Vicki Vomit, bitte rette uns!

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
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Immer häufiger geht es bei Comedyproduktionen darum, möglichst reichweitenstarke Social-Media-Stars an Bord zu holen. Das unterminiert die ohnehin spärliche Nachwuchsarbeit.

Immer noch Sommerloch. Also gab es nun zwei Möglichkeiten. Eine war es, hier ein bisschen über meine Stand-up-Gehversuche zu schreiben, die ich während einer notgedrungenen Corona-Auszeit unternahm, und von den Bits zu erzählen, an denen ich mich bettlägerig versuchte und dabei vom Klopapierkauf bis Sitzplatzreservierungen kein hot topic aussparte.

Diesen Kelch lassen wir aber mal ans uns vorübergehen. Stattdessen, und das ist Möglichkeit Nummer zwei, gibt es eine kleine Nachbetrachtung zur Tagung Was gibt’s zu lachen? – Comedy in TV und Netz 2022 von Grimme-Institut und Cojoking Space, die Anfang des Monats in Köln stattfand und an der auch ich teilgenommen habe.

Durch state-of-the-industry-Ansprache, Vorträge über Trends und Strategien, kleine Fallbeispiele aus Produktionsfirmen usw. konnte man einen profunden Einblick in den Status quo des Comedybusiness in Deutschland erhalten. Ich will hier gar keine Inhaltsangabe liefern (eventuell soll es noch vereinzelt Ton- oder Videoaufnahmen geben) Und einen knappen Abriss von der aktuellen Ausgabe hat ohnehin Wilfried Urbe bei Verdi verfasst. Ich will nur ein Detail herausgreifen.

Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.

Nämlich den Trend, Projekte nicht im Hinblick auf, nun ja, die Projekte zu konzipieren, sondern mit dem Fokus darauf, welcher reichweitenstarke Social-Media-Star sich daran anheften lässt. Man weiß es ja mittlerweile, aber bekam es in Köln noch einmal ausbuchstabiert: Im Zweifelsfall lässt sich ein Influencer “entdecken” und zum Comedian umschulen. Schrecklicher Verdacht: Ist etwa gar Comedy, wenn zur Ware geworden, gar nicht mehr Kunst- oder Ausdrucksform, sondern ein Etikett, mit dem man sich im Zeitgeist verorten und Tiefe vortäuschen kann?

Bahnbrechendes Geheimwissen sieht anders aus, geschenkt. Bekanntheit ist Trumpf. Nicht ohne Grund suchen seit jeher Filmemacher bekannte Schauspieler zu verpflichten. Nicht ohne Grund existieren Promi-Magazine. Nicht ohne Grund wird Eckart von Hirschhausen in unzähligen Werbeblurbs zitiert. Nicht ohne Grund steht im Matthäusevangelium “Wer hat, dem wird gegeben”. Nicht ohne Grund scheißt der Teufel immer auf den größten Haufen.

Nicht gesprochen wurde in Köln darüber, dass der Fokus auf Reichweitenzahlen Nebenwirkungen hat; etwa die, zum Reichweitenaufbau um jeden Preis zu verführen. Da werden dann schon einmal Originalität oder Rechtschaffenheit geopfert, wie ich vor ein paar Wochen am Beispiel des Comedians Marcel Mann ausgeführt habe.

Wenn daran auch nichts überraschen kann, reden sollte man doch darüber. Und wenn sich auch nichts ändern wird, sollte man sich über eines empören: dass die Öffentlich-Rechtlichen, “müssen” sie ja dorthin gehen, wo die Zielgruppen sind, diesen Mist mitmachen. Immer muss man sich auf etwas draufsetzen, was es schon gibt; immer ist man drauf angewiesen, dass jemand im Internet schon bekannt geworden ist.

Nachwuchsarbeit, die diesen Namen verdient, nachhaltig, geduldig, lokal verwurzelt, sehe ich im Comedybereich kaum. Zwar gibt es lobenswerte Initiativen wie die von Grimme-Institut und Filmschule Köln durchgeführte Summer School Comedy – ob es für deren Absolvent:innen möglicherweise demotivierend ist zu erleben, dass Originalität und Handwerk bei Sendern und Produktionsfirmen eigentlich gar nicht so gefragt sind, steht auf einem anderen Blatt. Es ist vertrackt.

Am Rande der Comedytagung hat mir ein Comedian in Köln davon erzählt, wie er und andere jüngere Künstler vor Jahren regelmäßig im Osten Deutschlands auf kleinere Touren gingen. Eingeladen wurden sie dazu von einem Künstler und Musikcomedian namens Vicki Vomit. Vomit hat Songs geschrieben wie Wohin mit Omas Leiche oder Blümchen ist ‘ne alte Kackstelze. 1997 wurde sein Song Liebe mit Claudia verboten, der so ging: “Ich machte Liebe mit Claudia Nolte, wir machten Liebe, nur weil sie es wollte.” (Bei Nolte handelte es sich um die damalige Familienministerin und dreimal darf man raten, wer da vor Gericht die einstweilige Verfügung beantragt hat.)

Mit Vicki Vomit zu touren kann man sich wohl, pi mal Daumen, in etwa so vorstellen wie eine etwas lebensprallere Frank-Elstner-Masterclass. Jungen Künstlern das oft eben gar nicht glamouröse Tourleben nahezubringen, das Kilometer-Abreißen zwischen Erfurt und Bautzen; den unbändigen Willen, Songs oder Bits zu schreiben; nicht weil sie gut ankommen, sondern weil sie geschrieben werden wollen; und Abend für Abend auf eine Bühne steigen zu wollen und bestehen zu müssen oder halt würdevoll unterzugehen – ich will das jetzt nicht allzu sehr verklären und bestimmt war nicht alles schön daran, aber: Auch all das ist eine Form der Nachwuchsförderung.

Für eine lebhafte Comedykultur in Deutschland hat Vicki Vomit, dessen Abschiedstour 2020 von Corona unterbrochen wurde, damit mehr getan als manch großer Player in der Comedyindustrie. Hätte er einen Instagram-Account besessen, wozu wäre er dann wohl in der Lage gewesen?

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