Ich mag Hazel Bruggers Stand-up-Comedy. Ich mag ihren Podcast Good Vibes, den sie gemeinsam mit ihrem Ehemann betreibt, dem Comedian Thomas Spitzer. Dort laden sie auch bekannte US-Comedians ein und bringen so die in Deutschland noch weitgehend unbekannte Stand-up-Welt einem größeren Publikum nahe. Auch unternehmerisch ist das Projekt interessant: Brugger würde wohl bei den meisten Sendern im Land sofort einen Job als Moderatorin oder dergleichen bekommen. Doch Spitzer und sie ziehen es vor, ihre Arbeit direkt von ihren Fans über Patreon finanzieren zu lassen. Das Ganze ist ein Modellprojekt für Comedy in Deutschland.
Nun genug der Lobeshymnen. Denn zu einem solchen Modellprojekt gehört offenbar heutzutage leider, dass man Plattheiten zum Thema Cancel Culture verbreitet. Zum Beispiel Ende Januar, als die US-amerikanische Stand-up-Comedienne Nikki Glaser bei Good Vibes zu Gast war. (Auf Youtube gibt es einen Zusammenschnitt der Episode zu sehen/hören; die ganze Episode auf Patreon)
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Glaser sagt darin unter anderem:
I always argue that if every man who has done something disgusting to women had to lose his job and not be able to create anything, this building would collapse, this computer would stop – if everything was taken from us from men who have done terrible horrific things to people, we wouldnt have a society.
Ja, damit hatt Glaser natürlich recht. Doch referiert sie ja nicht einfach einen Fakt, sie sagt das, um Kritik und Empörung von Menschen zu relativieren. Als wäre es schlicht undenkbar, dass Kritik auch gerechtfertigt sein kann.
Brugger pflichtet bei:
If everybody who had ever done anything wrong, was just wiped out, Mount Rushmore probably wouldnt be full of tourists, let’s just put it like that.
An dieser Stelle kann man spätestens stutzig werden: Empörung und Kritik (auch harsche) schön und gut, aber hat wirklich jemand verlangt, Menschen „auszulöschen“ (wipe out), die etwas falsch gemacht haben? Wer? Wann? Wo? Es bleibt im Unklaren.
Bemerkenswert, wie viel Raum die Cancel Culture erhält
Es muss im Unklaren bleiben, denn sonst ließe sich ein Narrativ nicht aufrechterhalten: das des woken Mobs. Dieser wird als große Gefahr evoziert. Irgendwo dort draußen gibt es ihn, bestehend aus „boring“ und „dumb people“ (Glaser), die mit sich selbst unzufrieden sind, die sich selbst nicht mögen („and their parents are probably alcoholic“), die sich empören, weil sie halt sonst nichts zu tun haben (Glaser) – und ihre Unzufriedenheit lebten sie dann aus, indem sie armen Comedians das Leben schwer machten. Künstler:innen, die doch nur die Wahrheit aussprächen. Spitzers Eindruck ist ein ähnlicher: „Most people who are super woke are not really happy in the first place.“
Die Meinung, die alle drei einhellig vertreten: Da letztendlich alles wahllos kritisiert werde, sei die Kritik auch nicht so ernst zunehmen. Brugger berichtet dann noch von ihrer Erfahrung als Comedienne, die auf der Bühne über ihre Schwangerschaft und das Kinderkriegen spricht. Selbst bei so einem harmlos anmutenden Thema sehe sie immer ein, zwei oder drei Personen im Publikum, die nicht lachten und alles andere als glücklich wirkten. Solle sie ihre Comedy etwa an der Handvoll ausrichten, die sie nicht gut fänden? Es ist bemerkenswert, wie viel Raum der Cancel-Culture-Komplex in der Episode (und in der mit Mark Normand) einnimmt.
Was dagegen keinen Raum einnimmt: Die Tatsache, dass Menschen (meistens Frauen) im Internet massenhaft beleidigt und bedroht werden, nur weil sie sichtbar sind oder sich äußern. Vor kurzem berichtete der Spiegel über die Comedyautorin Jasmina Kuhnke, die seit Monaten Hassnachrichten erhält und mit ihrer Familie schließlich umziehen musste. Wenn man sich die Mühe macht und auf Twitter in diesen Sumpf aus Hass hinabsteigt, kann man nachlesen wieso: weil sie das ja durch ihr offensives Twittern herausgefordert habe. Kuhnke äußert sich regelmäßig antirassistisch und benutzt auch schon mal Bezeichnungen wie „Alman“ oder „Kartoffel“ für weiße deutsche Menschen.
