Warum M&M’s Stand-up nicht diverser macht

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
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M&M’s möchte die Comedyszene mit einem Projekt diverser und inklusiver machen. Es ist ein Marketingmanöver, dessen Preis am Ende die Comedians zahlen.

Achtung, es wird kompliziert: Am vergangenen Dienstag hat Comedienne Enissa Amani im M&M’s Store in Berlin den „Voting-Champion“ des Projekts Open Mic des Schokoladenherstellers präsentiert, den Frankfurter Comedian Bruno Banarby. Zuvor hatte sich Banarby in einer zwei Monate dauernden Abstimmung gegen Salim Samatou und Sara Karas durchgesetzt. Das Projekt wollte M&M’s als Unterstützung neuer Talente und „Beitrag zu einer inklusiven Comedy-Szene“ verstanden wissen.

Eine Nachricht, die ein wenig unterging. Vielleicht, weil, wie ich das Gefühl nicht loswerde, M&M’s die ganze Sache irgendwie selbst ein wenig peinlich war und das Unternehmen das Projekt suboptimal bewarb. Zum Beispiel wurde das Siegervideo, in dem Banarby von einem erkennbar nicht anwesenden Publikum gefeiert wird, bei Youtube nicht gelistet und entsprechend kaum angesehen.

Vielleicht waren auch einfach nicht genug Interessierte zur Preisverleihung in den Store gekommen. Zumindest lassen die Clips, die Banarby auf Instagram gepostet hat, nicht darauf schließen, dass mehr als folgende sieben Personen anwesend waren: Amani, Banarby, eine Moderatorin, ein Wachmann, zwei Fotografen, eine Person, die für Instagram gefilmt hat, und ein Mensch in einem grünen T-Shirt.

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Vielleicht lag’s auch daran, dass es ohnehin zu viele Comedypreise gibt. Oder dass die deutsche Comedyszene nicht unbedingt auf den Preis eines Schokoladenherstellers gewartet hatte. Oder dass der Preis kaum ernst genommen wird; weil das erklärte Ziel der Diversitätsförderung zwar ein hehres ist, aber schlicht nicht überzeugt, wenn es aus einem Konzern wie Mars (zu dem die Marke M&M’s gehört) heraus formuliert wird, der sich naturgemäß Diversität nur angelegen sein lassen kann, solange das auch auf die geschäftlichen Ziele einzahlt.

Nichts gegen Diversität, nichts gegen ihre Förderung. Aber Marketingmanöver wie das von M&M’s tragen halt wenig dazu bei. Ähnlich wie es ja nicht den Sieg des Feminismus bedeutet, weil das grüne M&M seit Anfang des Jahres keine slutty Stiefel mehr trägt, sondern Sneaker, ändert es auch wenig an der Zusammensetzung einer relativ homogenen, weißen und männlichen Szene, wenn mit Banarby ein Künstler aus einer Familie mit Einwanderungsgeschichte ein wenig gepusht wird.

Will man die Comedyszene in Deutschland wirklich diverser gestalten, reicht es nicht, einem Comedian eine einzelne Leitersprosse (falls überhaupt) nach oben zu helfen. Man müsste Leitern aufstellen, oder besser: Treppen und Aufzüge installieren.

Man müsste Schreibstipendien ausschütten, Betreuungsprogramme für Alleinerziehende auflegen, Streetworker engagieren, Jugendzentren, -treffs und allgemein Räume zur Verfügung stellen, sich für günstigeres Wohnen in den Städten einsetzen, Studien zur Erforschung rassistischer und sexistischer Strukturen im laufenden Betrieb in Auftrag geben. Kurz: Ungleichheit auch und gerade außerhalb des Paradigmas der Repräsentation bekämpfen.

Das bringt für einen Konzern Nachteile mit sich. Es geht nicht von heute auf morgen. Und „über eine Milliarde Kontakte“, wie das M&M’s mit der Open-Mic-Kampagne laut eigenen Angaben anstrebte, lassen sich damit wohl nicht generieren. Aber hey, immerhin wäre wohl Enissa Amani immer noch als Galionsfigur dabei.

Zu Beginn des Jahres hatte Mars angekündigt, dass sich der neue „Marken-Purpose“ zukünftig „noch stärker für eine vielfältige und inklusive Gesellschaft“ einsetzt. „Jede*r“ solle sich zugehörig fühlen. Man wolle Menschen dabei unterstützen, „sich miteinander zu verbinden und gemeinsam Spaß zu haben“.

Ob das auch die (laut einer Studie der Universität Chicago) anderthalb Millionen Kinderarbeiter:innen auf Kakaoplantagen weltweit einschließt, ist indes unklar. Schokoladenproduzierende Konzerne wie Mars, Nestlé oder Ferrero eiern seit Jahrzehnten herum, wenn es darum geht, Kinderarbeit zu beenden. Selbstverpflichtungen wurden immer wieder verschoben. Vor ein paar Jahren einigte man sich darauf, Kinderarbeit bis 2020 um 70 Prozent zu reduzieren. Sogar diese tief hängende Latte wurde gerissen: Kinderarbeit hat in den vergangenen zehn Jahren wieder zugenommen. Laut der Washington Post ließen sich 2019 ein Viertel des Kakos, den Mars bezog, auf Plantagen zurückführen, die im Verdacht standen, Kinder zu beschäftigen.

Bei der Verleihung des Preises an Bruno Banarby sagte die Portfolio Director Chocolate & Ice Cream bei Mars Wrigley Deutschland: „Stand-up Comedy schärft den Blick für gesellschaftliche Verhältnisse.“ Vielleicht schärft sie ihn ja so sehr, dass sich die Erkenntnis durchsetzt: Es gibt möglicherweise für einen Schokoladenhersteller gute Möglichkeiten, seine „Verantwortung“ wahrzunehmen, „Diversität in unserer Gesellschaft zu fördern“. Mir fällt spontan eine gute ein, die auf jeden Fall besser ist, als einen Comedypreis auszuloben.

Und Comedians könnten darüber nachdenken, dass sie aus kommerziellen Kooperationen zwar Nutzen ziehen können, dafür aber auch einen Preis zahlen. Wenn die Authentizität lädiert wird, schwindet eine der mithin wichtigsten Ressourcen für einen Comedian. Verhältnisse satirisch aufspießen und den Canyonero fahren, geht halt schwer zusammen.

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