Dein Feind, das Publikum

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Comedians „killen“ und „bomben“ und fürchten ihr Publikum – Stand-up ist eine zutiefst feindselige Angelegenheit, findet mancher Forscher. Wahr ist: Stand-up ist eine zutiefst kommunikative Angelegenheit. Gedanken zu einem Angriff auf Comedians in Berlin.

Manchmal laufen Stand-up-Shows gehörig aus dem Ruder, wie man vor kurzem in Berlin erleben konnte. Bei Comitty Comedy hatte Host Martin Halla mit einigen nervigen Gästen zu tun. Sie quatschten drein und störten – und prinzipiell ist das ja erst einmal nichts schlechtes, zeugt es doch von einer fast kindlichen Freude und dem Willen, etwas zum Abend beizutragen. Und vielleicht auch einfach von der Unkenntnis darüber, wie Comedyshows funktionieren. Es gehört zu den grundlegenden Fähigkeiten von Comedians, derart überschießende Energie einzufangen und in geordnete Bahnen zu lenken.

Zu den grundlegenden Fähigkeiten von Comedians gehört es aber auch, zu erkennen, wenn nichts mehr hilft und Störer halt auch einfach rausgeschmissen werden müssen. Dazu sah sich Halla veranlasst, wie man bei ihm auf Instagram nachgucken kann. Und man muss sagen, aus gutem Grund. Denn wir müssen als geneigte Comedyfreunde davon ausgehen, dass Menschen, die zu einer Comedyshow gehen, Interesse an einer Comedyshow haben, mithin also von Störungen genervt sind. Hecklern zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, bedeutet, dass die echten Interessierten zu wenig abbekommen.

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Wo die Grenze zu ziehen ist, ob/was/wer/wie/wann/wie viel und mit welchem Nachdruck man vorgehen muss, ist, wie alles an dieser Kunstform, unmöglich pauschal zu beantworten. Ich habe Comedians erlebt, die nicht durchgegriffen haben, und denen darüber die Show entglitten ist. Ich habe aber auch Comedians erlebt, die Störern viel zu harsch über den Mund gefahren sind und darüber beim Publikum alle Sympathien verloren haben. 

Dem Video nach zu urteilen ist Halla das eigentlich gut angegangen. Die Heckler wurden rausgeworfen, aber offenbar kam einer von ihnen zurück, begoss Elissa Hamurcu, die Openerin des Abends, mit Wasser. Da ein Host natürlich seine Comedians schützen will, holte sich Halla im folgenden Gerangel eine blutige Lippe, die noch genäht werden musste.

Es gibt ja die These, dass Stand-up-Comedy eine latent aggressive Kunstform ist. Ständig brodeln Angst und Feindseligkeit unter der Oberfläche, die manchmal durchbricht und ein Ventil in körperlicher Gewalt findet. 

Der britische Comedygelehrte Oliver Double listet in seinem Buch Getting the Joke ein paar Beispiele von Comedian-Heckler-Feindseligkeit vom alten Schlag auf. So hob einmal ein Heckler der britischen Comedienne Hattie Hayridge auf der Bühne den Rock hoch, diese trat dann mehrmals zu, der Heckler wiederum bewarf sie mit einem Ei (unklar, wo er das her hatte). Lenny Bruce bat einen Heckler auf die Bühne und drückte diesem eine Torte ins Gesicht. Der US-amerikanischen Schauspieler und Comedian Milton Berle sprang von der Bühne und rang mit einem Heckler, der ihn antisemitisch beleidigt hatte. (Und kam dafür kurzzeitig in Haft, also Berle.)

Und der britische Comedian Bob Monkhouse war von einem Heckler derart genervt, dass er schließlich ausrastete, wie Double aus Monkhouses Tagebüchern zitiert. “‘No more!’ he said, before walking tightrope-style along the railing that led from the stage to the punter [= Gast] and kicking him in the head, instantly flooring him. The audience cheered the comic, and he went down to much greater enthusiasm after the assault.” (Dass Monkhouse nach diesem gefährlichen Angriff nicht die Sympathien des Publikums verlor, zeigt entweder, was für ein kunstfertiger Comedian er war, oder wie nervtötend der Heckler.)

Anekdoten gibt es viele, aber gibt es auch einen kausalen Zusammenhang? Macht Stand-up zu erleben, Menschen aggresiver – und in Konsequenz dann auch die Comedians? Sind Comedians am Ende selber schuld, weil sie wissen müssten, worauf sie sich einlassen?