Zu viele Frauen kennen sich bestens mit Hass im Netz aus
Kuhnke ist nicht der einzige Fall aus den vergangenen Monaten. Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl zog sich vor kurzem komplett von Twitter zurück, nachdem der Hass immer erdrückender wurde. Sibel Schick, Julia Schramm, die Liste lässt sich fortsetzen: Viel zu viele Frauen kennen sich bestens mit Hass im Netz aus.
Die US-amerikanische Journalistin Lyz Lenz, die seit Jahren Hassbotschaften und Drohungen erhält, hat ihre Erfahrungen in ihrem Newsletter beschrieben. Titel: When the Mob Comes.
But what happened next was nothing like that. My phone exploded. My Google number, which I used almost exclusively then, was doxed [im Netz veröffentlicht und mit Anrufen und Nachrichten bombardiert, S/P] and I got message after message of alt-right memes. Facebook messages. Twitter messages. Instagram messages and comments. Emails. So many emails. For an entire year, it didn’t end.
Wie verarbeitet man so etwas? Lenz weiter:
You can turn your phone off. Your internet off. But you cannot escape. If the door knocks, you freeze. If a man on the street stares at you too long, your throat swells with fear and you wonder if you can kick him hard enough to get away.
Frauen, die zum Schweigen gebracht werden müssen, weil sie sich nach Ansicht von Trollen ungehörig verhalten – there’s a problem to talk about. Im Vergleich dazu nimmt sich Bruggers Anekdote über eine Handvoll grimmiger Gesichter im Publikum geradezu drollig aus.
Ich möchte nicht ausschließen, dass Brugger ebenfalls Hassbotschaften erhält und im Podcast nicht darüber sprechen will. Das wäre ihr gutes Recht.
Es wäre Zeit, Cancel Culture als Aufregerthema zu beerdigen
Fakt ist aber: Sie spart diese sehr brutale Facette von sehr real erfahrener Cancel Culture aus und verwendet stattdessen viel Zeit auf harmlose Erfahrungsberichte. Ihr dient diese Anekdote als weitere Facette eines von ihr so wahrgenommenen gesellschaftlichen Trends, Comedians das Leben schwer zu machen. Brugger und Spitzer wechseln mit Nikki Glaser nicht ein Wort über eventuell problematische Jokeinhalte, die es ja geben könnte. Ein Joke ist nicht exkulpiert, weil ein professioneller Comedian ihn ausspricht. Stattdessen gibt es das Einverständnis, dass Comedians immer „Wahrheiten“ aussprächen. Und wer Comedians kritisiere, verschließe die Augen vor diesen Wahrheiten.
Anstatt Cancel Culture als Aufregerthema zu beerdigen und die realen Auswüchse von Hass im Internet zu thematisieren und zu verurteilen, haben viele Comedians nur Augen für ihre eigene Situation. Es ist ein großes Kreisen um sich selbst.
Ich habe Hazel Bruggers aktuelles Stand-up-Special sehr gerne gesehen. Sie ist eine besondere Künstlerin mit eigenem Stil, an wit und funniness ist sie im Podcast einem Star wie Nikki Glaser oder einem Stand-up-Veteran wie Mark Normand mindestens ebenbürtig. Von welchem deutschsprachigen Kulturschaffenden lässt sich das behaupten? Erinnert sich noch jemand an Jan Böhmermanns Auftritt in der Late-Night-Show von Seth Meyers? Brugger würde ich gerne mal in einer solchen Show sehen.
Aber ihr Material ist alles andere als brisant. Das ist rein deskriptiv gemeint, es ist eine künstlerische Entscheidung, die Brugger für sich getroffen hat: Als Künstlerin ist sie keine Entdeckerin dunkler Gedanken. Wieso aber fühlen sich selbst Comedians mit harmlosem Material ständig von Cancel Culture bedroht?
Die ständige Befassung mit der Gefahr, dass ein woker Mob wie eine Naturgewalt über einen hereinbrechen könnte, ist symptomatisch für viele Comedians: Sie steht in keinem Verhältnis zur wirklichen Gefahr, der sich die Künstler:innen aussetzen. Sie verwechseln die ständig befürchtete und doch so selten eintretende Ausnahme mit einer eisernen Regel. In der Diskrepanz kommt eine merkwürdige Zerbrechlichkeit zum Ausdruck und eine Blindheit gegenüber gesellschaftlichen Vorgängen.
Ist ja nur ein Podcast, könnte man einweden. Aber es könnte auch in künstlerischer Hinsicht ein Problem werden: Stand-up ist eine Kunst, die gesellschaftliche Diskurse abbilden, verdichten, verschieben kann. Grundlage ist aber, bevor sie zustimmen oder widersprechen, dass Comedians diese Diskurse zuallererst einmal identifizieren können. Wer dazu nicht in der Lage ist, kann nie Neues beitragen, sondern immer nur alte Aussagen reproduzieren. Es ist nicht ausgemacht, dass die eigene Kunst davon verschont bleibt.