Vince Ebert macht schlampiges Kabarett, das auf schlampigem Denken fußt. Und der Deutschlandfunk lässt ihn seine Kulturkampf-Rhetorik als mutige Wissenschaft verkaufen.
Ich kann ja auch nur mutmaßen, was da in der Redaktion beim Deutschlandfunk passiert ist. In der Sendung Querköpfe, die komische Künstler:innen porträtiert, wollten sie vermutlich mal jemand Unbequemen, Unangepassten vorstellen. Und dann haben sie sich für Vince Ebert entschieden.
“Gute Satire hat immer etwas damit zu tun, dass sie eigentlich mutig ist”, erklärt der Querkopf Ebert dann in der Episode sein Satirekonzept. Es sei heute sehr, sehr einfach auf die Bühne zu gehen und über die AfD Witze zu machen. “Es ist wesentlich mutiger, über Habeck, damals als er noch Wirtschaftsminister war, Witze zu machen.” Und da horcht der geneigte Comedyfreund doch auf: Über Robert Habeck haben schon viele Leute Witze gemacht, aber noch längst nicht alle. Und der mutige Habeckwitz steht tatsächlich noch aus. Sollten die Querköpfe den ausfindig gemacht haben, es wäre eine Sensation, vergleichbar mit der Entdeckung des Quastenflossers.
Allein: Was da unter dem Titel “Wot se fack Deutschland – Vince Ebert macht Kabarett gegen Befindlichkeiten” fabriziert wurde, ist kein interessantes Radiofeature über die deutsche Unterhaltungslandschaft, sondern ein 50-minütiges Werbestück für reaktionäres Kabarett. Der Deutschlandfunk lässt Ebert Kulturkampf-Rhetorik als mutige Wissenschaft verkaufen.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir unregelmäßig einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Vince Ebert hat Physik studiert und hat mal im Ersten die Sendung Wissen vor acht moderiert, ganz launig, aber auch leicht verstrahlt. Nicht unsympathisch. Und auf der Bühne funktionierte das auch, in Form von Kabarettprogrammen mit Titeln wie Urknaller – Physik ist sexy oder Denken lohnt sich. Dann erklärte Ebert physikalische Phänomene, etwa warum der Himmel blau ist, und solche Sachen.
Formal tut er das auf eine in Deutschland sehr vertraute, behäbige Weise. Die Programme sind ein Sammelsurium abgedroschener, nun ja, Physiklehrerjokes à la “Ohne die Erfindung der Glühbirne müssten wir heute noch bei Kerzenlicht fernsehen”. Da kommen Solarparks vor, die bei Dunkelheit mit Flutlicht betrieben werden. Die Referenzen sind Lastenräder oder der Prenzlauer Berg. Es ist alles nicht sehr frisch, aber es richtet sich eben auch an Menschen, die sich noch gut dran erinnern können, wer Rudolph Moshammer war, immerhin ja auch erst 2005 gestorben. Der Stand-up-Jargon hält für diese Art Comedy den Begriff “hack” bereit.
Das konstante Schwelgen in der guten alten Zeit, als noch nicht alles so irrsinnig war, bringt es mit sich, dass der Künstler mit Ungenauigkeiten, Verdrehungen und erfundenen Empörungsmomenten arbeiten muss. So streut Ebert Topoi ein, die erkennbar ausgedacht sind, etwa den Politiker, der nicht weiß, was Wahlbeteiligung bedeutet. Er behauptet, dass man heute nicht mehr von “Sehbehinderung” sprechen dürfe, sondern Menschen mit Brille als “visuell herausgefordert” bezeichnen müsse. (Wer den Ausdruck googelt, findet hauptsächlich Einträge über Shows des Wissenschaftskabarettisten Vince Ebert.)
Für Wissenschaftskabarett erstaunlich unwissenschaftlich
Ein anderes Mal behauptet Ebert, man müsse Schwarze Menschen als “African American” bezeichnen, soweit sei der Irrsinn schon gekommen. Jedoch: “Mein Schwarzer Nachbar kommt aus Wuppertal, was soll das?”, empört er sich ganz zurecht, aber es ist eine konstruierte Empörung. Denn offen bleibt, wer diese Bezeichnung verlangt oder vorgeschrieben hat. Ebert muss sich hier gehörig dumm stellen, damit die wacklige Nummer tragfähig bleibt.
