Der Kabarettist Maxi Schafroth sollte Politiker kritisieren und wurde entlassen, weil er genau das tat. Denn in Deutschland ist man sich einig: Unterhaltung soll die Gesellschaft heilen und Menschen erziehen. Schöner wäre: Comedy, die das Unbehagen nicht wegtherapiert, sondern erhält.
Comedy ist ja eine höchst philosophische Angelegenheit, und der in Comedyfragen den Deutschen liebste Philosoph ist Hegel. Zumindest in Medien und Politik. Geht es dort um Comedy, sind die Hegelianer unter sich. Das konnte man vor einigen Wochen wieder sehr gut beobachten, anhand der Geschichte um den Comedian Maxi Schafroth, auf die ich nochmal einen Blick werfen möchte. Und im Vorbeigehen wird erklärt, warum diese Rubrik großspurig den Namen Noten zur Comedy trägt. Heute ist sozusagen für jeden was dabei.
Kurz zum Kontext, den Nicht-Bayern bei derartigen kulturellen Singularitäten wohl brauchen: Die Brauerei Paulaner veranstaltet jedes Jahr das sogenannte Politikerderblecken auf dem Münchner Nockherberg, wo die Brauerei ein großes Wirtshaus samt Biergarten betreibt. Beim Derblecken, bayerisch für Verspotten, handelt es sich, wie Wikipedia bestens zusammenfasst, um “ein politisches Kabarett vor geladenen Gästen, bestehend aus einer Festrede und einem anschließenden Singspiel”. In beiden Beiträgen werden aktuelle Themen der Münchner sowie der Landes- und Bundespolitik behandelt.
Das politische Kabarett spricht stets der Fastenprediger (oder die Predigerin), denn das Derblecken ist stets der Auftakt zur Starkbierzeit, die in Bayern traditionell die Fastenzeit begleitet, die zur Vorbereitung auf Ostern dient. Die Rolle des Predigers hat nun seit einigen Jahren der Comedian und Kabarettist Maxi Schafroth bekleidet. Und, worum es jetzt ja eigentlich gehen soll, ist, dass Schafroth eben als Fastenprediger entlassen wurde. Puh.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir unregelmäßig einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Die Quoten waren gut, das Derblecken, das traditionell der Bayerische Rundfunk überträgt, sahen mehr als zwei Millionen Zuschauer. Ein Marktanteil von fast zehn Prozent. Laut Blickpunkt:Film “ein gigantischer Erfolg” für den BR. Und dann war die Predigt auch noch zum ersten Mal seit langem nicht harmlos, sondern wirklich kritisch. „Wie schafft ihr das, diesen harten Ton durchzuziehen? Diese eindimensionale, banale Boshaftigkeit?”, fragte der Künstler in Richtung der regierenden CSU. “Schafroth teilte so intensiv und faktenbasiert aus, dass viele anwesende Politiker das nicht, wie so oft, einfach weglächeln konnten”, schrieb ich im Frühjahr in der Presseschau. Wünscht man sich das nicht von einer Veranstaltung, die sich rühmt, die Mächtigen vorzuführen und zu verspotten?
Nun, bei Paulaner wünschte man sich das offenbar nicht. Aufmerksamkeit ja, aber doch nicht so. Kaum vorstellbar, dass sich hinter den Kulissen nicht auch der eine oder andere empfindsame Politiker beschwert hat. Und darauf müsste man natürlich eigentlich nichts geben, aber so ein Konzern besteht ja auch nicht im luftleeren Raum. Wer Langeweile hat, könnte zum Beispiel einmal das Firmengeflecht aufdröseln und nachschauen, ob nicht hier und da Parteifreunde in den Aufsichts- oder Verwaltungsräten sitzen.
