Wer über Faisal Kawusi redet, muss von Comedy schweigen

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
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Die Comedienne Meltem Kaptan hat jüngst im Interview ohne Worte im SZ-Magazin – wenn ich das Foto richtig interpretiere – die deutsche Comedyszene einer, nun ja, breitbeinigen Brachialität geziehen. Ja, das ist ein Anwurf, der immer geht. Obgleich man schon sagen muss, dass Kaptan zu dieser Brachialität mit ihrer nun auch nicht direkt subtilen Comedy ja auch ihr Scherflein beigetragen hat. Aber nun spielt sie eben in Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush (und, wie ich lese, auch überzeugend). Und in Deutschland hat Film nun mal mehr Glamour als Bühne. Da will man die Vergangenheit dann schon mal hinter sich lassen.

Überhaupt frage ich mich: Liegt was in der Luft? Ist es der Frühling? Haben Bühnenkünstler keine Lust mehr auf Bühne? Der Kabarettist Dieter Nuhr macht gerade eine Ausstellung mit Zeichnungen und verfremdeten Fotografien (Erstere etwas stärker als Letzere). Und der Comedian Faisal Kawusi scheint nur noch auf Instagram und in Talkshows stattzufinden.

Überhaupt kurz zu Kawusi. Der ist ja einer der Sorte Comedians, die lieber den Witz ausspart als die Provokation. Auf seinem Tourplakat inszeniert sich Kawusi als der ermordete Schwarze George Floyd. Er macht auf der Bühne schon mal einen rassistischen Witz oder sagt das (englische) N-Wort. Und er ist einer, der es geschafft hat, über die kürzlich von Joyce Ilg schon recht hoch gelegte Latte behämmerter Witze über KO-Tropfen noch drüberzuspringen. Bei Stern TV durfte er sich dann entschuldigen und sagen: „Ein allgemeines Regelbuch für Comedy aufzustellen, was für alle gilt, das wird niemals funktionieren.“

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Tja, da hat er schon recht, der Kawusi. Aber es ist natürlich auch eine geschickte Verschiebung des Torpfostens – über ein Regelwerk für alle zu sprechen, wo es doch eigentlich nur um die Entgleisungen einer Einzelnen ging. Denn nur weils kein Regelbuch gibt und auch keins geschrieben wird, macht das ja Kawusis Witze nicht besser. Es sind nicht viel mehr als Klingelstreiche, bei denen kein Handwerk stört; aber halt so (hust) brachiale, dass man nicht umhinkommt, die Tür aufzumachen. Weil das im Fall Kawusi aber die Satirikerin Sarah Bosetti schon sehr treffend getan hat, wenden wir uns jetzt einer anderen Sache zu.

Einer ganz unerhörten gar; einer, die oft untergeht, weil Leute wie Kawusi zu viel der Aufmerksamkeit beanspruchen: nämlich der Comedy. Seit ein paar Wochen erfreue ich mich an einem Bit, das der Hamburger Comedian Alex Stoldt im Comedy Studio Berlin gespielt hat. Darin geht es um absolute Stand-up-Klassiker: Exfreundin, Beziehung, Trennung. Aber das Bit unterscheidet sich trotzdem wohltuend von den klassischen on-the-nose-Bearbeitungen dieser dankbaren Stand-up-Topoi (die wir alle kennen? Die wir alle kennen!).

Stoldt reiht nicht nur lustige Beoachtungen aneinander. Er bemüht sich um Jokes, also Erwartungsaufbau und -enttäuschung. Er geht langsam und subtil vor, mit Auge fürs Detail – eine Viertelsekundenpause zu timen wie bei „ich wollt’ halt gerne… mit“ (lang genug, damit’s der Zuschauer merkt, kurz genug, damit der Comedian nicht eitel rüberkommt) kriegen nicht viele hin.

Am auffälligsten aber, weil eben so selten, ist: Die Nummer hat Struktur. Stoldt gibt sich mit dem Sternschnuppenspiel ein Thema vor, das er wiederholen, variieren und absurd steigern kann („Ich wünsch’ mir eine Sternschnuppe“). Der Comedian schafft sich ein Reservoir, das er immer neu für Witze anzapfen kann; Callbacks sind nicht reine Erwähnungen, sondern tragen Neues bei, verändern; und dann ist die Wiederholung selbst ja noch Metakommentar auf die Beziehung – all das innerhalb von nur fünf Minuten.

Comedians wie Kawusi haben meist nur einen Mechanismus zur Verfügung: Sie sagen krasse Dinge und müssen sich – weil sie sich nur auf der Ebene des Inhalts bewegen – naturgemäß immer noch extremer äußern, um sich zu steigern. (So eine Überbietungsspirale funktioniert auch umgekehrt mit woken Botschaften.) Stoldt dagegen bewegt sich auf der Ebene der Form: Er weiß, dass, was der komische Künstler sagt, zweitrangig, wie er es sagt, entscheidend ist.

Das Beziehungsbit ist eine mehrdimensionale Nummer, die atmet. Und selbst wenn man nicht über jeden Joke lachen muss, muss man anerkennen: Hier reiht einer bedächtig Satz an Satz. Hier denkt einer drüber nach, was er tut. Und so sollte das doch sein in Comedy. Aber weil’s in Zeiten von Kawusi, Ilg und Co. nicht so ist, sage ich: Auch mal schön.

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Eine Antwort

  1. […] Wer über Faisal Kawusi redet, muss von Comedy schweigen | Bernhard Hiergeist von Setup/Punchline über den Bezug von Provokation und Witz am Beispiel von Faisal Kawusi. «Der ist ja einer der Sorte Comedians, die lieber den Witz ausspart als die Provokation», schreibt Hiergeist und bringt ein Gegenbeispiel: Alex Stoldt, dem es um solide konstruierten Humor gehe. Wirklich sehr anguckenswert. Allerdings würd ich dann doch anmerken: So lustig Stoldts Witze sind, fällt halt doch auf, dass die unterliegenden Vorstellungen (in dem Fall: von Beziehungen und den Geschlechtern) arg traditionell sind. […]

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