Fringe? Gesundheit!

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
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Im August findet traditionell das Fringe Festival im schottischen Edinburgh statt. Dieses Jahr zum ersten Mal nach 2019 wieder im vollen Umfang. Der britische Comedian Stewart Lee schildert im Guardian ein paar Eindrücke:

I have seen a man dance with pandas on his hands as cornflakes tumble from his mouth; I have seen a young woman embody the opinions of Kirstie Allsopp in the form of an interpretive dance; I have seen a tiny man hold the attention of hundreds of transfixed passersby by hitting a plastic bucket repeatedly with whatever he could pick up off the pavement; and I have seen a delightful dame sing delicately about dogging at a well-tuned piano, as Cicero would have done, had he been an ‚Alternative Comedian’.

Das Fringe ist ein buntes Kunst- und Kulturfestival. Vermutlich das größte der Welt übrigens. Zehntausende Künstler:innen treffen auf mehrere Millionen Zuschauer:innen. Weil es gar nicht genügend Auftrittsorte gibt, verwandeln sich Keller, Garagen, Speicher, Blumenläden oder Imbissbuden zu Bühnen. Für Edinburgh bedeutet es, wenn man den gängigen Reiseführern Glauben schenken darf, einen Monat Ausnahmezustand.

Und unter Comedians aus UK (und mitunter auch der restlichen englischsprachigen Welt) gilt es als wichtiges Comedyfestival, als Höhepunkt des Jahres. Es ist ein bedeutender Indikator der Glaubwürdigkeit und Zugkraft einer Künstler:in, wer wie oft in welcher Location vor wie vielen Menschen spielt. Also: ein wichtiger Indikator für Agentinnen und Manager; die sind natürlich auch in Scharen da und die interessieren sich ja für solche Sachen.

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Einen Monat lang ist Edinburgh das Zentrum des komischen Universums. Das läuft nicht ohne Brüche ab: Oh boy, gibt es auch beim Fringe natürlich die üblichen Skandale über Meinungs- und Kunstfreiheit wie den um Comedian Jerry Sadowitz, der auf der Bühne seinen Penis herausholte. Und natürlich geht die Konzentration auf das Fringe auch mit Problemen einher. Im Juli erzählten zum Beispiel, ebenfalls im Guardian, Comedians, warum sie das Fringe meiden würden: Für eine Show müssen sich Comedians schon auch mal verschulden, das ewige rat race laugt aus, Hoteliers und Vermieter verlangen während des Festivals Wucherpreise und am Ende werden die Gewinne von den Unternehmen abgeschöpft. „It feels like a machine designed to suck money and spirit from creative people„, sagt einer der refuseniks.

Anyhoo. Der englischsprachige Teil des Internets quillt über vor Rezensionen und Erfahrungsberichten, zum Beispiel im Guardian, im Independent, bei Beyond The Joke oder beim US-Comedykritiker Sean L. McCarthy. (Wer sich nur eine einzige Sache ansehen will, dem würde ich den Student Comedy Award des Comedymagazins Chortle empfehlen, die experimentell-tastenden Sachen finde ich immer am spannendsten. Sie sind halt nur auch am gefährlichsten.)

Dagegen in der deutschen Presse: wenig bis nichts. Nehmen wir zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung, immerhin eine der größten deutschen Tageszeitungen. Bei der SZ fanden sich Hinweise auf das Fringe in einer Bildergalerie und in einer launig aufbereiteten Anekdote über einen Comedian, zu dessen Show in Edinburgh nur ein einziger Zuschauer gekommen war. Dass diese Show im Rahmen eines der weltgrößten Festivals stattgefunden hatte, verrät der Artikel nicht. Und muss er ja auch nicht, denn, guter Einwand: Was interessiert die Leser:innen in Deutschland ein Festival in Schottland?

Es könnte sie aber interessieren. Es könnte Inspiration sein für Publikum, Veranstalter:innen und nicht zuletzt Comedians. Zum Beispiel um zu erleben, wie man Comedy eben auch inszenieren, konsumieren und feiern kann. Oder um vor Augen geführt zu bekommen, dass sich Comedy nicht in dem erschöpft, was gemeinhin in den Mediatheken zu sehen ist.

Vor einiger Zeit habe ich schon einmal dafür plädiert, dass Deutschland mehr Comedyfestivals braucht (und damit sind nicht Events wie die Komische Nacht oder diverse Lachnächte gemeint). Auf Comedyfestivals ist der Weg von der Veranstaltungshalle zur Hinterhof-Show kurz: Man entdeckt viel schneller Neues, vielleicht Fremdes oder Irritierendes, häufig aber Aufregendes. Comedians profitieren, weil sie Auftrittsmöglichkeiten bekommen und in einem Monat (oder weniger) geballt erfahren können, was Szene und Branche so treiben und was künstlerisch gerade in Mode ist. Und dann können sie sich dazu verhalten oder auch nicht.

Wenn sich die Festivalkultur auch nicht eins zu eins nach Deutschland übertragen lassen wird, so würden doch Szene und Publikum vom Katalysatoreffekt profitieren. Und meinethalben auch die Industrie vom Synergie- und die Kommunen vom Werbeeffekt. Effekte für alle!

Natürlich: Die Kleinkunst liegt darnieder. Allenthalben höre ich von Comedians, dass es bis Ende des Jahres mit Auftritten sehr düster aussieht. Keine gute Zeit für Visionen. Ich hoffe dennoch, dass ein wenig dieser Kultur nach Deutschland durchsickert. Erst einmal in Form von Erfahrungen, die Comedians zurücktragen, die sich auf die Festivals im Ausland wagen. Freddi Gralle aus Berlin zum Beispiel spielt ihr englisches Programm in Edinburgh, auch Michelle Kalt aus Zürich. Christian Schulte-Loh, manchem bekannt als Moderator aus dem Quatsch Comedy Club, war schon öfter da und wurde nun bei Chortle sogar rezensiert. „Nothing wrong with aiming to please, but Fringe crowds might find themselves longing for more substance„, heißt es darin.

Eine durchwachsene Kritik, mag ja sein. Aber sich dieser auszusetzen, zeugt von Größe und schadet Comedians bestimmt nicht. Es spricht Bände, sowohl für deutsche Comedy als auch für den deutschen Comedyjournalismus, dass Comedians dazu das Land verlassen müssen. Kritisch geprüft werden sie in Deutschland allenfalls, wenn sie versehentlich obskure, potenziell antisemitische Anspielungen machen; wenn sie Blackfacing betreiben; wenn sie Opfer von Polizeigewalt oder von Vergewaltigung lächerlich machen – und so weiter und so fort. Kurz: wenn sie sich halt in den typischen deutschen Comedyskandal verstricken, der ja mit vielem zu tun hat, aber meist nicht mit Comedy.

Nach ästhetischen Gesichtspunkten werden Comedians in Deutschland kaum beurteilt, höchstens in kleinen Nischenmagazinen. Die großen Feuilletons behandeln Stand-up-Comedy oft genug wie einen Ted Talk, bei dem die Witze den Blick auf das Eigentliche verstellen, während doch gerade die komische Bearbeitung das Eigentliche darstellt.

Comedyfestivals, so sehr sie manchmal daherkommen wie wilde Konfettikanonaden, zeigen vor allem eines: dass man Comedy auch verdammt ernst nehmen kann.

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