Nella testa c’è un mondo: Stand-up-Comedy in Italien

(Foto: Alexey Turenkov, Collage: s/p, so sorry, facepalm)

Die Witze von Comedians auf Papier drucken und als Buch herausbringen – was für eine schreckliche Idee. Sie kann nicht funktionieren. Sie sollte nicht funktionieren. Und doch schlägt man am Ende Stand-up Comedy von Herausgeber Giulio D’Antona zu und denkt: Hat ja doch funktioniert. Man ist vormals unbekannten Comedians nahegekommen und in eine fremde Szene, in diesem Fall die italienische, eingetaucht.

La prima antologia italiana lautet der Untertitel, es soll sich also um die erste italienische Anthologie zeitgenössischer italienischer Stand-up handeln. Denn der zweite Stand-up-Boom spart auch Italien nicht aus. (D’Antona spricht natürlich nicht von einem Boom, sondern viel schöner von einer „seconda epoca d’oro“, einer zweiten goldenen Ära.) Entsprechend boomen auch die städtischen Stand-up-Szenen in Rom, Mailand, Florenz, Neapel und Turin, und entsprechend groß ist das Angebot an professionellen Comedians, die mal mehr (etwa Edoardo Ferrario und Francesco De Carlo), mal weniger (z. B. Velia Lalli und Francesco Frascà) bekannt sind. Fünfzehn von diesen stellt D’Antona anhand komplett ausnotierter Sets vor.

Das Konzept der Anthologie, einer Sammlung von ausgewählten literarischen Texten, ist Jahrtausende alt. Meistens sind es Gedichte oder Prosatexte, die versammelt wurden. Bei Stand-up-Comedy gäbe es gute Gründe, eine solche Sammlung und überhaupt den Abdruck zu vermeiden: Die Kunstform ist zu dialogisch, zu alltagssprachlich, sie lebt von der Live-Aufführung, schon ein gefilmtes Special fängt den Zauber des Moments gar nicht mehr ein.

Diese Probleme federt D’Antona (der sonst als Übersetzer und Autor, unter anderem von Geschichten für das Lustige Taschenbuch arbeitet) mit einem kundigen Vorwort und einführenden Texten zu den einzelnen Comedians mehr als gekonnt ab.

Stand-up als „soziales Instrument“

Buchcover von La prima antologia italiana
D’Antona Giulio (Hrg.): Stand-up Comedy. La prima antologia italiana. Turin: Einaudi 2019. 153 Seiten.

D’Antona beobachtet die italienische Stand-up-Szene und das Business seit Jahren sehr genau. Unter anderem war er als Produzent an den ersten drei italienischen Stand-up-Specials für Netflix beteiligt, von Ferrario, De Carlo und Saverio Raimondo. Zwar äußert er sich wiederholt arg positiv über die mächtigen Gatekeeper wie Netflix, als handelte es sich dabei um altruistische Comedyfans. Trotzdem spürt man die Kenntnis der Materie in jedem Satz. Etwa wenn er über verschiedene Typen von Comedians schreibt, über Lust und Unlust des Auftretens, über unterschiedliche Arten des Lachens oder den der Kunstform eingeschriebenen Perfektionismus:

„Ein Stand-up-Bit wird durch Wiederholung aufgebaut, durch Übung, durch konstantes Nachbessern und Perfektionieren, Abend für Abend, Probe für Probe, Versuch für Versuch. [Stand-up] ist eine quasi-exakte Wissenschaft, weil die Genauigkeit in der Komik eine systematische Ungenauigkeit ist. Sie befindet sich in permanenter Anpassung.“ [Übersetzung s/p]

D’Antona hat höchsten Respekt vor dem „strumento sociale“, dem „sozialen Instrument“ Stand-up. Seine Texte bilden die Seele der ganzen Unternehmung.

Und die italienische Stand-up? Ich möchte tatsächlich auf keinen Witz aus dem Werk eingehen, da mir die Gefahr zu groß scheint, eine irgendwie geartete (zwangsläufig falsche) Vorstellung von „typisch italienischer Comedy“ zu bedienen. Festhalten lässt sich: Die Themen der italienischen Comedians sind die einer urbanen, hedonistischen Schicht, also dieselben wie überall auf der Welt. Es gibt Oneliner, Anekdoten, witzige Storys. Es gibt self-deprecation, es gibt edgy jokes, es gibt Politik und die Banalität des Alltags. Allenfalls lässt sich sagen, dass das Italienische ähnlich wie das Englische mehr sprachliche Mittel zur Verfügung stellt, Plötzlichkeit und unerwartete Wendungen auszudrücken. Mit Gerund- und Partiziptkonstruktionen lassen sich leichter neue Gedanken spontan einführen als im Deutschen – sehr nützlich für Jokewriting. Zum Selbstläufer wird das dadurch aber noch lange nicht.

Der italienische Autor und Produzent Giulio D'Antona
Herausgeber Giulio D’Antona (Foto: Stefano Moscardini via cc by sa 4.0)

Stand-up lesen? Absolute Befremdung!

Entscheidender scheint mir allerdings ein Phänomen, das sich auf Seite der Leser:innen einstellt: absolute Befremdung. Man weiß, dass man Witze liest, während man eigentlich doch von einem echten Comedian erst kunstfertig davon überzeugt werden müsste. Comedian und Text sind kaum voneinander zu trennen. Das geht sogar so weit, dass sich bei mir beim Lesen der Sets eine leichte Paranoia einstellte: Ich habe mich mehrmals erschrocken umgedreht, weil ich dachte, dass der jeweilige Comedian hinter mir steht.

Also muss ein Kompromiss her: Man liest sich die Jokes einfach selbst laut vor. Vielleicht nicht mit der ganz richtigen Attitüde, mit der besten delivery oder der perfekten Betonung. Aber selbst ein schlechtes Liveset ist besser als ein gutes gelesenes. Comedy lässt sich nicht auf Papier bannen. Sie muss zur Aufführung gebracht werden, notfalls durch einen selbst. Und wenn D’Antona am Ende des Buchs auch dem Stand-up-Publikum dankt, „ohne das nichts ginge“, so fühlt man sich als Leser erst recht angesprochen. Bitte! Gern geschehen.