Aber mir geht es hier gar nicht um einen potenziellen Skandal ungebührlicher politischer Intervention, sondern eher darum, wie die Entlassung (die Schafroth übrigens ziemlich würdevoll hinnahm, trat er sogar bei der Vorstellung seines Nachfolgers Stefan Zinner mit auf) kommentiert wurde. Eine CSU-Politikerin zeigte sich enttäuscht, “dass in so schwierigen Zeiten, wo wir eigentlich zusammenhalten sollen, wir konfrontiert werden von dem Fastenprediger mit Lüge, Unwahrheit und Unfähigkeit” (freilich ohne näher darauf einzugehen, worin genau Lüge, Unwahrheit und Unfähigkeit bestanden). “Es war eine Rede, die spaltete”, stand in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, “und das in einer Zeit, in der nach der vorgezogenen Bundestagswahl der Wunsch nach einem neuen Miteinander groß war”, flankiert von einer Historie auf dem Nockherberg, die nicht nur vergangene Aufreger auflistete, sondern sich auch bei Bewertungen nicht zurückhielt (“völlig zurecht als geschmacklos kritisiert”). Und die Leser:innen hielten dem Fastenprediger in der Mehrheit sein größtes Versäumnis vor, etwa hier: “Ein guter Fastenprediger teilt ohne Beleidigung nach allen politischen Seiten aus. Das war bei Schafroth wahrlich nicht der Fall.”
Selbst der Humor muss Gemütlichkeit und Sicherheit bieten
Na da hätte man gedacht, dass Satiriker kritisch sein sollen und scharf spotten dürfen! Aber wir haben die Rechnung ohne das MiTeInAnDeR™ gemacht. Satiriker sollen die Gesellschaft einen, das ist das, worauf man sich in Deutschland geeinigt hat. Denn die Deutschen sehnen sich traditionell nach Gemütlichkeit und nach einem störungsfreien Innenraum, schrieb der Anglist Hans-Dieter Gelfert in Max und Monty, einer vergleichenden Analyse des deutschen und englischen Humors. In England, so Gelfert, nutzten die Menschen Humor, um sich ihre Mitbürger vom Leib zu halten. In Deutschland dagegen sehnte man sich aufgrund der Lage im chaotischen Zentrum Europas traditionell nach einem “starken, moralisch legitimierten und später von Hegel sogar metaphysisch begründeten Staat”, der Geborgenheit bieten konnte. Störer wie Schafroth haben im Innenraum nichts verloren.
Interessant finde ich diesen Befund in Bezug auf Hegel. Es herrscht die Auffassung, dass der Staat Ausgleich schafft gemäß der Hegel’schen Dialektik.
- These: Das Leben ist schwer, voller Leid und sinnloser gesellschaftlicher Probleme.
- Antithese: Comedy macht alles leicht, übertreibt, stellt die Welt auf den Kopf.
- Synthese: “Wahre” Comedy vereint beide Momente, nimmt die ernsten Probleme auf und verwandelt sie durch Humor in etwas Erträgliches.
Comedy hat demnach heilende Wirkung, sie hat gesellschaftliche Spannungen produktiv aufzulösen. Sie ist ein Ventil, das Kritik ermöglicht und gleichzeitig das System stabilisiert. Satire verbessert die Gesellschaft schrittweise. Humor verbindet Menschen über alle Unterschiede hinweg. Solcher Geist wabert in deutschen Feuilletons umher wie abgestandener Zigarettenrauch in der Kegelbahn.
Nichts gegen den Geruch alter Zigaretten. Der erinnert an eine spannende, verrückte Zeit von einst. Aber wie sich etwa Bayern des Rauchens in der Gastronomie entledigt hat (was heute ausnahmslos alle gut finden *wegduck*), könnte man das ja mit der von Hegel inspirierten Inanspruchnahme der Comedy ähnlich halten.
Was kann an ihre Stelle treten? Nun, man könnte Comedy eben nicht als Therapie, als heilende Synthese von Ernst und Schmerz betrachten, sondern die Risse und Brüche ernst nehmen, die in ihr Ausdruck kommen. Sie nicht zuschütten und heilen, sondern beleuchten. Comedy sollte das Unbehagen nicht wegtherapieren, sondern erhalten.
Ein Philosoph, der sich in dieser Hinsicht von Hegel absetzen wollte, war Theodor W. Adorno. Der hatte die Idee, dass Kunst durch ihre Form gesellschaftliche Widersprüche aufdecken kann. Eine seiner zentralen Thesen lautet, dass authentische Kunst sich der vollständigen gesellschaftlichen Integration (also etwa einer Inanspruchnahme zur Heilung) widersetzt. Literatur etwa kann durch ihre Form eine kritische Distanz zur Realität schaffen und utopische Momente bewahren. Die sogenannte “negative Dialektik” nach Adorno beharrt auf den Widersprüchen und Brüchen, statt sie zu versöhnen. Das Wahre liegt nicht in der Synthese, sondern im Aushalten der Spannung zwischen den unversöhnten Polen. Adorno hat immer wieder untersucht, wie literarische Werke sowohl gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln als auch diesen widerstehen können. Bedeutende Werke sind dann etwa solche, die Widersprüche nicht harmonisieren, sondern in ihrer ästhetischen Struktur zum Ausdruck bringen.
