Ein offenbar weltweit gültiges Stand-up-Gesetz lautet so: Je größer das Publikum, das ein Comedian anspricht, desto fragwürdiger seine Kunst. In Deutschland Mario Barth, in England Michael McIntyre, in den USA Dane Cook: Sie alle haben riesige Fangemeinden, außerhalb von diesen werden sie als Comedians allerdings kaum geschätzt. Und die Comedy-Avantgarde schüttelt den Kopf darüber, dass die Fans offensichtlich alles gut finden, egal wie schal die Witzklischees sind, die die Massen-Comedians ihnen vorsetzen.
Auch Felix Lobrecht ist ein solcher Massen-Comedian. Zumindest, wenn man auf die Zahlen schaut. Für die, die es noch nicht mitbekommen haben, fasst er es in seiner Show Hype gegen Ende noch einmal zusammen: Er wuchs in Armut auf, in Berlin-Neukölln, aber seit ein paar Jahren nun läuft es ziemlich gut für ihn. Alle Shows ausverkauft (Corona spielte zur Aufzeichnung noch keine Rolle), zwei Bücher, zwei Bestseller, eine Verfilmung steht an, und dann ist da ja auch noch Gemischtes Hack, der Podcast mit den meisten Hörer:innen Deutschlands. Vor allem durch den Podcast hat sich Lobrecht eine treue Community geschaffen, die ihn als „ihren“ Comedian ansieht. Diese feiern ihn, ungeachtet allem, was er sagt und tut.
Gleichzeitig gehört Lobrecht eindeutig nicht in die Reihe mit Barth, Cook und McIntyre. Anders als diesen ist es ihm gelungen, einen Zeitgeist einzufangen und sogar zu verkörpern. Gemessen an den Zahlen ist er Mainstream. Gemessen an der Irritation, die er als Phänomen außerhalb seiner Fanblase auslöst, ist er Avantgarde. Auf jeden Fall beherrscht er das Werkzeug des Comedians besser. Allerdings: Dass er dem Handwerk nicht uneingeschränkt vertraut, zeigt, an welchem Scheidepunkt die Kunstform Stand-up-Comedy gerade steht. All das wird anhand von Hype deutlich, das Anfang 2020 in der Hamburger Laeiszhalle aufgezeichnet wurde.
Wie Lobrecht den Zeitgeist einfängt, wird besonders deutlich im Kontrast zu einem anderen Werk, dem genau das nachgesagt wird: dem Roman Allegro Pastell von Leif Randt. Der erschien im Frühjahr 2020 und erzählt die Geschichte eines Liebespaars in den Dreißigern. Die Liebenden sind eher mit Nachdenken als mit Leben beschäftigt. Über all den Stilgeboten, Kodizes, Regularien und der zwanghaft auferlegten Selbstironie können sie eigentlich nicht anders, als unglücklich zu werden. Über dieses Unglück können sie dann immerhin wieder reflektieren, so dass am Ende dann schon irgendwie alles passt.
Bin ich woke genug, bin ich pro-divers genug, bin ich als Mensch gut genug, kann ich gut genug verzeihen? Auch Felix Lobrecht erkennt diese mikro-moralischen Zwickmühlen der Zeit an, findet aber einen Ausweg. Während in Allegro Pastell die Hyperreflexion nie an ihr Ende kommt, dient Lobrecht der Humor als Konzept, um auf die Bremse zu treten. In Allegro Pastell leiden die Protagonisten darunter, dass sie die hohen Maßstäbe, die sie an ihr Leben stellen, nicht erfüllen können. Es ist ein Symptom unserer Zeit, das auch Lobrecht ausstellt. Angesichts der Widersprüche zuckt er aber nur mit den Schultern, ruft „Wat?“ und grinst. In Allegro Pastell wird nicht gegrinst, geschweige denn gelacht. Die Welt ist eine komplett humorlose. Es wundert eigentlich nicht wirklich, dass Lobrechts Modus so viele Fans findet.
Die handwerkliche Komponente von „Hype“
Dann ist da noch der Faktor Handwerk, der bei Lobrecht eine viel größere Rolle spielt als etwa Dynamik und Energie. Man merkt es dem Special an vielen Stellen an, dass da einer schon lange mit Sprache arbeitet. Ein Beispiel hierfür ist das Anfangsbit. Wer hier „Behindertenwitze“ erkennt, wie das etwa der Musikexpress getan hat, hat nur mit halbem Ohr zugehört. Kern ist die intuitive menschliche Autofahrer-Reaktion auf einen freien Parkplatz, der sich dann als Behindertenparkplatz entpuppt. Es geht hier nicht vorrangig um Menschen mit Behinderung, sondern um die Kleingeistigkeit von Menschen ohne Behinderung. Das wird zwar, Stichwort Rollstuhlreifen-Schlitzer, mitunter ruppig. Es kann aber auch nur so ruppig werden, weil Lobrecht mit beiden Beinen fest auf dem Terrain der Prämisse steht.
