Stand-up in Zeiten von Corona: Auf zum Online-Open-Mic!

Während Corona kommt die Live-Stand-up-Comedy zum Erliegen
Während Corona kommt die Live-Stand-up-Comedy zum Erliegen (Symbolbild: Sebastian Wells)

Corona ist da und geht so schnell nicht mehr weg. Und wenn auch prozentual gesehen sehr wenige Menschen infiziert sind: Nur durch die Anstrengung aller lässt sich die Ausbreitung so sehr verlangsamen, dass Krankenhäuser immer genügend Kapazität für Erkrankte haben. „Flatten the curve“ heißt das Prinzip. Und solange es noch keinen Impfstoff gegen das Virus gibt, richten sich derzeit die meisten Maßnahmen auf die Vermeidung von Sozialkontakten. Also das sogenannte Social Distancing.

Und die Kurve der Stand-up-Comedy? Auch die wurde natürlich geplättet. Bayern hat Regeln erlassen, die Strategie lautet „soziale Kontakte ausdünnen, das öffentliche Leben herunterfahren“, wie Ministerpräsident Markus Söder das beschrieb. Berlin schickt Polizisten in Bars und Gaststätten, um diese zu schließen. Zahlreiche Künstlerïnnen haben ihre Shows wegen Corona verschoben. Und zahlreiche Veranstalterïnnen haben ihre Open-Mics abgesagt, bevor es überhaupt offizielle Anordnungen dazu gab.

In "Open Mic Days" sprechen die Berliner Comedians Ori Halevy, Carmen Chraim und Liliana Velásquez über Stand-up

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Ein zurückhaltendes Zeitdokument: „Open Mic Days“
Der Comedian Vidura Rajapaksa hat einen respektvollen Film über die Berliner Open-Mic-Szene gedreht. Zum Artikel

Alles kein Problem, klar. Unterhaltung ist immer noch Luxus. Auf Comedy können wir schon mal verzichten. Auf Gesundheit oder Nahrung nicht. Und man kann immer noch Shows und dergleichen auf Netflix, Youtube oder in Form von Podcasts konsumieren. Allerdings ist das nicht ganz dasselbe: Genau wie Musik aus dem Radio und beim Live-Konzert jeweils anders wahrgenommen wird, spielt der Kontext der Rezeption auch bei Stand-up eine große Rolle. Live vermittelt sich mehr. Man ist Teil einer Gemeinschaft, das Feedback ist unmittelbar. Live ist einfach anders.

Ein Trend unter Corona: das Social Distance Open Mic

Wer als Comedian den Live-Aspekt verinnerlicht und zu schätzen gelernt hat, dem fällt die Pause nun natürlich schwer. Allerdings: Es regt sich etwas im Netz. Weltweit kann man derzeit an vielen Orten beobachten, wie Comedians und Veranstalterïnnen versuchen, ihre Shows online zu bringen, also angesichts Corona Social Distance Open Mics zu veranstalten. Das kann schon mal kurios sein, wie etwa die Idee eines US-amerikanischen Comedians, einen VR-Comedy-Club einzurichten, den Comedians und Stand-up-Fans mit VR-Brille betreten können.

In den meisten Fällen bedeutet es aber, die ohnehin vorhandenen Möglichkeiten des Digitalen auszuschöpfen. Es braucht: eine Plattform für die Übertragung und eine Telefonie-Software (am besten mit Videofunktion) – das war’s. Ein Veranstalter aus Israel etwa streamt Shows auf Facebook. Die jeweils auftretenden Künstler kontaktieren ihn dabei über die Konferenz-Software Zoom.

