Im März 2020 bremsen die ersten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen Kunst und Kultur in Deutschland allmählich aus. Die Improschauspielerin Lena Breuer gründet kurzerhand mit ein paar Kolleg:innen das Impro Fest Online. Während sich zum Beispiel Stand-up im Digitalen schwertut, gelingt es dem Impro Fest, das Interesse an Workshops und Shows am Laufen zu halten. Am Freitag und Samstag feiert das Format nun seinen ersten Geburtstag. Im Interview schildert Mitgründerin Breuer ihre Eindrücke aus einem Jahr Impro in der Pandemie.
Setup/Punchline: Dieses Wochenende feiert das Impro Fest Online seinen 1. Geburtstag. Was ist im vergangenen Jahr passiert?
Lena Breuer: Wir haben im März 2020 angefangen, Festivals zu veranstalten. Wie auf einem analogen Festival gab es Shows und Workshops für Impro-Theaterspieler:innen. Zuerst auf Deutsch, dann auch auf Englisch, und am Wochenende auch mal tagsüber, damit wir auch Interessenten aus anderen Zeitzonen erreicht haben. Das Geburtstagsfestival jetzt ist schon unsere 35. Ausgabe. Insgesamt haben wir im vergangenen Jahr mehr als 3000 Tickets verkauft. Damit sind wir vermutlich das größte Onlinefestival im Bereich Impro weltweit.
Davon mal abgesehen, wie sieht die Improszene in Deutschland eigentlich aus?
Sie ist klein, aber sehr aktiv. Vor der Pandemie gab es um die 25 Festivals im deutschsprachigen Raum, mal kleinere, mal größere. Zum Beispiel das Improtheaterfestival in Würzburg, Improvember in München oder die Momenta in Leipzig. Und in den meisten größeren Städten gibt es professionelle Gruppen wie die Steife Brise in Hamburg oder die Affirmative in Mainz.
Lena Breuer ist Journalistin und Schauspielerin und Lehrerin für Improtheater. Sie hat das Ensemble Impro Köln aufgebaut und war bis zur Pandemie in wechselnden Konstellationen auf der Bühne zu sehen. Im März 2020 gründete sie gemeinsam mit Nick Maaß, Jens Wienand und Veronika Pammer das Impro Fest Online. Die regelmäßigen Veranstaltungen hatten bislang mehr als 3000 Teilnehmer. (Foto: Annelen Bergenthum)
In den USA haben Improschulen wie Second City oder die Upright Citizens Brigade lange Zeit die Comedyindustrie mit Nachwuchs versorgt, zumindest bis Corona. Wie intensiv beobachtet das deutsche Fernsehen denn die Szene?
Eine vergleichbare Struktur gibt es in Deutschland nicht. Vielmehr ist es eher so, dass Comedy und Impro hier meist streng getrennt werden. Die deutsche Landschaft funktioniert auch ein wenig anders als die amerikanische. Hier liegt ein viel stärkerer Fokus auf dem klassischen Theater und den großen subventionierten Häusern. Dass man da einen Platz finden kann, zeigt zum Beispiel Stand-up. Das findet ja im Fernsehen und auf großen Bühnen statt. Impro dagegen fliegt ein bisschen unter dem Radar. Wir versuchen das zu ändern, das Potenzial ist auf jeden Fall da. In den 1990ern waren wir da schon mal weiter. Mit der Schillerstraße hat da auch schon mal ein Format den Weg ins Fernsehen gefunden.
Die großen Schulen in den USA pflegen ihre ureigenen Philosophien von improv. Nach welcher wird in Deutschland vorgegangen?
Ich würde sagen, dass in Deutschland Keith Johnstone, ein britischer-kanadischer Schauspiellehrer, den größten Einfluss ausgeübt hat. Aber ganz pauschal lässt sich das nicht sagen, es ist viel im Fluss. Es kommen auch viele Einflüsse aus den USA, gerade was die Harold-Form, das Konzept des game oder die free form angeht.
In welche Richtung, glaubst du, wird sich das Improtheater in Deutschland entwickeln?
Ich würde mir wünschen, dass sich die Form weiter professionalisiert. Und dass sich ein klares Bewusstsein für die Vielfalt ausprägt, auch bei Menschen, die nicht tief in der Szene drin sind. Es gibt nicht einfach das Improtheater in Deutschland. Es gibt eine tolle Community, viele verschiedene Laiengruppen und Kursangebote, und es gibt Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Das kann dann durchaus auch mal mehr Geld kosten. Es ist wie beim Fußball: Es gibt Amateursportler und Profis, es gibt eine Fußballkultur in der Breite. Diese Akzeptanz wäre wichtig, damit Impro in Deutschland insgesamt wachsen kann.
Wie könnte das konkret aussehen?
Wir müssten klare Qualitätskriterien festlegen. Zum Beispiel, dass professionelle Gruppen nicht für den Hut spielen. Oder dass es keine Kneipenshows ohne richtige Bühnentechnik gibt. Es gibt in Deutschland ja einige hochprofessionelle Gruppen, die nach solchen Kriterien arbeiten, die Springmaus in Bonn etwa oder die Gorillas in Berlin. Aber einen szeneweiten Standard kann natürlich nicht eine einzelne Gruppe festlegen. Das geht nur gemeinsam, zum Beispiel als Verband.
Sehnst du dich nach einem Jahr Online-Impro danach, mal wieder auf einer Bühne zu stehen?
Natürlich gibt es Sachen, die gehen online nicht: Ich kann meine Mitspieler nicht anfassen, kann auch keinen Augenkontakt herstellen. Aber das gilt umgekehrt genauso. Die Bühne ist immer die leere Bühne. Ich kann keine unterschiedlichen Räume darstellen, kann keine Requisiten benutzen, kann mich nicht mit dem Laptop in die Badewanne legen. Impro online und Impro auf der Bühne sind zwei verschiedene Formen, beide mit ihren Vor- und Nachteilen. Von daher will ich das gar nicht vergleichen.
Du empfindest das Spiel über Videokonferenz also nicht als defizitär?
Nein, man muss die Vorteile von Online-Impro auch zu schätzen wissen. Es ist viel einfacher, Lehrerinnen und Lehrer aus der ganzen Welt einzuladen. Und es ist viel inklusiver. Die Teilnehmer müssen nicht teuer anreisen, es gibt generell weniger Kosten drumherum. Online ist nicht besser oder schlechter, es ist genau, wie es sein muss. Es ist schlicht ein anderes Medium für die Kunst, das nach anderen Regeln funktioniert. Und es ist spannend, damit zu spielen.
Impro Fest Online, 35. Edition am 19./20. März 2021, mit Party und Workshops von Ilka Luza, Torsten Brand, Enrico d’Agata und Jill Bernard. Tickets unter www.improfestonline.de