Er gibt sich als Berliner Proll, prahlt mit seiner Rolex und macht sich über die eigenen Fans lustig. Doch trotzdem wird diese Attitüde nie zu ernst und nie arrogant. Er bleibt sympathisch, weil er sich einen niedrigen Status zuweist. Er schildert etwa, wie er Angst hat, als Einbrecher seine Wohnungstür bearbeiten, und wie er sich dann zum Schutz eine Schreckschusswaffe zulegt. Dann malt er sich aus, wie er Einbrecher, die das natürlich sofort durchschauen, dann freundlich in die Wohnung bittet. Von der street credibility ist da nichts mehr übrig. Und das wirft, ohne es auszusprechen, die Frage auf, wie viel Substanz sie überhaupt zu Beginn hatte.
An einer Stelle spricht Lobrecht darüber, wie spießig er geworden sei und wie ihn Berlin als Stadt mittlerweile nerve. Im Act-out wechselt er komplett die Perspektive, nicht auf die des „coolen Berlin“, sondern auf die eines noch uncooleren Berliner Yuppie-Spießers. In drei Sätzen entsteht hier aus drei Blickwinkeln ein ganzer Kosmos. Es gibt wenige Stand-up-Comedians in Deutschland, die dieses Spiel hinkriegen und wieder so sicher landen wie Lobrecht.
Absurdität und Klarheit
Dazu kommen schöne absurde Ideen wie die, eine Krähe, die sich in sein Wohnzimmer verirrt hat, zu siezen und mit „sir“ anzusprechen. Und dann die große Klarheit, mit der er seine Gedanken präsentiert. Die fällt bei Stand-up in der Regel nur auf, wenn sie fehlt, also das Publikum verwirrt ist. Lobrecht aber formuliert so klar, dass er in einer Stunde fast komplett ohne störenden Nebengedanken auskommt. Etwas faul dagegen wirkt die kleine Zuschauer-Interaktion („flink wie Hitler“), die so schon in Lobrechts Show Kenn ick (2019) zu sehen war. In produzierten Specials könnte man die Wiederholung durchaus tilgen. Allein, man verzeiht es, weil die Qualität durchweg sehr hoch ist.
Schade ist indes, dass Lobrecht nicht darauf vertraut, dass das Publikum diese Kunstfertigkeit auch erkennen wird. Das wird an zwei Beispielen deutlich.
Zum einen an einer Art Haftungsausschluss, den er am Anfang nach dem Bit über Behindertenparkplätze liefert. „Ihr dürft lachen“, sagt er dem Publikum. Differenzieren sei in Zeiten von political correctness in manchen Kontexten schon wichtig. „Aber das hier sind alles nur Witze.“ Er ermuntert die Zuschauer:innen also zu lachen, allerdings nicht, weil seine Comedy gut ist – sondern wegen des Rahmens Comedyshow. Ein Argument, das man in Deutschland vor allem aus dem Mund von Dieter Nuhr kennt, dann mit dem Fokus auf „Satire“ anstatt „Witzen“. Und merkwürdig an dieser Stelle. Denn Lobrecht führt in Hype ja gerade vor, dass Comedians mit sogenannten schwierigen Themen auch gekonnt umgehen können. Dass es keinen Kontext braucht, wenn die Haltung des Comedians präzise ist, weil sich die Witze dann selbst erklären. Indem er seine Comedy unnötigerweise im PC-Diskurs kontextualisiert, macht er sich als Künstler klein.
Als gäbe es nicht auch gute Gründe für einen Hype
Zum anderen ist da noch der Part am Ende, in dem Lobrecht sich nachdenklich gibt. Er zählt seine Erfolge der vergangenen Jahre auf, fügt aber an, dass er diese nicht genießen könne. Denn zum ersten Mal im Leben habe er Verlustängste, weil er zum ersten Mal im Leben etwas zu verlieren habe. Einem Hype sei nicht zu trauen. „Der kommt schnell und ist irgendwann einfach vorbei“, sagt er. Das ist natürlich, trotz 42.000-Euro-Rolex, ein Ausdruck von Demut. Es heißt aber auch, den Hype als eine Naturgewalt zu identifizieren. Damit wäre alles, worum er entsteht, bedeutungslos. Als gäbe es nicht auch gute Gründe, einen Künstler und seine Kunst zu hypen.
Es wirkt, als wolle Lobrecht sich als Künstlerfigur aus der Gleichung eliminieren. Während Allegro Pastell zeigt, in welche Sackgassen es führt, wenn man alle Lebensbereiche überreflektiert und ästhetisiert, lehnt Lobrecht die Ästhetisierung rundheraus ab. Er will die Gemachtheit seiner Comedy verstecken, vielleicht weil sie nicht zum Narrativ des Neuköllner Aufsteigers passt. Allerdings erfordert eine zurückgenommene Ästhetik, die auf Authentizität pocht, ebenso Kunstfertigkeit wie eine überstilisierte. Als realer Typ, der scheinbar mühelos vor sich hinplaudert, kann sich Lobrecht ja nur inszenieren, weil er sich so gut auf sein Handwerk versteht. Es ist unglaublich schwierig, Stand-up so einfach aussehen zu lassen.
Es ist das Problem aller Kunstformen: Je versierter man sie betreibt, umso mehr droht man das Handwerk auch einzusetzen und die Wirklichkeit zu verfälschen. Je mehr man Künstler ist, umso größer die Gefahr, weniger authentisch zu sein. Wie und ob Felix Lobrecht mit diesem Widerspruch produktiv umgehen kann, wird über seine Zukunft als Stand-up-Comedian entscheiden.