Was für eine Entwicklung: 2015 galt Hazel Brugger als „vielversprechendes Gesicht in der Kabarettszene“ (Süddeutsche Zeitung), die Deutschlandpremiere ihres ersten Programms spielte sie im Vereinsheim im Münchner Stadtteil Schwabing. Fünf Jahre später legt Brugger mit Tropical ein Stand-up-Special vor. Gedreht wurde es im September 2020 im km689, einer Event-Location mit Strandoptik, am Kölner Rheinufer gelegen. Produziert wurde es, wie das Neo Magazin Royale oder How to Sell Drugs Online (Fast), von der bildundtonfabrik. Und erschienen ist es Anfang Dezember, beim Streamingdienst Netflix.
Gehts noch hipper? Könnte man fragen, käme Tropical nicht so gemütlich daher. Brugger, zum Zeitpunkt der Aufnahme 26 Jahre alt, siezt ihr in etwa gleich altes Publikum und spricht von der Bühne wie einst Loriot von seinem Sofa. An einer Stelle informiert sie, dass im Rahmen dieser Comedyshow keine Systemkritik zu erwarten sei. Überhaupt thematisiert sie wiederholt, dass man es hier mit einer Show zu tun habe. Das erste Drittel von Tropical zieht seine Themen allein aus der Tatsache, dass ein Special produziert wird. Als müsste man das Publikum immer wieder an den heiteren Kontext erinnern: Dies ist ein lustiger Abend. Hier ist Ihre Lizenz zum Lachen. Alles wie gehabt also in der deutschen Comedy?
Zum Glück nicht. Da ist etwas, was Tropical zu einem besonderen Special macht. Denn Hazel Brugger exerziert etwas, was in Stand-up-Comedy in Deutschland häufig noch eine untergeordnete Rolle spielt: einen komischen Stil.
Als Beispiel betrachten wir eine Stelle aus einem Bit, in dem Brugger von einem Arztbesuch bei ihrem Gynäkologen erzählt. Sie beschreibt ihre Irritation über den Ausdruck „sich frei machen“, da sie sich eben nicht frei fühle, wenn sie ihre Hose ausziehe. Sie fühle sich durch das Tragen einer Hose erst gar nicht in ihrer Freiheit beschränkt. Weiter beschreibt sie, wie sie dann zwar ohne Hose, aber dafür oben „in voller Montur“ im Behandlungsstuhl Platz nimmt:
„T-Shirt, Pulli, Jacke. Skibrille. So ein Helm mit einer Bierflasche links und rechts, wo drauf steht ‚I Love Minnesota‘.“
Comedians arbeiten häufig mit Verstößen gegen Konventionen. Wörter bedeuten nicht mehr, was sie gemeinhin bedeuten – oder sie werden zu wörtlich genommen. Genderklischees und Rollenbilder werden invertiert. Oder die Sphären verrutschen, und jemand spricht mit dem Supermarktkassierer über intime Dinge. Es gibt unzählige Beispiele. Und die meisten beziehen sich auf die inhaltliche Ebene.
Nicht so bei Hazel Brugger: Die Konvention, gegen die sie verstößt, ist anders gelagert. Sie findet auf der Ebene der Sprechsituation zwischen Comedian und Zuschauer:innen statt. Als Künstlerin, die mit Worten arbeitet, muss Brugger daran gelegen sein, vom Publikum verstanden zu werden. Kunst ist immer auch Kommunikation. Zwei Gesprächspartner geben sich die Informationen, die sie für nötig halten, um vom Gegenüber verstanden zu werden. Irrelevantes versuchen sie wegzulassen, da es die Verständigung erschwert.
„Tropical“ und der Verstoß gegen die Konventionen
Auch Künstler:innen geben ihrem Publikum die Informationen, die ihrer Meinung nach nötig sind, um einen gewissen Effekt zu erzielen. Erkenntnis, Ekel, Irritation, Gelächter. Das Publikum weiß nicht, welcher Effekt erzielt werden soll (wenngleich es im Rahmen Comedyshow wohl damit rechnen kann, dass es ums Lachen geht), muss aber davon ausgehen, dass jede Information, die es bekommt, zur Erzielung dieses Effekts relevant ist.
Genau diese Maxime der Relevanz verletzt Brugger. Sie sagt Dinge, die zum Verständnis nicht nötig sind. Der Witz ist nach „T-Shirt, Pulli, Jacke“ bereits klar, die Skibrille und der Bierhelm kleiden die Situation mit Details aus. Spätestens die beliebige Aufschrift „I Love Minnesota“ ist überflüssig. Sie trägt keine Information bei, sie steigert allenfalls die Absurdität.
