Die Grenzen von Instagram sind die Grenzen meiner Welt

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Comedians im Würgegriff der Plattformen: Wer Reichweite erzielen will, muss sich den Gesetzen der Sozialen Medien beugen. Zeit darüber nachzudenken, was „Erfolg“ eigentlich bedeutet.

Vor zwei Jahren porträtierte die New York Times die Comedienne Janeane Garofalo. Die war in den 90ern eine der Stimmen der alternativen US-amerikanischen Stand-up-Comedy. Sie markiert wie kaum jemand den Shift von der observational zur confessional Comedy. Und doch hatte sie immer weniger Erfolg, als sie es verdient hätte. Aus einem simplen Grund, denn sie tritt einfach öffentlich kaum in Erscheinung.

“She’s not on Twitter, Instagram or any social media. She has no website or podcast, hasn’t done a special in years and doesn’t even have a computer, smartphone or email address.” 

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Wer Garofalo live sehen wolle, muss sich anstrengen, um die Shows ausfindig zu machen, die sie spielt. “I periodically stumble across her in a show and it always comes as a happy surprise from another time, like discovering a storied zine that only a few people still knew existed”, beschreibt es Jason Zinoman, der Autor des Porträts.

Garofalo hat sich gegen den offensichtlichen Erfolg entschieden, ganz bewusst. Als Cast-Mitglied bei Saturday Night Live schmiss sie nach wenigen Monaten hin, sie sei „anxious and depressed” geworden und beklagte, die Sketche seien “juvenile und homophobic”, die Arbeitsatmosphäre sexistisch. Und da sie den US-amerikanischen Militärschlag gegen den Irak nach der Attacke auf das World Trade Center 2001 vehement kritisierte, nahm ihre Karriere ernsthaft Schaden, berichtet etwa Marc Maron in seinem Podcast. Womöglich ist Garofalo also ein gebranntes Kind, womöglich hat sie keine Lust mehr auf zu viel Öffentlichkeit.

Nach heutigen Maßstäben ist Garofalo eine gescheiterte Comedienne. Eine, die es nicht zu Erfolg gebracht hat, eine, die auf den Sozialen Medien nicht existiert. Und das ist für Künstler:innen heute gleichbedeutend mit: generell nicht existieren.

Und doch ist es ein wunderbares Beispiel dafür, dass es eine Alternative geben kann. Eine Alternative zu dem Denken, das – in der schwächeren Ausprägung – besagt, dass nur Aufmerksamkeit einer Sache überhaupt Wert verleihen kann. (Denn was nützt der am besten gecraftete Joke, wenn niemand ihn hört?) Und in der stärkeren Ausprägung wird sogar die Aufmerksamkeit selbst, das Following, der Buzz, den jemand mitbringt, zur Essenz eines künstlerischen Phänomens. Dann ist etwa Stand-up-Comedy das Mittel zum Zweck, etwas, mit dem sich die Kanäle auf den Sozialen Medien leicht befüllen lassen.

Auch als bloßer Beobachter der Stand-up-Szene bin ich Anhänger dieses Denkens, notgedrungen, so rede ich mir das ein. Denn wo soll man denn Comedians kennenlernen, wenn nicht auf Instagram oder Tiktok? Wo soll ich die Termine für den Showkalender hernehmen, wenn nicht von Facebook? Aber diese Überzeugung gerät gerade gehörig unter Beschuss: Meta wird unter der neuen Präsidentschafts Donald Trumps zum Hort für hate speech, Transphobie und ekelhaftes Rum-ge-bro-e. Auch bei Tiktok bin ich wenig zuversichtlich für die Zukunft. Jede auf Nutzermasse abzielende Plattform kippt irgendwann. Will man das unterstützen? 

Don’t hate the player, hate the game. Es muss halt sein, wenn man in diesem System reüssieren will – diese Unterhaltung habe ich dutzendfach geführt. Irgendwie stimmt das, irgendwie erinnert es mich aber auch stark an den Satz des Philosophen Ludwig Wittgenstein “Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt”. Wir akzeptieren, wie die Sozialen Medien unsere Wahrnehmung strukturieren, und glauben, es könne nur noch das existieren, was wir auf Sozialen Medien sehen. Nennt mich naiv, aber ich finde, über den Erfolg eines Comedians sollte nicht entscheiden, ob jemand Expertise in Digitalmarketing besitzt, ob jemand mal für Agenturen gearbeitet hat. Nicht das Following sollte einen Comedian für Bühnen interessant machen oder eine Autorin für Produktionsfirmen.

Garofalo ist der lebendige Beweis, dass es anders geht. Zu behaupten, sie wäre eine gescheiterte Comedienne, ist absurd. Sie ist eine großartige Comedienne, die sich halt nichts aus Social Media macht. Wahrscheinlich hätte sie so viel größer sein können. Aber sie hat sich dadurch sehr viel Zeit und Mühe gespart, die sie stattdessen in ihre Kunst stecken konnte. So etwas gibt es. So etwas sollte es geben.

Was bedeutet Erfolg unter Comedians? Ich würde mal ins Spiel bringen: Vielleicht eben nicht die größte Followerschaft auf Sozialen Medien, sondern die Motivation zu haben, eine Kunstform zu betreiben, obwohl die Followerschaft ausbleibt. Diese Art von Erfolg stellt sich nicht wegen, sondern trotz Instagram ein. Künstler, die ihre Kunstform lieben, werden immer einen Weg finden, sie auszuüben – ob sich nun ein Kritiker der New York Times dafür interessiert oder nicht, und unabhängig von allen Likes, Favs und Herzchen, die Menschen in den Sozialen Medien verteilen.

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