Auf Facebook heißt es dazu: „Die Vorteile – Kein Lampenfieber! Keine Ablenkungen! Niemand kann sehen, wenn du dein Material neben der Kamera einfach abliest. Aber deine Augen werden dich verraten, also lass es am besten.“ Die Nachteile jedoch: „Du siehst oder hörst die Leute nicht lachen, es gibt nur Likes.“

Der US-amerikanische Comedian Chad Riden
Seit 2015 schon veranstaltet der US-Comedian Chad Riden unter anderem Online-Open-Mics (Foto: privat)

Der US-amerikanische Comedian Chad Riden aus Nashville, Tennessee, hat schon einige Erfahrung auf dem Gebiet gesammelt. Seit 2015 veranstaltet er Online-Open-Mics. Auf Instagram schreibt er Setup/Punchline: „I was aware that people were streaming video games and stuff and thought it would be funny to Skype like comedian friends and get them to try to do comedy from their couch without an audience.“

„I never said this was a good idea“

Als Basis überträgt Riden sich selbst aus seinem Home-Studio via Twitch. Von dort aus ruft er Comedians, die sich vorher für einen Spot angemeldet haben, per Skype an. Deren Gesicht erscheint dann neben dem Host. Da er selbst einen Master in Funk- und Fernsehtechnik und mehrere Jahre für Radio und Fernsehen gearbeitet hat, ist Ridens Setup zwar relativ kompliziert. Im Grunde brauche es aber nicht viel mehr als ein Smartphone, sagt er.

„Stand-up certainly does need an audience„, schreibt Riden. Der ganze Spaß daran liege im unmittelbaren, gemeinsamen Feedback von Menschen in einem speziellen Moment, die gerade dieselbe Erfahrung machen. Online sei das natürlich nicht machbar, letzten Endes sei das aber exakt der Grund gewesen, warum er die Sache ausprobiert hat: „Telling jokes without an audience is insane and the whole thing is ridiculous. I never said this was a good idea. it’s ridiculous and silly and nerdy, therefore I felt like I had to do it.“

Um zumindest ein wenig Feedback durch das Publikum zu ermöglichen, nutzt Riden neben Twitch und Skype auch Discord, ein unter Gamern beliebtes Programm, um sich in Chats und per Sprachkonferenz abzustimmen. Riden sagt:

„[V]iewers can login using that app and have their microphones on and laugh at the comedians or heckle, I guess. I hope they don’t do that, but it is certainly a possibility. The hardest part for me is not being able to see people’s faces. This is almost more like podcasting than it is live performance.“

Naive Freude beim Besuch des Online-Open-Mics

Nashville-Comedians Patrick Devine und Chad Riden
Local-Comedian aus Nashville, Patrick Devine (links), und Host Chad Riden (Foto: Setup/Punchline)

Bei meinem Testbesuch des Online-Open-Mics am vergangenen Wochenende waren etwa 20 Zuschauer und -hörer in den Kanälen anwesend. Leider gab es einige Verzögerungsschleifen. So war manchmal alles, was gesagt wurde, dreimal zu hören. Auch der Applaus oder die Lacher kamen verzögert bei den Comedians an. Das war zwar schade, wurde aber mehr als aufgewogen: nämlich durch das schöne Gefühl, Teil einer besonderen Community. Ein deutscher Journalist sitzt mal eben im Open-Mic mit Comedians aus Nashville, Tennessee, oder Carbondale, Illinois. Es stellte sich eine naive Begeisterung wie in den frühen Tagen des Internets ein: Unfassbar, wie klein die Welt doch ist!

Gestreamte Open-Mics werden Live-Stand-up natürlich nicht ablösen können, aber sie stellen eine nette Abwechslung dar. Vielleicht müssen Veranstalter noch mehr experimentieren, vielleicht müssen sich die geeigneten Formen für Online-Open-Mics auch erst finden und ausprägen. Vielleicht ist es auch eher das Format für das gemeinsame Abhängen mit Gleichgesinnten als für den klassischen Sieben-Minuten-Auftritts-Spot.

Niemand kann absehen, wie lange Corona die Welt noch beschäftigen wird. Aber auch in schwierigen Zeiten zeigt sich die kreative Energie einer lebhaften Szene. Comedy will find its way.

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