Wer gegen die Konvention verstößt, in Gesprächssituationen möglichst immer informative und relevante Dinge zu sagen, kann dies aus verschiedenen Gründen tun: Er kann lügen. Er kann sich irren. Er kann schlecht informieren. Aber gerade weil das extrem konkrete Hyperdetail so bewusst gesetzt ist, fällt das in diesem Kontext als Erklärung aus.
Ästhetik der Albernheit
Es gibt aber noch einen anderen Begriff für diesen Verstoß: Albernheit. Albern zu sein kann bedeuten, dass man ohne Ziel rumblödelt. Im Fall von Tropical bildet das Albernsein allerdings das Fundament. Die Komik entsteht bei Hazel Brugger nicht aus Witzstrukturen oder Pointen. Zwar hat sie einige solche im Programm. Doch wirken diese vor dem Hintergrund der albernen Grundierung künstlich und wie Fremdkörper. Vom Publikum werden sie dann nicht belacht, sondern brav beklatscht.
Es mach letztlich auch keinen Unterschied, ob die Pointen zünden: Bruggers Komik zieht ihre Wirkung nicht aus der Auflösung einer fehlgeleiteten Erwartung. Ihre Kunstfertigkeit besteht darin, komische Situationen in den Köpfen der Zuschauer zu erzeugen. Und diese malt sie konkret aus: Sie findet immer noch ein Detail und noch eines und noch eines, sodass eine alberne Welt erlebbar wird, deren irrelevante Details stellenweise in herrlichen Nonsens ausfransen. Etwa wenn Brugger typische Dinge aufzählt, die Väter sagen, und dabei als Erstes nennt: „Nach 18 Uhr gibt es keine Snack-Salami mehr!“
Act-outs sind der Teil der Performance von Comedians, in denen sie in kleine Rollen schlüpfen und spielen, wie sie oder andere Personen sich verhalten. Sie sind Bruggers große Stärke. Im Gegensatz zu anderen Comedians beschränken sich die Act-outs bei ihr nicht auf eine oder zwei Rollen und nicht auf das Ende eines Witzes oder Bits, um zu verbildlichen, was vorbereitet wurde. Act-outs sind die kompletten Szenen, die sie malt. Act-Outs sind ihre Comedy, allenfalls sind sie mit ein paar einleitenden Sätzen versehen.
Zum Beispiel, wenn sie eine gewalttätige Gans gegen einen Vierjährigen losgehen lässt. Oder das Prinzip von Wetten, dass…? erklärt und dabei Bruce Willis mit einem toten Fisch ins Gesicht geschlagen wird. Oder schildert, wie der zu lange Faden ihrer Kupferspirale am Strand die „sonnenverbrannten Knöchel von britischen Touristen“ touchiert.
Das Komische rückt ganz nah an den Humor
Der Philosoph Nicolai Hartmann hat in seiner Ästhetik den Unterschied zwischen dem Komischen und Humor beschrieben:
„Das Komische ist Sache des Gegenstandes, seine Qualität, […] der Humor dagegen ist Sache des Betrachters oder des Schaffenden (des Dichters, des Schauspielers). Denn er betrifft die Art, wie der Mensch das Komische ansieht, aufgreift, wiederzugeben oder dichterisch zu verwerten weiß. Man bringe also die beiden aufeinander bezogenen Phänomene nicht zu nah aneinander heran. Sie sind einander so unähnlich wie Musik und Musikalität, Zahlengesetzlichkeit und Rechenkunst.“
Brugger tut das, wovon Hartmann abrät: Sie bringt in Tropical das Komische und ihren Humor sehr nahe aneinander. Das Komische in Tropical ist nicht der Ausdruck von Bruggers Humor in Form von Witzen und Geschichten. Das Komische ist der Prozess. Der Humor ist das Komische.
Was erzählt wird, ist zweitrangig – Geschichten über Gynäkologen sind alles andere als neu. Neu ist zum einen die Betonung des Wie, kurz: der Stil. Neu ist zum anderen die Tatsache, dass überhaupt ein Stil existiert. Gerade in Deutschland, in dem sich Stile in Stand-up-Comedy ja erst allmählich ausprägen.
Die Betonung des Stils stürzt trotzdem nie ab in Inhaltsleere. Trotz der permanenten Markierung der Show als Show, weist das Ende von Tropical über die Show hinaus. Brugger führt in der letzten Szene vor, dass Albernheit nicht der Bühne vorbehalten ist, sie darf überallhin. Sie ist nicht bloße Gag-Strategie, die in der ernsten, echten Welt fehl am Platz ist. Sie kann ein Lebensprinzip sein, mit dessen Hilfe sich sogar Liebe ausdrücken und erfahren lässt. Das meint nicht, dass nun immer und überall Witze erzählt werden dürfen. Sondern: Alles kann lustig genommen werden. Banale Botschaft? Ist aber die größte Leistung von allen.