Da saß also jüngst der Kabarettist Florian Schroeder beim Ex-Bild-Chef Julian Reichelt in der verballerten Whacko-Sendung Achtung Reichelt! auf dem verballerten Whacko-Sender Nius, um sich unter anderem darüber zu unterhalten, dass der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner “sehr belesen” und “interessiert” sei. Und wie gut es doch sei, dass man sich trotz widerstreitender Meinungen austausche und im Dialog befinde. Und naja, was soll man dazu noch anderes sagen als vielleicht: Danke Merkel! Denn auch an der liegt es, dass wir heute Zeugen derartiger Unternehmungen werden, und dass wir gemeinsam – Künstler und Publikum – Komikern viel zu viel Erwartungen aufbürden, die sie niemals einlösen können.
Natürlich ist es ehrenwert, sich mit Andersdenkenden auszutauschen. Aber nun ist es ja nicht so, als hätte jemand wie Martin Sellner irgendetwas Interessantes zum Diskurs beizutragen. Oder anders gesagt: Es ist sehr schön für Sellner, dass er belesen ist und dass er zuhören kann, auch dass er höflich ist, wie Schroeder das erklärt, der den Österreicher für ein Buchprojekt gesprochen hat.
Aber wenn einer dann nach dem Zuhören nach Hause geht und trotzdem noch menschenverachtend denkt und handelt, spielt das mit der Belesenheit halt keine Rolle mehr. Ich werde nie verstehen, warum Menschen diesen Inszenierungen so bereitwillig aufsitzen – zumindest bei Sellner tun sie das seit Jahren gerne. Würde sich die grüne deutsche Außenministerin Annalena Baerbock irgendwo als “belesen” inszenieren, würde sie von Journalisten und Politikern für diese Inszenierung vollkommen zerrissen. Aber das ist jetzt nur eine Vermutung.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir unregelmäßig einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Florian Schroeders Auftritt war einer der vielen, vielen Momente in den vergangenen Jahren, die vor Augen führen: Kabarettisten, Comedians, Bühnenküstler sind keine Intellektuellen. Manche halten sich dafür, aber meistens verheben sie sich böse. Sie sind keine Intellektuellen.
Sie sind es auf jeden Fall nicht kraft ihrer Comedy, nicht kraft ihres Könnens oder ihrer Performance. Nur weil jemand sehr gut darin ist, Gedanken aufzubereiten und strukturiert zu vermitteln, bedeutet das nicht, dass diese Gedanken selbst in irgendeiner Weise klug wären.
“Modern day philosophers” – so sehen sich manche gern, weil irgendwann mal Louis CK gekonnt über Pädophilie sprach oder über den Hass von Eltern auf ihre eigenen Kinder. Oder weil Bill Burr es hinbekommt, wie ein selbstgerechtes Arschloch zu wirken, dabei aber auch liberale Gedanken einstreut. Manche Comedians sind zu solchen Gratwanderungen imstande, und zugegeben, das sind die Sternstunden von Stand-up-Comedy. Aber Sternstunden sind eben Sternstunden und nicht der Normalfall. Meistens scheitern Comedians dabei.
Und das macht ja auch nichts. Niemand muss ständig kluge Gedanken haben – Stand-up besteht nicht nur aus Sternstunden, sondern auch aus solidem Tagewerk, aus Kartoffeln und Schwarzbrot. Kein Zuschauer geht zu Comedy auf der Suche nach einem intellektuellen Erlebnis. Comedians müssen nicht klug sein auf der Bühne. So ein Intellekt kann ja auch ein Klotz am Bein sein.
Warum sich manche Comedians trotzdem für die Nachfahren von Aristoteles halten, darüber kann ich nur mutmaßen. Ich denke, es hat mit dem zweiten Stand-up-Boom zu tun, der in den 2000ern in den USA begann. Es waren unpolitische Zeiten, in denen es schien, als wäre die Welt in Ordnung. Eine Frau regierte Deutschland, ein Schwarzer die USA, die AfD existierte noch nicht, Donald Trump machte Sachen wie die Wahl zur Miss Universe veranstalten – wie progressiv sollte es denn bitte noch werden? Dass zum Beispiel in Deutschland immer mehr Menschen arm wurden oder Obama so viele Bomben auf anderen Ländern abwerfen ließ wie kein Präsident vor ihm – solche Sachen fielen gerne unter den Tisch. Die Menschen suchten Unterhaltung.
Die aufkommenden Sozialen Medien beförderten zudem die Stilisierung und Inszenierung der individuellen Leben. Politisch ist kaum etwas auszurichten, aber immerhin über mein eigenes Leben habe ich Kontrolle. Bzw. über das, was andere davon wahrnehmen können. Man ist authentisch man selbst. Und der Comedian, der ja immer nur so tut, als würde er lässig daherplaudern, ist ein Meister in der Konstruktion von Authentizität. Er hat in dieser Zeit einen doppelten Vorteil und wird zur symptomatischen Figur der Zeit.
