Was lernen wir aus der „Akte Mockridge“?

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Luke Mockridge war als Comedian der Schwiegermuttertraum. Immer kam er auf der Bühne höflich und charmant rüber, wenngleich er häufig über Partys, Dating, Tinder oder Sex sprach. Nun, was soll man sagen? Boy, that brand has been complicated.

Vor zwei Wochen veröffentlichte der Spiegel online einen Artikel mit dem Titel „Die Akte Mockridge“ (gedruckt am 25. September: „Du bist ziemlich durchgedreht gestern“). Die Autorinnen Ann-Katrin Müller und Laura Backes haben Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft eingesehen, darunter auch private Nachrichten. Außerdem haben sie mit mehr als zehn Frauen gesprochen, die dem Comedian übergriffiges Verhalten vorwerfen, zum Beispiel unangenehme, penetrante Anmachen. Ein Fan schildert, dass Mockridge sie in einem Club gegen ihren Willen an die Wand gedrückt habe, um sie zu küssen. Eine andere Frau, dass er ihr beim Posieren für ein Foto an den Hintern gegriffen habe.

Nichts davon ändert etwas an der juristischen Bewertung: Die Ermittlungen gegen Mockridge wegen des Verdachts auf Vergewaltigung in einem Fall wurden ohnehin eingestellt. (Er wurde nicht freigesprochen, wie das manchmal zu lesen ist – er stand gar nicht erst vor Gericht.) Und würde anlässlich des sonst im Artikel geschilderten Verhaltens überhaupt ermittelt (was nicht der Fall ist), wäre das Ergebnis wohl ähnlich. Im Spiegel-Artikel heißt es: „Am Ende der Recherche stehen etliche Situationen, in denen sich der Comedian offenbar nicht im Griff gehabt und gegenüber Frauen immer wieder Grenzen übertreten haben soll.“

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Also alles auf Anfang? Nicht ganz. Zunächst gab Mockridge auf Instagram bekannt, dass er seine Auszeit auf unbestimmte Zeit verlängern werde, „aufgrund der aktuellen Berichterstattung zu meiner Person“. (Ende August hatte er in einem Video eine Auszeit bis Ende 2021 angekündigt.) Ein paar Tage später sagte Klaas Heufer-Umlauf in seinem Podcast Baywatch Berlinüber den Artikel: „Es zeichnet ein Bild von einem Verhalten, das man in jeglicher strengsten Form ablehnen muss.“ Am selben Tag strich Sat1 die Mockridge-Serie ÜberWeihnachten aus der Nominiertenliste für die Kategorie „Beste Comedy-Fiction“ beim Deutschen Comedypreis. „Aufgrund der öffentlich geführten Diskussionen“, wie es in einer Pressemitteilung des Senders heißt, und um Cast und Crew zu schützen.

Und einen Tag später wurde der Kabarettistin und Schauspielerin Maren Kroymann der Comedypreis für ihr Lebenswerk verliehen. Bei ihrer Rede sagte sie: „Ich hätte gerne gehabt, dass Verantwortliche für diesen Preis und auch von dem Sender die Eier gehabt hätten, zu sagen: Wir solidarisieren uns nicht nur mit unserem beliebten Künstler, sondern mit den Frauen, die betroffen sind.“ (Bei 9:22 im Video sieht man übrigens einen extrem genervten Oliver Pocher – ob wegen Kroymanns Appell oder ob der Langatmigkeit einer sehr langen Showaufzeichnung, ist natürlich unklar.)

Warum nun nicht einfach sagen: Was kümmert’s mich? Wenn einer eh nichts verbrochen hat? Was juckt mich, was irgendwelche Comedians in ihrer Freizeit machen? Kann man natürlich. Aber wenn man Produktionsleiter, Chefredakteur oder Geschäftsführer von Produktionsfirmen ist, die diese Comedians groß gemacht haben und von ihnen profitieren, wird diese Haltung problematisch. Dann hängt man mit drin. Man hat den Künstlern zur Prominenz verholfen, die diese ausgenutzt haben.

Natürlich ist Mockridge nicht Harvey Weinstein, der US-Filmproduzent, der gegenüber Untergebenen wiederholt Machtgefälle ausgenutzt hat und wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung (vorerst) zu 23 Jahren Haft verurteilt wurde. (Ein weiterer Prozess beginnt in den kommenden Monaten.) Weit davon entfernt. Was der Spiegel schildert, hat nichts mit Machtungleichgewichten im beruflichen Kontext zu tun.

Auch Prominenz ist eine Form von Macht

Aber es hat mit der Aufmerksamkeit und Prominenz zu tun, die Mockridge aufgrund seiner Arbeit bekommen hat. Die haben dazu geführt, dass Fans sich in Klubs nach ihm umdrehen oder auf der Straße um Selfies bitten. Prominenz versetzt einen in die Lage, privilegierten Zugang zu seinen Fans zu haben. (US-Comedian Chris D’Elia kann ein Lied davon singen.) Prominenz ist auch eine Form von Macht über Menschen, eine weichere als die harte ökonomische Macht, aber doch Macht. Und es ist eine, die wir noch viel zu unkritisch betrachten.

Der Spiegel-Artikel zeichnet das Bild von einer Person, die mit zunehmender Prominenz immer weniger mit der Verantwortung umgehen konnte, die damit einhergeht. Der Schluss liegt nahe: Personen, die dazu nicht in der Lage sind, sollten diese Art Macht womöglich nicht besitzen.

Indem sich Sender und Produktionsfirmen wegducken, senden sie ein Signal. Der Verdienst mit der cash cow, die wir aufgebaut haben, ist uns wichtiger. Wir verurteilen zwar sexuelle Gewalt, aber an richtiger Aufklärung sind wir dann doch nicht interessiert (wie Sat1 das in einem Statement im Frühjahr vorgeführt hat). Unser moralischer Maßstab ist die Frage „hat der was Strafbares gemacht?“.

Es geht nicht darum, jemanden wie Mockridge entweder zu verdammen oder in Schutz zu nehmen. Es gibt Abstufungen – sogar solche, die die Unschuldsvermutung achten und gleichzeitig Frauen, die Missstände anprangern, ernst nehmen. Wer dagegen jegliche Kritik sofort vom Tisch wischt, baut aktiv eine Kultur auf, die viele talentierte Künstler:innen abstößt und ausschließt. Daran sollte man denken, wenn man sich irgendwann wieder wundert, wo denn die ganzen begabten Autorinnen sind. Bei uns melden sich keine, also gibt es sie wohl einfach nicht.

Bei der Verleihung des Comedypreises erzählte Maren Kroymann auch, wie sie vor Jahrzehnten bei einer Aufzeichnung der Satiresendung Scheibenwischer fragte, ob sie (als gestandene Autorin) nicht selbst ihre Texte verfassen könnte. Sie habe die Antwort bekommen, sie solle ihr Lied singen, zweimal über die Bühne laufen und mit dem Arsch wackeln. Kroymann sagte: „Daran, dass hier keiner lacht, sehe ich, dass es heute im Grunde noch genauso ist.“

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