Es ist schlampige Comedy, weil dahinter schlampiges Denken steht. Und das erzeugt eine gewisse Spannung in Eberts Programmen. Denn der inszeniert sich ja als vernünftiger, rational denkender und logisch argumentierender Wissenschaftler unter den Kabarettisten. Dabei geht er selbst tendenziös und unwissenschaftlich vor. Seine Einlassungen zur Energiewende wurden immer wieder kritisiert. Der Soziologe Armin Nassehi kritisierte in der Süddeutschen Zeitung, Ebert habe wohl nicht recht verstanden, was “Postmodernismus” bedeute und zimmere sich den Begriff für seine Empörungsbedürfnisse zurecht. In der Episode der Querköpfe behauptet Ebert außerdem, dass das “Netzwerk Wissenschaftsfreiheit” angeblich “über 700 eindeutige Fälle” gesammelt habe, “wo Leute an der Uni wegen ihrer unliebsamen Meinungen gecancelt wurden”. Belege hierfür liefert Ebert nicht, beim Netzwerk Wissenschaftsfreiheit selbst lassen sich ebenfalls keine finden.
Und dann gibt es Fälle, wo der Wissenschaftskabarettist Wissenschaft irgnoriert. In einem seiner Programme “leitet” Ebert “her”, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt. Dabei weiß die Biologie längst: Geschlecht ist nicht binär, sondern bimodal. Die allermeisten Menschen mögen geschlechtlich eindeutig zuordenbar sein. Aber keine einzelne biologische Variable teilt alle Menschen eindeutig in zwei Gruppen. Auch die Naturwissenschaften arbeiten mit menschengemachten Ordnungssystemen, denen sich die Natur nicht immer fügen will. Man könnte meinen, ein wunderbares wissenschaftsphilosophisches Thema für einen Kabarettisten, der für sich in Anspruch nimmt, in verständlicher Sprache auch komplexe wissenschaftsphilosophische Fragen zu behandeln.
Aber nein, Ebert geht es um etwas anderes, und es dauert denn auch nicht lange, bis die unvermeidlichen transfeindlichen Jokes kommen. Ein Hybrid sei nämlich ein „trans Auto“, sagt Ebert unter anderem, “ein Verbrenner, der sich als Elektroauto identifiziert”. Das ist nun nicht Transphobie auf Chappelle- oder Rogan-Level, aber Transphobie ist es eben doch. Es ist bemerkenswert, wie das Publikum an dieser Stelle johlt. Ebert bedient hier gezielt Befindlichkeiten, die er ja vorgeblich aufbrechen möchte.
Bemerkenswert ist auch, wie die Querköpfe diese Stelle kommentieren, nämlich: „Solche Gags trauen sich, muss man wohl sagen, nicht viele auf der Bühne.” Ja, man muss das wohl sagen, vorausgesetzt man bringt wenig Ahnung mit vom Status quo des deutschen Kabaretts und der deutschen Stand-up-Comedy und der Unterhaltungsindustrie weltweit. Seit bestimmt einem Jahrzehnt begegnen uns transphobe Witze in Stand-up-Comedy, von Chappelle und Rogan hin zu Nizar und Guido Cantz, von der Arenashow zum schrammligen Open-Mic. Ich beneide die Querköpfe-Redaktion darum, dass sie offenbar schon länger keine deutsche Comedyshow mehr gesehen hat.
Der Deutschlandfunk unterstützt Vince Ebert tatkräftig bei der Kritikabwehr
Nun ist es so: Sich anti-trans oder anti-gender zu positionieren und agitieren, gegen “Gender-Ideologie” oder den sogenannten “Transgenderismus”, ist ein gängiger Teil rechter Rhetorik. Es ist ein gut dokumentiertes Vorgehen, nachzulesen etwa im Aufsatzband Anti-Gender Campaigns in Europe: Mobilising Against Equality. Gender fungiert als “symbolischer Klebstoff” verschiedenster autoritärer und reaktionärer Strömungen, die sich sonst auf wenig einigen können. Vor diesem Hintergrund entfalten transphobe Jokes ihre Wirkung, ob Comedians es wollen oder nicht. Verwundert es da, dass es in einer Besprechung von Eberts neuem Buch im Spiegel heißt, der Kabarettist bediene “rechte Triggerthemen”?
