Comedy vs. Pornografie

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett

Wer als Hiphop-Fan bei AC/DC landet, braucht sich nicht beschweren, wenn’s nicht gefällt. Bei Comedy dagegen sind immer die Comedians schuld. Über eine merkwürdige Ungleichbehandlung der Künste.

Wenn ich mir eine Sache für 2025 wünschen würde, dann, dass wir reflektierter mit Comedy umgehen. Da hapert es nämlich noch, sowohl auf Produzenten- als auch auf Konsumentenseite.

Zunächst zu den Produzenten. Comedians sind nicht so fähig, wie sie meinen. Eine meiner Lieblingsstudien über die Wirkung von Comedy trägt den Titel One “Nation,” Under Stephen? The Effects of The Colbert Report on American Youth. Sie stammt aus dem Jahr 2008, meine Güte, es war eine unschuldige Zeit. Die typischen Right-wing-pundits, die auf die Vorläufer alles „Woken“ einteufelten, gab’s aber trotzdem schon. Sie hießen nicht Tucker Carlson oder Julian Reichelt, sondern zum Beispiel Bill O’Reilly oder Rush Limbaugh. Und es gab jemanden wie Stephen Colbert, der, bevor er zum normalen Late-Night-Host wurde, sich als wirrer, treu den Republikanern ergebenen Showhosts kultivierte.

Obwohl sich Colbert mit seiner Kunstfigur ja implizit über eben die Republikaner und ihre bad-faith-Argumente lustig macht, legen die Ergebnisse der Studie nahe: Colberts Parodie hatte bei Zuschauer:innen einen ähnlichen Effekt, wie wenn diese echten right-wing-Kommentatoren zugehört hätten. “Thus, it appears that Colbert’s brand of humor has some unintended consequences.”

Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir unregelmäßig einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.

So geht es Comedians bis heute immer wieder: Man meint es gut, man meint es kritisch, man möchte gesellschaftliche Tabus aufspießen – aber am Ende erreicht man genau das Gegenteil. Ich meine nicht, dass Comedians es darum gar nicht mehr versuchen sollten. Aber es sollte ihnen klar sein, dass sie ihre Kunstform gar nicht so gut verstehen, geschweige denn unter Kontrolle haben, wie sie vielleicht glauben.

Und auf der anderen Seite stehen die Konsumenten. Auch das Publikum versteht die Kunstform weniger gut, wie es glaubt. Wenn ich jemandem erzähle, dass ich als Journalist über Stand-up-Comedy schreibe, dann höre ich als Entgegnung bemerkenswert oft: “Find ich eigentlich auch interessant. Aber mit deutscher Comedy bin ich einfach nie richtig warm geworden….”

Ich glaube zwar, dass diese Leute tatsächlich die Wahrheit sagen. Aber unfair ist es trotzdem. Comedy messen wir mit einer besonderen Schärfe, die uns bei anderen Kunstformen ganz fremd ist. Wer drei schlechte deutsche Comedians im TV sieht, gibt danach die Hoffnung für Deutschland auf. Wer einen schlechten deutschen Song hört, würde dagegen nie erklären: “Ach, mit deutscher Musik werde ich einfach nicht warm.” Da würde man doch eher mal irritiert eine Augenbraue hochziehen.

Wer gerne deutschen Hiphop hört und dann bei AC/DC im Stadionkonzert landet, sollte sich nicht beklagen. Kann schon mal passieren, aber es ist auch kein Wunder, wenn es einem dann nicht gefällt. Wenn Menschen aber zur “1LIVE KÖLN COMEDY-NACHT XXL” gehen, wundern sie sich, dass sie damit nichts anfangen können, und geben dann den Comedians die Schuld. Dabei bedeutet das nichts anderes, als dass sie sich, was Comedy angeht, über ihren eigenen Geschmack nicht im Klaren sind.

Comedy ist halt Comedy. Ein Comedian ist wie der andere und ist nicht sowieso funny überhaupt erst funny? Es gibt nur zwei Möglichkeiten – lustig oder nicht. Wenn sie (für uns) nicht lustig ist, ist sie gescheitert, nicht wahr?

Eine Kunst- oder Unterhaltungsform, die Comedy hierbei sehr nahe kommt, ist die Pornografie. Auch hier gibt es an sich nur zwei Möglichkeiten – törnt an oder törnt nicht an? Begleitet ein Stück Pornografie erfolgreich bis zum Orgasmus oder tut es das nicht? Und doch hat man noch nie von einem Menschen gehört, der Freunden oder Bekannten berichtet hätte, er sei mit deutscher Pornografie einfach nicht warm geworden. Stattdessen hätte sich dieser Mensch in den unendlichen Weiten der Porno-Kataloge weiter umgesehen; solange, bis er eben etwas gefunden hätte, das ihm zusagt. 

Schon klar, möglicherweise bedient Pornografie ein viel basaleres Bedürfnis im Menschen als Comedy. Aber ich möchte einfach gerne deutlich machen, dass Comedy diesen unfairen Sonderstatus genießen muss. Einen schlechten Roman, einen schlechten Song, einen schlechten Film brechen wir einfach ab. Aber aufgrund schlechter Comedy verdammen wir einen ganzen Berufszweig. 

Stand-up-Comedy gibt es in gut oder schlecht, in laut und leise, in observational, confessional, absurd, politisch, mit und ohne Gesang, mit übertriebenem Spiel, mit deadpan delivery, in dadaistisch, in argumentativ, selbstreferentiell oder dumpf, mit und ohne Verkleidung und und und… Und natürlich sollte das lustig sein, aber ein Mensch kann sich köstlich amüsieren, ohne kreischend loszulachen. Die Verkürzung auf die Dichotomie lustig/nicht-lustig verhindert, dass wir Comedy als etwas irgendwie Gemachtes wahrnehmen, als etwas mit bestimmtem Stil, überhaupt als Kunstform nach eigenem Recht.

Comedy wird von zwei Seiten zurechtgestutzt: Von oben her betreiben die großen TV-Sender und Streamingdienste sie als Monokultur und bringen alle Künstler:innen, Serien und Specials auf Linie. Und von unten entziehen wir ihr durch die nachlässige Gleichgültigkeit der Kunstform den Nährboden. Immerhin: Durch das Überangebot, abrufbar etwa in den Sozialen Medien, hat man heute Zugang zu mehr Comedynischen als je zuvor. Es ist also die beste Zeit, Fan zu werden, nicht von „deutscher Comedy“, sondern vom bevorzugten Comedygenre.

Comedy-Newsletter

Alles zu Stand-up und Comedy: Szeneinfos und Empfehlungen zu Specials, Bits, Interviews, Essays, News, Podcasts und Serien.

2 Antworten

  1. Danke für diesen Artikel, ich liebe es, wie du es schaffst, Worte für etwas zu finden, was mir manchmal schwer zu greifen erscheint, obwohl ich es wahrnehme.
    Liebe Grüße aus dem ComedyGenre Pool.

  2. Danke für diesen Beitrag! Kam genau zur richtigen Zeit nach einem eigenartigen Auftritt gestern und bestärkt mich, weiterzumachen 🫶

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert