Comedy-Presseschau vom 27.01.25

  • Der Kulturverein Sinnflut veranstaltet in Erding zum 14. Mal den St. Prosper Kabarett & Comedy Preis, einen Wettbewerb, den in der Vergangenheit etwa Fabian Lampert oder Bumillo gewonnen haben. Der Sieger bekommt 1000 Euro. Interessierte Künstler:innen bewerben sich schnell noch bis Ende Januar unter info@sinnflut.biz.
  • Ziemlich eingeschossen auf Felix Lobrechts Special All You Can Eat (bzw. dessen Ausstrahlung im Ersten) hat sich die Süddeutsche Zeitung – und liefert einen schönen Beleg, dass es das Programm eines Comedians nicht unbedingt adelt, wenn man Witze rausnimmt und aneinanderreiht. („Es gibt Lobrechts Comedy nicht ohne Schlampen, Muschis, Fotzen.“) Ein bisschen unfair ist, dass das, was als Lobrechts Punchlines kritisiert wird, meistens gar nicht die Punchlines sind. Auffällig aber ist durchaus, dass Lobrecht bei AYCE stärker als bisher Kenntnis seiner Bühnenpersona – das Grinsen etwa oder die gespielte Dummheit –voraussetzt. Wer damit noch keine Berührungspunkte hatte, kann sich wirklich schwertun, was das Special insgesamt angreifbar macht. Vollkommen berechtigt ist dagegen die Frage, warum der ÖR das Special einkauft. Dass die ARD sich auf Anfrage der SZ unter anderem damit rechtfertigt, AYCE sei ja mit dem „Deutschen Comedypreis“ ausgezeichnet, also einem branchen- bzw. Brainpool-internen Rumgekumpel, ist dann die ziemlich belämmerte Pointe.
  • Siehe hierzu auch: Ist der Humor von Felix Lobrecht frauenfeindlich? fragt der Wochentalk im Deutschlandfunk Kultur und diskutiert das gar nicht so trivial. Joachim Hentschel spricht darin etwa über Lobrechts „Doppelagententum“, dass der eben das woke Vokabular kennen muss, um es immer wieder zu brechen zu können. Aida Baghernejad stellt den Comedian in eine Reihe etwa mit Harald Schmidt und Lisa Eckhart, denen nachgesagt wird bzw. wurde, dass sie Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus kritisieren, indem sie ausländerfeindliche oder antisemtische Witze machen. „Ich weiß nicht, ob das so funktioniert, wenn man der Gesellschaft das gibt, was sie eh schon glaubt“, sagt Baghernejad.
  • Comedyadäquate Gedanken: Anlässlich der Entscheidung Mark Zuckerbergs, auf Instagram und Facebook Hass gegen Trans Menschen nicht mehr zu unterbinden, schreibt Stefan Niggemeier bei Übermedien: „Es gibt das Missverständnis, dass sich die größte Meinungsfreiheit erreichen lässt, wenn jeder einfach alles sagen darf. Wenn jeder jeden nach Belieben beschimpfen und zum Beispiel als ‚abnormal‘ bezeichnen kann, so die Logik, wird niemand diskriminiert. Diese Argumentation ignoriert, dass es Minderheiten gibt, die allein aufgrund ihrer Identität Verfolgung und Beschimpfungen ausgesetzt ist. […] Es ist eine Art der Meinungsfreiheit, bei der Leute, die schreien, andere zum Verstummen bringen.“
  • Der Kabarettist Sven Kemmler beendet seine Bühnenkarriere. Der Grund: Durch Corona ist das Publikum weggebrochen und nicht zurückgekommen. Außerdem bemängelt Kemmler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, „dass die Bühnen ihr Programm nicht mehr kuratieren, sondern nur noch auf die Zahl der Follower schauen“. Ich bin ja der Letzte, der nicht in diese Kritik der Fokussierung auf Social-Media-Reichweite einstimmen würde. Aber es stellt sich auch die Frage: Hat man denn ein Recht auf Bühnenauftritte, wenn man irgendwann mal erfolgreich war, aber es nun nicht mehr ist? Und dass Bühnen darauf achten, dass sie Künstler:innen buchen, die ihnen den Laden voll machen – war das jemals anders?
  • Das einfachste Mittel gegen Kritik scheint vielen heute Ironie zu sein, schreibt Mike Gillis, Chefautor von The Onion, im Gastbeitrag in der Süddeutschen. Keine verkehrte Analyse, aber lieber ist mir da schon Roger Rosenblatt, der 2001 (!) im Time Magazine sogar schon das Ende (!) des „age of irony“ ausrief, also mehrere Umdrehungen weiter war. Damit lag er zwar leider nicht richtig, seine Einschätzung halte ich immer noch für zutreffend: „The ironists, seeing through everything, made it difficult for anyone to see anything.“ (Und mehr sagt Gillis denn dann auch nicht in seinem Beitrag.)
Stand-up-Comedienne Rebecca Pap

BIT-EMPFEHLUNG: Rebecca Pap: Kinderarbeit (2025)

Schönes premise surfing der Berliner Comedienne Rebecca Pap, die einen Gedanken – wir akzeptieren Arbeit bei den „kleinen Rackern im globalen Süden“ bedenkenlos, warum eigentlich nicht auch in Deutschland? – konsequent durchdekliniert. Und obwohl natürlich jeder versteht, dass das nicht ernst gemeint ist, nimmt sie das Publikum behutsam mit, dass man sich der Argumentation kaum entziehen kann.

  • Melanie MacFarland kritisiert bei Salon das neue Special von Bill Maher: „When a news-adjacent entertainer who hobnobs [verkehrt] with experts and politicians is representing a real concern dishonestly to serve his cranky farce, that person is contributing to a dangerous, pervasive problem. If he can’t at least coax out a couple of giggle-snorts in the process, what’s the point?“ Wenn man das Artikelbild austauscht und ein paar Kleinigkeiten ändert, würde der Text auch für zahllose andere, auch deutsche Comedians passen.
  • Der Economist schreibt über die beliebteste Late-Night-Show der USA, Gutfeld! mit Greg Gutfeld, einer Art konservativem Troll, aber in sympathisch. Der Artikel macht dabei auch ein besonderes Problem aus: Gerade liberale oder linke Stimmen verlegten sich aufgrund der schieren erratischen Energie einer Figur wie Trump notgedrungen auf das Verteidigen der demokratischen Institutionen: „Whatever, the merits of their support for, say, the independence of the Justice Department’s law-enforcement efforts, it is bad for comedy. Mocking rule-enforcers is funnier and more fun than conformity.“ Das ist wahr! Allerdings beobachte ich auch unter den Crypto-Laber-comedians-turrned-podcasters eine gewiiiiiiisse conformity. Wir bleiben weiter dran.
  • „Lately I’ve been very focused on self-promotion via social media, mostly driven by the fear of my career as a comedian not getting to where I want it to be.“ Die US-amerikanische Comedienne Isabel Hagen schreibt in ihrem Newsletter darüber, wie auslaugend das ewige Hamsterrad der Sozialen Medien für sie ist. Und wozu das gesellschaftlich gesehen führen könnte: „[P]art of me worries that we’re moving more and more towards a world where we’re not even looking to be moved or amazed anymore.“
  • Siehe hierzu auch Jason Zinomans Artikel in der NY Times: For Comics, Honing Jokes Has Taken a Back Seat to Marketing. That’s Not Good.“ Weiter: „Only a decade ago, comics regularly said you needed six or eight years of experience before you actually get good enough to perform for a big audience. That kind of patience now seems passé.“ Zinoman fragt, wohl eher rhetorisch: „Should we really be happy with a cultural system that incentivizes artists to spend more time selling their wares than developing their work?“ Eine Lösung hat aber auch er nicht parat.

Lesetipp: Die Entertainment-Schule VIVA

Stefan Raab, Enie van de Meiklokjes Deutsche Fernsehmoderatorin, Mola Adebisi und Heike Makatsch von VIVA

Die Comedyindustrie in den USA kann auf eine etablierte Talent-Pipeline vertrauen, von Improgruppen wie UCB oder Second City hin zum writers‘ room bei Saturday Night Live usw. In Deutschland gibt es diese Entertainment-Schulen und festgetretenen Pfade kaum. Am nächsten kam dem Konzept mal der Musiksender VIVA, der eine Reihe talentierter Menschen wie Stefan Raab oder Heike Makatsch einfach machen ließ. Hier geht’s zum Text

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