Ist natürlich Quatsch. Künstler:innen aller Kunstformen sind schon bei Auftritten angegriffen worden. Das ist nicht schön, wird sich aber durch nichts, was die Künstler tun, vermeiden lassen. Manchen Menschen geht es nicht gut, sie haben Sorgen oder psychische Probleme. Und manche von ihnen sind zufällig gerade in einer Comedyshow. Ich will es nicht gutheißen, wenn Leute ausflippen. Aber viele Formen von Aggressivität haben nichts mit den zufälligen Umständen zu tun, in denen sie sich ereignen.

Then again… ist Stand-up anders gelagert als andere Künste. Comedians sprechen ihr Publikum direkt an, ziehen Dinge in den Dreck, machen Beleidigungswitze. Comedians sind Künstler, aber – und das ist ja eines der wiederkehrenden Hauptthemen von Setup/Punchline, man möchte fast sagen, eine Punchline – ihr Werkzeug ist die Alltagssprache, also ein dezidiert als unkünstlerisch wahrgenommenes Medium, das die Distanz zum Adressaten verringert. Singt uns eine Sängerin mit “Du Idiot!” an, nehmen wir das anders auf, als wenn es ein Comedian zu uns sagt. 

Vor allem würde man einer Sängerin nicht antworten, und schon gar nicht in Form eines Songs. Bei Musikkonzerten hat das Publikum durch Erfahrung und Gewöhnung eingeübt, dass man zuhört und sich in der Regel nicht weiter einbringt. Bei Comedyshows weiß es das Publikum in der Theorie, aber dann kommt so ein Dude und quatscht einen in der Alltagssprache an. Das Publikum hat durch Erfahrung und Gewöhnung eingeübt, dass man in solchen Fällen antworten kann. Die Hürde, sich einzubringen, ist viel niedriger.

„Stand-up Comedy is shot through with a dark vein of fear and hostility”, schreibt Double in Getting the Joke. „Stand-up has been compared with bullfighting. Comedians say that audiences are ‚the enemy‘, that they can smell the comic’s fear.“

Der Jargon, dessen sich Comedian bedienen, wenn sie über ihre Kunstform sprechen, ist von Ausdrücken der Aggression und Gewalt durchsetzt. Erfolgreiche Comedians killen, weniger glückliche bomben; wenn niemand lacht, bedeutet das “to die on stage”. Smash, destroy, zerstören, den Club niederreißen, die Hütte abbrennen. Ein umtriebiger Comedian und Showhost erklärte mir einmal, auf seine Umtriebigkeit angesprochen, man wolle schließlich die deutsche Comedyszene “nach vorne ficken”.

Selbst nach Jahren belustigt mich und meinen fein ziselierten Humorgeschmack wenig so sehr wie dieser Ausdruck, den ich selbstverständlich augenblicklich in meinen aktiven Wortschatz übernommen habe – aber es ist, vorsichtig gesprochen, doch eine gewisse Brachialität aus diesem Anspruch herauszuhören. (Und leider begab es sich ja, dass kurz darauf eine Pandemie die deutsche Comedyszene gehörig nach hinten fickte, aber das ist eine andere Geschichte.)

Double konstatiert: Comedians fürchten ihr Publikum, denn es urteilt über sie und kann sie zurückweisen. Vor Publikum zu sprechen gehört ohnehin für viele Menschen zu den schrecklichsten Vorstellungen überhaupt. Und umgekehrt fürchtet das Publikum die Comedians: Kaum jemand möchte gerne nahe der Bühne sitzen, aus Angst, die Künstler könnten sich einen herauspicken und das Gespräch suchen.

Er bemüht auch den österreichischen Arzt und Zoologen Konrad Lorenz und dessen berühmtes Werk Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggresion. Darin stellt Lorenz die These auf, dass Humor eine verschleierte Form von Feindseligkeit sei. Allerdings eine, die in den meisten Fällen nicht in aggressives Verhalten umschlägt. „Hunde, welche bellen, beißen immerhin manchmal, aber Menschen, welche lachen, schießen nie!”, schreibt Lorenz in Das sogenannte Böse.

Na immerhin schießt niemand, das ist doch schon mal etwas.

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2 Antworten

  1. Latente Agression scheint Inhalt der Gesellschaft zu sein und es gibt Kristallationspunkte, wo die Latenz verschwindet. Allerdings trifft das manchmal auch auf die Personen auf der Bühne zu, die in der Rolle des Stand-Up-Comediens sicher gut sind, aber wenn manchmal in ungeplanten Situationen die wahre Persönlichkeit durchblitzt, erschreckt man dann doch.

    1. Avatar von Setup Punchline
      Setup Punchline

      Schön gesagt, „wo die Latenz verschwindet“. Glaube auch, dass so sehr da Kunstfiguren oder Personas auf der Bühne ausgestellt werden, das immer irgendeine Form von Rückschluss zulässt. Es ist halt nie klar, welchen genau.

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