Eine Kritik, mit der man Ebert ja konfrontieren könnte. Stattdessen darf der breit erklären, dass er ja sehr offen für Kritik sei, aber schlicht keine ernstzunehmende sachliche bekomme, sondern nur persönliche Anwürfe. Ein bloßer ein rhetorischer Trick: Nur weil Kritik manchmal (oder oft) unsachlich ist, heißt das ja nicht, dass jegliche Kritik unsachlich ist. Der Beitrag im Spiegel etwa ist fundiert und argumentiert nah an Eberts Buch.
Andererseits ist es natürlich schon auch ein wenig lustig: Ebert fordert, dass Kritik sachlich zu sein habe, während er gleichzeitig Unsinn absondert wie den von den “African Americans” in Deutschland. Tatsächlich erschweren solche Aussagen gerade die sachliche Auseinandersetzung. Man kann hier nicht mehr in der Sache kritisieren, man hat kaum eine andere Wahl, als Ebert selbst für seine schlampige Recherche zu kritisieren. Zack, ist man persönlich. Folglich hat er recht, nicht wahr?
Tatkräftige Unterstützung bei der Immunisierung gegen alle Kritik bekommt Ebert vom Deutschlandfunk. Der nimmt ihm gleich die Arbeit ab, die Kritik aus dem Spiegel vom Tisch zu wischen. “Das zeigt immerhin, wie schwer sich links ausgerichtete Journale tun mit Meinungen oder Ansätzen, die ihren eigenen Narrativen entgegenstehen”, heißt es in der Sendung. Kritik an Vince Ebert hat sicher nichts mit Vince Ebert zu tun. Und dann lässt man noch Kabarettkollegin Simone Solga, gern gesehene Gästin bei Nuhr im Ersten, erklären, warum der Spiegel sowieso irrelevant ist, und Ebert über den Schellnkönig loben.
Vince Ebert: nicht „erfrischend anders“, sondern mehr vom Gleichen
Kritik Raum geben, prüfen und inhaltlich einordnen? Skeptisch sein? Verschiedene Quellen befragen? All das passiert in dieser Querköpfe-Sendung nicht. Ein Porträt darf schon auch nahe ran an den Porträtierten, aber auf den Leim gehen sollte man ihm dabei nicht. Zum Beispiel, indem man die Selbsterzählung einfach übernimmt: “Ebert behauptet eben nicht einfach irgendetwas, er glaubt nicht oder ideologisiert, sondern er führt Beweise für seine Thesen an, klärt auf, begründet und untermauert, und das tut er mit viel Hintergrundwissen.” Es sind Sätze wie aus einem Reklametext und es ist das, was Ebert nachweislich nicht tut.
Simone Solga lobt, Ebert sei “erfrischend anders im kabarettistischen Meinungsbrei” und man kann nur rätseln, was das bedeuten soll. Denn inhaltlich ist alles genauso vorhanden wie bei Solga, Nuhr et. alt.: Die Wokeness-Geißelung; LGBTQ-Rechte, mit denen es jetzt wirklich mal gut ist; Klimaaktivisten, die sich wichtig machen; die gespielte Empörung; das gleiche Gerede vom Untergang der abendländischen Tugenden; die gleichen erfundenen Jokes; der gleiche Zynismus; die gleiche Publikumsverachtung. Alle Probleme der Welt sind Kulturkampf-Probleme. Alles wie gehabt in deutschen Kabarettlanden.
Anders ist nur: Es wirkt harmloser, weil Ebert sich bräsig-onkelig-wissenschaftlich gibt. Er spannt Wissenschaft ein zum Zweck des Kulturkampfs und verkleidet diese Mischung als Sorge um Freiheit, Evidenzbasiertheit, Rationalität und Menschenrechte. Es klingt toll und wuchtig. In Wahrheit ist es ein trojanisches Pferd für die gleiche reaktionäre Haltung. Da wird einem Dieter Nuhr in seiner bitteren Offenheit doch regelrecht sympathisch.
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