine Schwachstelle der Überlegenheitstheorie des Humors wird seziert, jeder Widerspruch im Gedankengebäude des „Komischen Immoralismus’“ wird aufgesägt. Das Buch bewegt sich Argument für Argument vorwärts, jeder Satz basiert auf dem vorhergehenden. Darum ist Humour. A Very Short Introduction etwas mühsam zu lesen, dafür aber dicht und reich an Gedanken.
Ein Beispiel:
„So provisionally, let us say that creatures like us are in a state of comic amusement just in case (i) the objects of one’s mental state is a perceived incongruity which (ii) one regards as non-threatening or otherwise anxiety producing, and (iii) not annoying and (iv) towards which one does not enlist genuine problem-solving attitudes (v) but which gives rise to enjoyment of precisely the pertinent incongruity and (vi) to an experience of levity. And humour then is the response-dependent object of comic amusement, characterized thus.„
Oder, kaum besser, meine Übersetzung:
„Vorläufig also sagen wir, dass sich Wesen wie wir genau dann in einem Zustand der komischen Amüsiertheit befinden, wenn (i) sich der eigene Geist mit einer wahrgenommenen Inkongruenz beschäftigt, die (ii) man als nicht bedrohlich oder in anderer Weise als Auslöserin von Angst und (iii) als nicht unerfreulich empfindet und die (iv) man nicht als Rätsel ansieht, das es zu lösen gilt, aber die (v) gleichzeitig Vergnügen an genau dieser Inkongruenz entstehen und (vi) einen Unbeschwertheit erfahren lässt. Humor ist dann das reaktionsabhängige Objekt der so charakterisierten komischen Amüsiertheit.„
In drei großen Kapiteln kreist Carroll den Humor ein. Los geht es bei den griechischen Philosophen Platon und Aristoteles, Theorien des Humors und harter Definitionsarbeit. Es folgt eine Einordnung des Humors (bzw. dessen, was er auslöst) als Gefühl. Im letzten Kapitel steht die Moral im Fokus und vor allem die Frage, ob und inwiefern ein Witz gut oder schlecht, rassistisch, sexistisch etc. sein kann – und was das über die aussagt, die über ihn lachen.
Was ist Humor und wenn ja, wie viele?
Nie verliert der Autor dabei das Ziel aus den Augen: die wendigsten philosophischen Kampfroboter zu bestimmen, die auf die große Bandbreite humorvoller Äußerungen losgelassen werden können. Soll heißen: diejenigen philosophischen Werkzeuge, mit denen man Humor am besten erfassen kann.
Als solche entpuppt sich nach Carroll auf der Definitionsebene die sogenannte Inkongruenztheorie des Humors, denn sie lässt sich am ehesten praktisch nutzen. Grob besagt sie: Etwas stimmt nicht mit dem überein, was wir erwarten, und darum lachen wir. Indem man nun Witze darauf untersucht, wo und wie groß die jeweilige wahrgenommene Inkongruenz ist, kommt man dem Geheimnis auf die Spur. Oder zumindest etwas besser als etwa mit der Überlegenheitstheorie (man lacht, weil man sich für etwas Besseres hält).
Dazu kommen hilfreiche kleine Werkzeuge, etwa die Einführung der Kategorie des comic amusement. Humor ist nur als Humor zu definieren, wenn er dieses amusement bei den Betrachtern oder Hörern auslöst. Dass Witz und Reaktion nicht in eins fallen, klingt zwar banal, Comedians im Elfenbeinturm können es aber gerne mal vergessen.
Ein weiterer Kniff ist das Konzept des humor tokens. So nennt Carroll eine konkrete Humoräußerung in einem bestimmten Kontext vor einem bestimmten Publikum. Wirkt zunächst wie eine Formalität, verleiht aber Beweglichkeit bei der nächsten Diskussion darüber, was Humor darf und was nicht. Denn Humor ist immer schmutzig, in dem Sinne, dass er nie als reine Idee jenseits aller Moral vorliegt.
Humour ist kein vollständiger Überblick über kursierende Humortheorien. Humour klärt nicht, worüber man lachen darf und worüber nicht, was noch lustig ist und was schon „politisch inkorrekt“. Sein großes Verdienst ist ein philosophisches: Es zeigt auf, dass Humor im Fluss ist und alle Positionen des Humors eben Positionen sind. Niemand hat für alle denkbaren Fälle eine Lösung parat. Bringt vielleicht manchen dazu, in der nächsten Shitstorm/Humor-Diskussion seine starre Haltung etwas zu lockern.
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