Spätestens seitdem nun anlässlich des jüngsten Chapelle-Specials auch das St. Galler Tagblatt gefragt hat, ob Satire “sich über Transmenschen lustig machen” darf, hat bei mir wieder der Satireblues eingesetzt. Darf Satire dieses, darf Satire jenes? Es ist so ermüdend, darüber zu spekulieren, obendrein müßig, denn die Debatte geht ja immer erst an den Start, wenn die Realität das Rennen schon beendet hat: Dave Chappelle wird gelobt und gepriesen, regelmäßig bekommt er Preise verliehen, jüngst wurde eine Doku über ihn gedreht. Klingt nicht nach jemandem, der ständig verbotene Dinge tun würde.
Wer sich auf Satire beruft, kann sich gemeinhin alles erlauben. Und wir Zuschauer:innen können es genießen respektive müssen es ertragen. Ebenso müssen wir ertragen, dass sich heute jeder gern mit dem Label “Satire” schmückt. So erhöht man die Einsätze und das Empörungspotenzial: Wird ein Satiriker kritisiert, geht es kaum mehr um ästhetische Kriterien, sondern gleich, pardauz, um die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Gesellschaft. Wie sagte noch gleich Voltaire? “Obwohl ich völlig anderer Meinung bin als Sie, würde ich mein Leben dafür geben, dass Comedians ihre Penis- und Trans-Witze frei aussprechen dürfen.”
So umfassend ist dieser Trend, alles als Satire zu reinterpretieren, dass ich vor kurzem ganz überrascht war, vom genauen Gegenteil zu lesen: Anfang der 1990er Jahre schrieb der Autor und Satiriker Eckhard Henscheid in der Literaturzeitschrift Der Rabe eine Kritik über den Schriftsteller Heinrich Böll, die so begann: “Es ist schon schlechterdings phantastisch, was für ein steindummer, kenntnisloser und talentfreier Autor schon der junge Böll war…“ Hoppla.
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Das gefiel dem Nachlassverwalter und Böllsohn René weniger gut, also traf man sich vor Gericht. Henscheid unterlag. Er hatte, wie man etwa in Gabriele Rittigs Aufsatz Der Preis der Satire nachlesen kann, sich nur auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen, nicht jedoch auf Kunstfreiheit und Satire, obwohl die Chancen günstig standen, dass die Sache mit Berufung auf Satire erledigt gewesen wäre. Aber Henscheid hielt seinen Text eben ehrlicherweise nicht für eine Satire und wollte sich nicht in den typisch “ohnehinnigen” (danke für dieses Wort) Obskurantismus flüchten.
Bis heute tun das viele Satiriker:innen gerne, und ich vermute, es liegt an der immer noch vorherrschenden Trennung zwischen Hoch- und Unterhaltungskultur. Diese Differenzierung ist tief eingesickert ins kollektive Bewusstsein. Tagtäglich kann man Belege dafür finden, etwa, blind hinein, diesen aus einer Rezension eines Auftritts von Stand-up-Comedian Till Reiners in Freiburg: Der Autor bemängelt, dass Reiners diesmal die “gesellschaftskritische Tiefe” fehle und das Lachen einem bei der Show nicht im Halse stecken bleibe. “[E]infach mal lachen” sei zwar auch “mehr als okay”, ist aber eben in Deutschland auch nicht in einer Weise okay, dass man das einfach mal so stehen lassen könnte, ohne Verweise auf das Ideal des Bühnenkünstlers als Gesellschaftskritikers.
Verwundert es angesichts dieses vehementen Pochens auf Hochkulturelles, dass auch Comedians und sonstige Wortkünstler:innen zur Hochkultur gezählt werden wollen? Und ein einfacher Weg, das zu erreichen (oder sich zumindest den Anstrich zu geben), ist es, sich auf Satire zu berufen. Beziehungsweise: Sich selbst so zu reinterpretieren und nachträglich einfach eine gesellschaftskritische Intention zu unterstellen.
Das funktioniert nicht nur mit Satire und Kunstfreiheit, sondern gerade im englischsprachigen Raum (wo dieses Ideal mehr wiegt als die dröge deutsche freie Meinungsäußerung) auch mit der Berufung auf free speech. Der Oberste Gerichtshofs Kanadas (dessen Rolle vergleichbar, aber nicht identisch ist mit der des deutschen Verfassungsgerichts) hat jüngst zum ersten Mal über Comedy verhandelt: Ist es ok, dass der Comedian Tim Ward, Witze darüber machte, Jeremy Gabriel zu ertränken, einen in Kanada prominenten Sänger mit Behinderung? (Ich hatte den Fall im Februar kurz in der Presseschau behandelt.)
Nach langem Zug durch die Instanzen hat das oberste Gericht also nun entschieden: War ok. “Comedian who mocked disabled child singer did not breach limits of free speech“, titelt der kanadische öffentlich-rechtliche Rundfunk. Hurra, die bedrohte free speech ist gerettet, riefen Comedyfans allerorten aus. Allerdings lässt sich aus dem Urteil kaum etwas ableiten, weder dass Comedy immer fein raus ist noch dass auch nur Witze über Menschen mit Behinderung generell ok wären. Dazu ist der Fall zu speziell, zu intrikat, Jeremy Gabriel zu prominent. Auch wenn viele Comedy gerne mit einem Blankoscheck ausgestattet sähen: Das Nachdenken über ihre Arbeit wird Comedians nicht erspart bleiben.
Interessant ist übrigens Folgendes: Das Gericht erkannte an, dass die Äußerungen eines Comedians auch Auswirkungen außerhalb des Kontextes Comedy haben, “but this does not mean that those repercussions can necessarily be attributed to the comedian“, heißt es in der Urteilsbegründung. Huh. Die (möglicherweise negativen) Auswirkungen, die die Aussagen eines Comedians haben können, können nicht notwendigerweise diesem Comedian zugeschrieben werden.
Wem aber dann? Wohl kaum ja dem butt of the joke. Bleibt am Ende nur das Publikum übrig – also der Gesellschaft als ganzer? Kann man alles sagen, weil die Welt ohnehin schlecht ist? Herrje, beantwortet ist auch mit diesem Urteil wieder mal herzlich wenig. Eine Erkenntnis, die bleibt: „Comedians have far more freedom today.“
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