Und dadurch zwangsläufig auch mit Erwartungen und Projektionen überfrachtet. 2009 stellte das US-amerikanische Magazin Foreign Policy eine Liste der 100 wichtigsten Intellektuellen auf und bat Leser:innen um weitere Zusendungen. Der Kandidat, der in den folgenden Hunderttausenden Einsendungen am häufigsten genannt wurde, war Late-Night-Show-Host Stephen Colbert. How Comedians Became Public Intellectuals, überschrieb man dann im Atlantic mal einen Artikel. “[Comedians] are exploring and wrestling with important ideas. They’re sharing their conclusions with the rest of us. They’re providing fodder for discussion, not just of the minutiae of everyday experience, but of the biggest questions of the day”, heißt es darin.
Dass Comedians und Programmmacher diesen Beschwörungen glauben oder glauben wollen, kann man ihnen kaum verdenken. Comedy wurde aufgeblasen zur Unterhaltung, die qua ihrer Eigenschaft, Comedy zu sein, gleichzeitig menschlich-nahbar und klug ist. Call it a stretch – aber ich denke, diesem Mantra verdanken wir noch heute, aktuell, die Lachparade auf RTL oder die neue Comedyshow von Mario Barth, die x-te Comedyoffensive von Pro7 oder Sat1, die x-te Sketch- oder Improshow in den Öffentlich-Rechtlichen, oder die x-te mit Comedy angereicherte und etwas selbstgerechte Satire- oder Wissenssendung.
Und, zu guter Letzt, vermute ich, dass wir ihm auch die Wellen an belanglosen Comedypodcasts verdanken, die Jahr für Jahr über uns hinwegschwappen. Was die fehlgegangene Hochschätzung von Comedians mit ohnehin zu großen Egos angerichtet hat, kann man an den Podcasts von Andrew Schulz, Bert Kreischer, Joe Rogan et. alt. erkennen. Was die in ihren Sendungen absondern (und was der geschätzte Youtuber Podcast Cringe in selbstzerstörerischer Weise dokumentiert), ist oft banal, dumm, verräterisch – und doch wäre es nicht so schrecklich anzuhören, würde es nicht aus unfassbarer Hybris heraus produziert werden. “Er würde ihr damals nicht wie ein Teufel erschienen sein, wenn er ihr nicht, bei seiner ersten Erscheinung, wie ein Engel vorgekommen wäre”, hat mal jemand geschrieben, der wirklich klug war und menschlich.
Ein Podcast ist natürlich auch ein gutes Instrument zur Pflege der Followerschaft, und es gibt einige, die es gekonnt einsetzen. Aber ein weiterer Grund, warum Comedians in Podcastform besonders viel Blödsinn produzieren, ist meiner Ansicht nach, dass sie von ihrer eigenen Kunstform überfordert sind. Sie können über alle Themen nur in einem einzigen Modus der immergleichen Witzelei sprechen. Und irgendwann sind die Witzmuster so ausgeleiert, dass man Variation nur noch über durch ständige Themenwechsel herstellen kann.
Ein lustiger Spot auf Tiktok, der Wendler, Verschwörungstheorien, der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel – dass Comedians über all dieses unterschiedslos labern können, geht nur, wenn sie das nicht mit künstlerischem Anspruch tun. Die Zeiten ändern sich, möglicherweise erfordert das auch neue Formen der Comedy. Möglicherweise muss über drängende gesellschaftliche Probleme der 2020er Jahre anders gewitzelt werden als im Modus der 1990er. Comedians labern unterschiedslos, wenn sie sich keine Gedanken mehr über künstlerischen Ausdruck machen.
Aus Mangel an neuen Formen, neuen Überlegungen oder Ästhetiken bleibt dann nur noch der Ausweg ins Inhaltliche. Das künstlerische Vakuum bedingt bei eigentlich aktiven Comedians dann, merkwürdige Projekte anzugehen, sich in Talkshows einladen zu lassen oder das Gespräch mit Rechtsextremen zu suchen, weil denen mal wirklich jemand zuhören müsste.
Neue Formen für Comedy erschließen, das ist alles anderes als leicht. Nicht zuletzt, weil es in Deutschland bislang kaum ein Bewusstsein dafür gibt, welche Formen die aktuell vorherrschenden sind. Witzig ist halt witzig, und Comedy hat immer bedeutet, lustige Dinge zu sagen. Es hat seltener bedeutet: ein Handwerk beherrschen, künstlerische Entscheidungen treffen. Das heißt, selbst wer an neuen Formen arbeitet, muss damit leben, wenn das nicht erkannt wird, geschweige denn belohnt.
Beim Comedy Clash wird das schön deutlich, weil es wegen des Wettbewerbsformats eine hohe Durchlaufquote an Comedians braucht. So treffen dann teils sehr unterschiedliche Comedians aufeinander. Im August 2023 traten etwa Abed Azzam, Alex Stoldt und Shari Litt gegeneinander an.
Und wenn auch Stoldt und Litt vielleicht nicht ihren jeweils besten Abend erwischt haben, war doch zu merken: Irgendetwas ist hier anders. Azzam dagegen machte flotte Sprüche, schnelle Ethnocomedy im Stil der 90er Jahre. Keine unverwechselbare Persönlichkeit auf der Bühne, keine besondere Performance, vor allem auch, zum Glück: keine klugen Gedanken. Zum Weiterkommen hat das locker gereicht.
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