Sich als Journalist mit Comedy auseinanderzusetzen, ist nicht immer schön. Damit will ich nichts über Anfänger-Comedians gesagt haben, die sich etwas holprig auf offenen Bühne ausprobieren und Witze über ihr „erstes Mal Comedy“ machen. Die Open-Mics, ob gut oder schlecht, gehören ja mit zum Schönsten an dem Ganzen. Nein, es geht mir um etwas anderes.
Die vergangenen Monate habe ich mir intensiv die „Comedyvideos“ von Nikolai Binner angesehen, einem Stand-up-Comedian aus Berlin. Der begann während der Pandemie damit, das politische Tagesgeschehen zu kommentieren. Und das macht er, indem er teils Fakten verdreht, Darstellungen verzerrt, harmlose Dinge skandalisiert oder gezielt missversteht und alles mit frauen-, trans- und ableistischen Witzen anreichert. Meine These: Indem Binner das als Comedy verkleidet, bedient er sich einer Strategie der Neuen Rechten und betätigt sich als Brückenbauer nach rechts außen. Meine Recherche könnt ihr in der taz nachlesen – dort ist sie erschienen, damit sie ein bisschen mehr Reichweite bekommt als bei yours truly Comedymagazin.
Ob Binner das alles bewusst tut, versehentlich oder unbedacht, weiß ich nicht. Auf Angebote zum Gespräch ist er nicht eingegangen. Nach Erscheinen des Artikels hat er sich auf Instagram amüsiert gegeben und einen Ausschnitt aus einem seiner Videos repostet, in dem er bemängelt, dass angeblich heute Konservativen pauschal vorgeworfen würde, dass sie „rechts“ oder „Nazis“ seien. In eine ähnliche Richtung zielten einige Kommentare und Zuschriften, die ich bekommen habe: Der ist doch kein Rechter! Kann bei dem kein rechtes Gedankengut erkennen! Eine Frechheit, dass im Artikel auch Dieter Nuhr in die rechte Ecke gestellt wird!
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Nichts davon steht in meinem Artikel. Allerdings sind solche Kommentare durchaus aufschlussreich: Sie illustrieren, wie heute über bestimmte Dinge in der Gesellschaft gesprochen wird. Und ich glaube, es wäre zielführend, von diesem Essenzialismus wegzukommen.
Damit ist die Überzeugung beschrieben, dass zum Beispiel Menschen bestimmte Eigenschaften haben, die sich nicht von ihrem Wesen trennen lassen. Damit ist dann undifferenziert alles erklärt und entschuldigt. Ich bin dem Wesen nach Demokrat, also kann nichts, was ich sage oder tue, undemokratisch sein. Häufiger konnte man in den vergangenen Jahren die Variante mit Rassismus hören. Hans-Georg Maaßen ist doch kein Rassist, also kann auch nichts, was er sagt, rassistisch sein.
Dasselbe Argumentationsmuster begegnet uns, surprise, bei Comedians, die sagen: Ich mache Comedy, also kann nichts, was ich sage oder tue per se ernst genommen werden. Als hätten Worte keine Bedeutung mehr und würden in einem gesellschaftlichen Vakuum geäußert werden. Alle potenziell schädlichen Implikationen werden so auf fast magische Weise wegdefiniert. Ich bin kein Rassist und obendrein Comedian, deshalb kann ich gefahrlos Blackfacing betreiben.
Es gibt ein paar Probleme mit dieser Sichtweise. Dazu ein Gedankenexperiment: Zwei Comedians machen denselben harmlosen Witz. Einer ist kein Rassist, der andere dagegen glühender Rassist. Ist der harmlose Witz aus dem Mund eines Rassisten nun ebenso rassistisch? Das würden wahrscheinlich die wenigsten so sehen. Merkwürdigerweise tun wir den Essenzialismus hier ab. Im umgekehrten Fall (Nicht-Rassist impliziert nicht-rassistische Witze) lassen wir ihn zu.
Ist der rassistische Witz eines Nicht-Rassisten rassistisch?
Noch ein Gedankenexperiment: Sagen wir, unsere beiden Comedians erzählen einen identischen Witz über Asiaten. Darin machen sie „asiatische“ Sprache nach und machen sich über „asiatische“ Augen lustig. Wir kommen aber zu spät zur Show und haben die Vorstellung verpasst, wissen mithin also jetzt nicht, wer der Rassist ist und wer der Nicht-Rassist. Wie ordnen wir die Witze ein?
Hängen wir der essenzialistischen Sichtweise an, haben wir ein Problem. Denn überträgt sich eine wesentliche Eigenschaft eines Menschen auch auf die äußerlichen Handlungen, ist ja der Witz des Rassisten eindeutig rassistisch, der Witz des Nicht-Rassisten aber ist es nicht. Dabei haben beide aber doch denselben Witz erzählt. Wie ist es möglich, dass wir zu unterschiedlichen Bewertungen kommen?
Die Lösung ist denkbar einfach. Da wir schlicht nicht in Köpfe hineinsehen und herausfinden können, wie die Menschen „wirklich“ sind, sollten wir uns an das halten, was offen zutage tritt: nämlich die wahrnehmbaren Äußerungen und Handlungen der Menschen. Bewertungsgrundlage für einen Witz können der Inhalt, die Betonung, der Kontext, die Referenzen usw. sein. Eine wie auch immer irgendwo abzulesende oder zu konstruierende Gesinnung des Witzeerzählers zum Maßstab zu machen, führt nirgendwohin.
Die Welt ist komplex und ambivalent. Wir sind nicht Comedians oder Nicht-Rassisten, weil wir es halt nun mal sind oder uns einmal dazu entschieden haben. Jemand kann überzeugt sein, ein harmloser Comedian zu sein und trotzdem mit Blackfacing rassistische Muster reproduzieren. Wir (auch PoC) können überzeugte Antirassist:innen sein und trotzdem in einer Nebenbemerkung mal einen anderen Menschen rassistisch kränken. Und schließlich kann jemand auch überzeugter Nicht-Rechter sein und trotzdem Strategien nutzen, wie sie im neurechten Buche stehen. Das anzuerkennen, ermöglicht einen besseren Diskurs und obendrein weniger faule Comedy.
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