Comedy soll nicht heilen, Comedy soll Spannung aushalten
Eine Kolumne in diesem Geist möchte also Comedy als gesellschaftlich vermittelte Kunstform analysieren und dabei nach den Momenten suchen, wo sie über bloße Unterhaltung hinausgeht. Die zentrale These wäre: Authentische Comedy widersteht der vollständigen Vereinnahmung durch die Unterhaltungsindustrie. Sie bewahrt Momente des Unbehagens, der Verstörung – sie lässt uns nicht nur lachen, sondern konfrontiert uns mit dem, worüber wir eigentlich nicht lachen sollten.
Comedy soll ernst analysiert werden, ohne dass ihr spielerischer Charakter zerstört wird. Man könnte fragen: Wie reproduziert Comedy herrschende Ideologie? Versucht sie es, diese zu durchbrechen? Wo bleibt Comedy bloße Ablenkung und Pseudobefriedigung? Wann gelingt es ihr, gesellschaftliche Widersprüche sichtbar zu machen, statt sie wegzulachen?
Man könnte zum Beispiel also das bierproduzierende Unternehmen Paulaner auch als Agenten der Kulturindustrie interpretieren. Die Brauerei verkauft nicht nur Bier, sondern vertreibt auch eine eigene Form bayerischer Identität, Tradition und Gemütlichkeit. Vor dem Zapfhahn sind alle gleich, so werden die Menschen in ein harmonisches Gesellschaftsbild gepresst. Insofern fungiert auch das Politikerderblecken als Paulaner-Event nicht als kritisches Korrektiv, sondern als sozialer Kitt im Dienst der gesellschaftlichen Integration im Dienst der Markenpflege. Das Derblecken darf nicht zu kritisch werden, sondern muss verkaufbar bleiben, mithin: an die Richtigen verkaufbar. Die Kritik muss so zahm sein, dass der Ministerpräsident eben gerade noch kommt. Paulaner hat quasi gar keine andere Möglichkeit, als staatsstabilisierend und in Einklang mit der bestehenden Ordnung zu agieren.
Schafroth hat die Rolle des kritischen Intellektuellen gespielt, aber in einem System, das nur simulierte Kritik toleriert. Er musste als Anomalie in der Matrix eliminiert werden. Selbst in der scheinbar freien Kultur funktioniert die hegemoniale Kontrolle perfekt.
Wenn man es mit Adorno hält, muss das nicht zwangsläufig grandiose Erkenntnisse zutage fördern. Aber für etwas spannender halte ich es doch als die staatstragende Auffassung von Comedians als kleinen Putzerfischen der Gesellschaft (wahlweise auch als die kleinen Fischlein, die die Hornhaut wegknabbern im Fußbad der, äh, Demokratie). Und man könnte ja auch noch fortfahren damit, die Kunst selbst zu analysieren, also Schafroths Rede. Darauf verzichte ich aber, weil ich das für wenig ergiebig halte. Schließlich geschah der Aufreger nicht wegen der konkreten Gestaltung, des Stils oder der rhetorischen Mittel etwa, die eingesetzt wurden.
Was noch? Adorno hat mal in einer Sammlung literaturkritischer Essays vorgeführt, wie er das sich in etwa vorstellt. Der Titel: Noten zur Literatur. Noten hier im Sinne von “Anmerkungen”. Sie sind bis 1965 in drei Bänden erschienen und enthalten Analysen der Lyrik von Paul Celan oder der Prosa Franz Kafkas, im Hinblick auf Stil und die gesellschaftliche Funktion von Literatur. Und deswegen nennt sich diese Kolumne also Noten zur Comedy.
Und natürlich auch Noten, weil Stand-up-Comedy eine unleugbar musikalische Qualität hat. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
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