Ja, verdammt, man darf das!

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett

Nach wie vor gibt es nur wenige deutschsprachige Stand-up-Specials. Eines der seltenen Beispiele ist Mach dich Frei des Schweizer Comedians Alain Frei, ein Anfang 2020 auf Youtube veröffentlichter Zusammenschnitt dreier Shows in Düsseldorf, Hamburg und München. Ist die Idee der Kompilation zwar eher ungewöhnlich für moderne Specials, ist Mach dich Frei aber eindeutig eines, denn Frei selbst ist ein moderner Comedian: prämissengeprägt und mit einem Gespür für den Zauber des improvisierten Moments. Allerdings lässt sich an ihm auch eine Eigenheit deutschsprachiger Comedy beobachten, die gerne im Vollgas-Gestus auftritt und dabei doch immer halb auf der Bremse steht.

Bei Frei gilt auch das, was ich kürzlich für seinen Kollegen Ingmar Stadelmann konstatiert habe, nämlich dass er „am Schnittpunkt verschiedener Traditionslinien deutscher Comedy“ steht. Soll heißen: Er vereint in seiner Stand-up moderne Elemente mit verstaubteren, und das ist in einer so zeitkritischen Kunstform nicht unbedingt ein günstiger Befund.

Dass Vegetarierwitze nicht aussterben und nicht besser werden, indem man sie als schlecht und billig rahmt und dann, hehe, trotzdem macht – geschenkt. Dass Pressetexte von Comedians notorisch überzogen bis gelogen sind, mithin in ihrem Faseln von Zeigefingern und offenen Wunden einfach floskelhaft und peinlich – auch das nehme ich als leidgeprüfter Comedykritiker niemandem mehr krumm. Dass Frei ein Bit über „Mutter Erde“ als „Vermieterin“ hat, die angesichts des menschlichen Treibens fassungslos reagiert – während Louis CK, in Stand-up-Kreisen ja auch kein Unbekannter, in Live at the Beacon Theatre sehr Ähnliches erzählt hat, nur fast zehn Jahre früher – auch das kann passieren, manche Witze fliegen halt einfach herum.

Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.

Was ich aber kaum mehr ansehen kann, weil es mich traurig macht: wenn Comedians darauf verzichten, Witze zu erzählen, um dem Publikum stattdessen einen Beipackzettel vorzulesen, wie das alles so funktioniert mit Comedy. So passiert das an einer Stelle in Mach dich Frei, wenn Frei den Namen „Hitler“ erwähnt und ansatzlos in eine Verteidigungsrede übergeht:

„Kuck mal, ich merk schon, darf er darüber Witze machen, über Hitler? Ist das erlaubt? Ich sag‘ euch eins: Heute ist ’ne Comedyshow. Wir machen heut über alles Witze. Über den Ingenieur. Über Hitler. Über alles. Was heute hier drin passiert, das bleibt hier drin. Wenn euch morgen jemand fragt: Wie war die Show? Ich darf nicht drüber reden!“

Der (laut Pressetext) der Sponteanität ja nicht abgeneigte Frei entdeckt hier erkennbar unspontan und gegen das Scheinwerferlicht eine Person im Publikum, die bei „Hitler“ – in Historikerkreisen ja auch kein Unbekannter – wohl ein nachdenkliches Gesicht macht. Es scheint Frei also sehr wichtig zu sein, das Publikum an die Konventionen zu erinnern.

Ja – dergleichen findet sich bei Dutzenden Comedians in Deutschland. Geht es also in Ordnung, Alain Frei herauszupicken, darf man das? Na, aber selbstverständlich! Freis Special ist es eben, das ich kürzlich gesehen habe. Ich kann nicht in jedem Artikel bei Adam und Eva anfangen und die ganze Welt erklären. Und ich traue es dem Publikum zu, mit den Gegebenheiten des Journalismus in einer Weise vertraut zu sein, dass sie meine Worte schon einordnen können.

Anders dagegen Comedians: Die trauen in Deutschland offenbar nicht mal Menschen, die ihre Show besuchen, zu, mit den Gegebenheiten von Comedy in einer Weise vertraut zu sein, dass sie ihre Worte einordnen können. Das ist schade.

Für einen kurzen Moment gibt Frei hier seine Rolle als Comedian auf und macht sich stattdessen zum Comediandarsteller. Er spielt das, wovon er glaubt, dass Leute in Deutschland erwarten, wie ein Comedian zu sein habe. Das Publikum sieht in diesem Moment keine Comedy, sondern eine Inszenierung von Comedy.

Das ist einerseits praktisch, kann man so als Comedian an Diskurse andocken (oder wie hier: an das Diskursgemisch aus Sagbarkeit, cancel culture, PC), sich aufgeklärt/progressiv/edgy/etc. geben, zeigen, dass man eine Meinung hat, eine Botschaft gar. So erzeugt man eine künstliche Spannung. Sofern mit dieser Spannung dann aber nichts originelles angestellt wird, ist sie nur Ballast. Und für diesen Ballast, den das Publikum nicht braucht, aber der Comedian meint, mittransportieren zu müssen, opfert er wertvolle Minuten, in denen er sich ebenso gut Comedy widmen könnte. Also dem, worum es mithin bei einer Comedyshow ja gehen sollte. Es ist ein weiteres Beispiel der subtilen und doch tragischen Selbstsabotage von Comedians in Deutschland.

Ist, übrigens, ja nicht so, dass Comedy dieses Problem exklusiv hätte: „Ein Werk dient in Deutschland vor allem der Stabilisierung von Autorschaft“, schreibt der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen auf Twitter, und was die Menschen konsumieren wollten, sei nicht das Werk, sondern eben die Autorschaft. „Autorsein [ist] einfach so viel wichtiger als Bücher schreiben.“ Analog gilt das für Comedy: Menschen wollen vielleicht gar keine Witze konsumieren, sondern einen Comedian erleben. Comediansein ist einfach so viel wichtiger als Witze erzählen.

Immerhin wissen wir bei literarischen Werken, dass es auch anders geht. Stand-up-Comedy dagegen vertraut dem Publikum oft noch nicht genug, um sich allein mit dem Wesentlichen zu beschäftigen.

Comedy-Newsletter

Alles zu Stand-up und Comedy: Szeneinfos und Empfehlungen zu Specials, Bits, Interviews, Essays, News, Podcasts und Serien.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert