Kürzlich war Deutschland wieder im Zustand der Hoffnung, Entzückung und Einfallslosigkeit versunken. Fußballeuropameisterschaft! Und das hieß eben auch: Zeit für augenzwinkernde Kolumnen. Weil der europäische Fußballverband UEFA sämtliche erzielten Eigentore in der Torschützenliste unter einem Eintrag subsumiert, nahmen dies zahllose Medien zum Anlass, diesen erfolgreichsten Schützen des Turniers zu porträtieren. Wer ist nur diese Wunderstürmer „Eigentor“? Was haben wir gelacht. Ächz.
Es steckt hier eine für Comedy wichtige Lektion drin, nämlich: Gute Ideen hören, wenn alle gleichzeitig sie haben, auf, gute Ideen zu sein, und fangen an, richtig nervige Scheißideen zu sein, vor denen Künstler mit halbwegs Anspruch sich tunlichst hüten sollten, sie zu haben.
Wie man besser über Fußball sinniert, hat schon im Jahr 1989 – aber immer noch zeitlos – der niederbayerische Liedermacher und Entertainer Fredl Fesl gezeigt. „Plötzlich müllerts vor dem Kasten. Das Volk schreit Uwe, wie mir scheint. Da schießt der Müller knapp daneben, denn er war ja nicht gemeint“, heißt es in Fesls Fußball-Lied.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir unregelmäßig einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Fesl hatte eben eine Idee, die nicht jeder hatte. Und dann wird’s halt auch mal lustig. Er konnte die Verrücktheit der fußballgeprägten Zeiten in wenige Zeilen gießen. Und er erhob sich eben nicht über Fußballer oder Fans, sondern ging den entscheidenden Schritt weiter. Ähnlich hat das in jüngerer Zeit etwa John Mulaney gemacht, als er für die Trump-Ära die Metapher des “horse loose in a hospital” fand. Die Punchline war nicht plump „Donald Trump ist ein gefährlicher Irrer“. Man muss das nicht immer so explizit machen wie manch deutsche Kabarettisten, denn indem Mulaney erhellt, was Trumps Präsidentschaft mit Gesellschaft und Aufmerksamkeitsökonomie anstellt, vermittelt sich das ja sowieso mit.
Zurück zu Fesl. Der ist Ende Juni gestorben, im Alter von 76 Jahren. Er hatte so tolle Ideen. Zum Beispiel den Königsjodler, ein Lied, bei dem er, haha, falsch jodelt. Aber es steckt halt in einer Handvoll Zeilen so viel mehr drin. Das Lied handelt ja von einem schlechten Jodler, aber eben auch von einem König, dem Deutungshoheit über Kunst, Kultur und Geschmack nur qua Geburt zusteht, aber mit Blick auf Kompetenz vielleicht nicht zustehen sollte. Es ist Autoritätskritik, aber liebevoll und kindlich-unschuldig verpackt.
Und es ist ein eigener Stil. Was Fesl tat, sah aus wie bloßer Quatsch, dabei war seine Persönlichkeit als Anker notwendig, auch wenn diese eher im Hintergrund bleibt. Viele Witze aus dem Comedyfernsehen kann jeder weitererzählen – aber den Königsjodler weitererzählen? Weird. Richtig performen konnte den nur Fesl.
Und das ist auch eine der großen Unterschiede zur aktuellen Comedy im TV, auf Instagram oder bei der auf Festivals so geschätzten Strohfeuer-Comedy. Dort gibt es keine Anker, keine Persönlichkeit, keine starke Prämisse – es gibt allenfalls noch einen losen thematischen Rahmen (mein Onkel, meine Eltern, mein Leben als…) und dann folgen in willkürlicher Abfolge lustige Gedanken zum Thema. Und weil keine Richtung vorgegeben, kein Prinzip erkennbar ist, strengt das meist nur an. Funny is funny, leider eben nicht zwangsläufig.
Nicht alles aus Fesls Werk ist gut gealtert, aber Komik ist halt auch zeitkritisch. Insofern kann man ihm das auch verzeihen – genauso wie ihm das Publikum immer verziehen hat, wenn er schwätzende Zuschauer mal mit einem “Du hältst jetzt dein Maul!” bedachte. Es passte zur Persona, dass man ihm einfach nicht böse sein konnte oder wollte.
Was hat nun aber Fesl mit Stand-up-Comedy zu schaffen? Nichts, möchte man meinen, spielte er ja ein Instrument, Gitarre, obendrein auf die biedere klassische Art, bei der der Korpus zwischen den Oberschenkeln gehalten wird. Aber an ihm kann man etwas über die Evolution der Kunstform lernen. Denn Fesl ist das, was man in der Biologie als evolutionäres Bindeglied bezeichnen würde. Er ist weder der einen noch der anderen Seite klar zugehörig, ist weder Comedian noch Sänger noch Musiker noch Entertainer, sondern alles zusammen, und stellt eine Zwischen- oder Übergangsform dar. Erst in der Rückschau lässt sich die Evolution feststellen.
Fesl dichtete und spielte Gitarre – da er sich aber nicht in der Lage sah, durch musikalisches Können zu überzeugen, dehnte er die Ansagen seiner Stücke immer weiter aus, teilweise bis auf eine halbe Stunde, um dann mitzuteilen: Ach, jetzt spiel’ ich doch ein anderes.
Dieses Schema kann man weltweit beobachten. Etwa in den US-amerikanischen Vaudeville-Theatern, wo Ansager zwischen verschiedensten artistischen Nummern auftraten, um das Publikum bei Laune zu halten. In den englischen music halls, wo zwischen musikalischen Darbietungen ein schwarzes Stück Stoff hochgehalten wurde, damit hinten diskret umgebaut werden konnte. Vorne leitete ein Moderator zur nächsten Nummer über. Genauso beim französischen Cabaret sowie beim darauf zurückgehenden deutschen Kabarett.
Der eigentliche Inhalt (Musik, Tanz, Artistik, Jonglage etc.) trat zurück, wurde immer unwichtiger. Es wurde offenbar, dass es nicht unbedingt Instrumente, Rollschuhe oder verschwindende Kaninchen braucht, um Menschen zu unterhalten. Künstler wie Fredl Fesl haben Zuschauer:innen daran gewöhnt, dass auch der bloße Vortrag eine Kunstfertigkeit sein kann. Die Welt ist voller solcher Fossilien wie Fesl, solcher Urvögel, die uns Auskunft über eine kulturelle Evolution geben.
Wer sind die Fossilien eurer Heimat? Schreibt es mir gerne per Mail oder hier drunter in die Kommentare!
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