Eines führt ja immer zum anderen. Und so führte mich die New Yorker Comedienne Jo Firestone, über deren Special Good Timing es vor kurzem an dieser Stelle ging, zur kleinen Comedyserie Joe Pera Talks With You. Die gibts in den USA bei Adult Swim zu sehen, Firestone spielt mit und produziert. Der namensgebende Joe Pera ist ebenfalls Comedian, ebenfalls New Yorker, und erlebt in jeder der nur ca. 10 Minuten dauernden Episoden höchst Unspektakuläres, um nicht zu sagen Langweiliges.
Die Folgen sind immer nach dem betitelt, was Joe Pera halt so erlebt: Joe Pera Watches Internet Videos With You zum Beispiel. Oder Joe Pera Takes You to the Grocery Store. Und die erste Folge der jetzt erschienenen dritten Staffel trägt den Titel Joe Pera Sits With You. Darin hilft Joe seinem besten Freund, dem Rentner Gene, in einem Sesselgeschäft einen Sessel auszuwählen. Das ist so langsam erzählt, wie man erwarten würde, es gibt keine Effekte oder aufwendigen Kameraschwenks, dafür aber kleine surreale Momente und Reflexionen über die Philosophie des Sitzens. Und am Ende zählt Pera alle Sitzgelegenheiten in seinem Haus.
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Puh? Nein, hier wird die Sache doch erst interessant! All das macht Joe Pera Talks With You so besonders, vor allem auf einer Plattform, deren „normalste“ Produktion fast noch der Leuchtturm Rick and Morty ist. Jason Zinoman schreibt in der New York Times: „It stands out on the Adult Swim schedule the way a sex tape would on Disney+.“
Ist das wirklich aufrecht und authentisch? Wird hier nicht eher dem Comedybusiness mit seiner hirnvernagelten Fixierung auf Authentizität ein ironischer Streich gespielt? Mag ja sein, aber mir geht es gerade um etwas anderes. Nämlich um das Gefühl, das mich beim Schauen von Joe Pera Talks With You beschlich: So eine Serie wäre in Deutschland niemals möglich.
Die Vorstellung, dass ein Autoren-Nerd in Deutschland einem bulldoggenhaften Produzenten diese Idee präsentiert: „Und dann gehen sie in ein Möbelgeschäft und sitzen herum, ja, sie sitzen einfach herum und reden über dies und das…“ – Diese Idee ist einfach zu absurd. „Warum ein Möbelgeschäft?„, hört man den Produzenten fragen. Und dann sagen: „Das will doch niemand sehen…“
Natürlich kommt in Joe Pera Talks With You mal ein Möbelgeschäft vor, natürlich ist es auch eine Serie über eine Kleinstadt in Michigan. Breaking Bad ist ja auch eine Serie über Kriminalität in Albuquerque. Und Mad Men erzählt auch von Werbeagenturen in New York und dem tollen Style der 1960er Jahre. Die Serien sind allerdings nicht mit ihrer Szenerie identisch, sie erschöpfen sich nicht in dem, was man sieht.
In Deutschland, so mein Eindruck, werden Serien eher nach dem beurteilt, was sich dem Auge sofort erschließt. Sieht man Neues? Gibt’s einen ungewöhnlichen Schauplatz? Passiert etwas Unerwartetes? Erkennt man das Genre schnell genug? Erzählen wir genügend Witze?
Im Januar 2020 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Porträt des Comedians Felix Lobrecht. Darin heißt es: „Es gibt einer vereinfachenden amerikanischen Theorie folgend zwei Arten von Comedians. Leute, die lustige Sachen erzählen und lustige Leute, die Sachen erzählen.“ Lobrecht wird dann der zweiten Kategorie zugerechnet. Das ist aber kein praktischer Zufall, wie es der Artikel nahelegt, es musste fast zwangsläufig passieren: Stand-up-Comedy ist als Kunstform ja recht eindimensional. Es gibt Ausreißer und Experimente, aber im Grund ist da immer nur ein Comedian und ein Mikro. Irgendwann sind alle lustigen Dinge erzählt, alle Witze gemacht und so viele Lustiges erlebt man ja auch nicht Tag für Tag. Wollen Stand-up-Comedians also variabel bleiben und sich weiterentwickeln, ist es nur konsequent, dass sie nach innen blicken und überlegen, wie man auch normale Dinge witzig erzählen kann. Jeder kennt X, aber was ist meine persönliche Perspektive?
Wenn man diese „Theorie“ nun auf Comedyserien anwendet, erscheint mir, dass Joe Pera maximal unspannende Dinge zeigt, aber auf liebevolle und witzige Weise. Es zeigt die Dinge lustig. Und in Deutschland scheint mehr Wert darauf gelegt zu werden, lustige Dinge zu zeigen, ja vielmehr: den Strom an lustigen Dingen niemals abreißen zu lassen. So entstehen dann zum Beispiel Sendungen wie Queens of Comedy, die von der Illusion leben, dass es unbegrenzt lustige Einfälle gibt, die immer frisch und neu sind und außerdem vom Publikum universal als solche aufgefasst werden. Damit die Einfälle neu bleiben, müssen sie aber immer abgefahrener und absurder werden. Das Ergebnis ist Konfusion.
Natürlich will niemand ein Möbelgeschäft in einer Comedyserie sehen. Man sollte dazusagen: Solange das Mobelgeschäft das Spannendste ist und ein verfehltes Drehbuch rausreißen muss. Aber es gibt wichtigere, größere Dinge, die sich eben passgenau durch ein Möbelgeschäft vermitteln lassen. Vielleicht muss man zweimal hinsehen – es wäre schön, wenn mehr Produktionen das ihren Zuschauer:innen zutrauen würden.
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