Wir war’n doch schon mal weiter…

Comedy muss auf Kosten von Minderheiten gehen! Wer das glaubt, kennt offenbar wenig Comedy. Über ein paar Mythen, die den Diskurs über Comedy im letzten Jahrhundert festhalten – und mit ihm die Comedy.

Im letzten Beitrag ging es darum, inwiefern Comedy als sicherer Hafen für reaktionäre Gedanken fungiert und vermeintlich harmlose Schenkelklopfer auf Kosten von marginalisierten Gruppen angesichts der autoritären Wende einen bitteren Beigeschmack bekommen. Daraufhin haben einige Leute kommentiert, interessiert, klug, skeptisch, kritisch, und einige mehr haben Nachrichten geschrieben. Vielen Dank dafür! Auch wenn viele nicht meiner Meinung waren, freut es mich sehr, denn: Es gibt viel zu wenige gute, informierte Diskussionen über Comedy. Also die Form der Diskussion, die über den gängigen Feuilletonbeitrag “Satire darf alles!” hinausgeht.

Man darf sich aber nicht täuschen. Die häufigste Entgegnung, die ich bekam, war immer noch mit weitem Abstand: Ist doch nur Comedy! Krieg dich wieder ein! Hier gibt es nichts zu diskutieren. Etwa in diesem Kommentar:

Das ist ja eine ziemlich arme, bedauernswerte und völlig humorlose Sichtweise. Wie wär’s gleich mit Witze-Verbot, hm? Es ist das Wesen eines Witzes, dass sich auf Kosten von Minderheiten lustig gemacht wird – ob es Blondinen sind, Ostfriesen, Behinderte, Juden, Schwule, Politiker, Schwarze, Türken oder sonstige Minderheiten. Jeder kriegt sein Fett weg. Und da ist auch nichts gegen zu sagen. Die „Betroffenen“ können darüber meist am lautesten lachen. Wer das nicht kann, möge ins Kloster gehen und anderen dort Tünnes&Schäl-Witzchen erzählen.

(Der Prompt für ChatGPT lautete vermutlich: Analysiere das Onlineangebot Setup/Punchline im Hinblick auf wiederkehrende Themen und Aussagen und formuliere in thesenhaften Sätzen das exakte Gegenteil.)

(Benutze ferner mindestens einmal den Ausdruck „sein Fett weg kriegen“.)

Es ist ein Musterbeispiel für den Stand der deutschen Comedykritik im Jahr 2025. Comedykritik besteht in den meisten Fällen darin, sich Kritik an Comedy zu verbitten. Comedy ist doch Comedy, was gibt’s da groß nachzudenken? Aber wenn ein Großteil der Debattenbeiträge darin besteht, die Debatte für überflüssig zu erklären, ist das ein Problem. Darum möchte ich gerne einige Punkte aus dem letzten Artikel etwas ausführen.

Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir unregelmäßig einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.

Comedykritik wie im Kommentar oben besticht vor allem durch eine zeitlose Qualität. Geschrieben wurde das 2025, es könnte aber genauso gut aus dem Jahr 1995 stammen oder aus dem Jahr 1985 oder 1975 etc. Wenn Comedy halt Comedy ist, impliziert das, schon rein mathematisch: Comedy aus dem Jahr 2025 ist gleich Comedy aus dem Jahr 1995 und so fort.

Das ist zwar logisch impliziert, würde aber niemand ja wirklich so behaupten. Darum wird meistens eine kleine Evolution zugestanden, eben hier von den Kölner Spaßfiguren Tünnes und Schäl hin zu Comedy auf Kosten von marginalisierten Gruppen. Aber diese Entwicklung hat nun offenbar zu stoppen, mutmaßlich an ihrem Höhepunkt.

Jetzt also, zu dieser Sternstunde der menschlichen Zivilisation, wo wir Comedy auf Kosten von marginalisierten Gruppen haben, darf es auf keinen Fall Fortentwicklungen und Variationen geben. Wer am Grundsatz, dass Comedy eben Comedy sei, festhält, verhindert somit die Evolution der Kunstform selbst. Eine Gesellschaft, die nur Tünnes, Schäl und faule Beleidigungscomedy kennt, kennt halt wenig und kann sich die Kunst auch nur in diesen engen Grenzen erklären. Und da sich die Comedians und Entertainer ja aus derselben Gesellschaft rekrutieren, kommt eben, wenn die Comedykritik nicht vom Fleck kommt, auch die Comedy nicht vom Fleck.

Das mag auch der Grund sein, warum viele Menschen, koste es was es wolle, an ihrem Bild von Dave Chappelle festhalten. Kein Comedian wurde in den Zuschriften auf meinen letzten Artikel so häufig erwähnt wie er. Chappelle ist für viele eine Art Galionsfigur der Kunst- und Redefreiheit. Nicht zu unrecht. Seinen Ruhm begründete eine grandiose Sketchshow, die Chappelle’s Show. Dass er sie am Höhepunkt verließ und abtauchte, machte ihn zur Legende, eine Reihe von brillanten Stand-up-Specials zum “Greatest of All Times”, wie man liest. Er ist ein Künstler, der Gesellschaftskritik mit höchstem handwerklichen Anspruch verbindet. Und praktischerweise auch ein Name, der in Deutschland lange Zeit nicht sehr bekannt war. Ein GOAT also, den lange Zeit nur wenige kannten. In Zeiten, in denen Stand-up noch nicht so allgegenwärtig und von der ganzen Welt aus zugänglich war, war das Label “Chappelle” ein Distinktionsmerkmal.

Chappelle – der „Anti-Trans-Aktivist“

Seit einiger Zeit, meine ich, lässt sich da aber ein Verfall beobachten. Chappelle nimmt systematisch queere und vor allem trans* Menschen ins Visier. In vier von sechs Netflix-Specials hat er mit Witzen die lowest hanging fruits gepflückt, hat er immer wieder nachgelegt und nach unten getreten, er hat ihre Bedürfnisse herabgewürdigt, hat sie gegen Bedürfnisse anderer marginalisierter Gruppen, etwa von Schwarzen Menschen, ausgespielt. Er zeichnet die Trans*-”Community” als mächtig und sich selbst als von ihr verfolgt. Es ist eine regelrechte Obsession geworden.

Chappelles Behandlung ist nun nicht mehr durch Nähe, Empathie, Detailreichtum oder interessante Takes gekennzeichnet – was Comedians halt so tun, “being observant, asking questions, probing and going deeper to find something resembling honesty”, so hat es Peter James in seinem Newsletter Diary of a Failed Comedian kürzlich so treffend beschrieben. Es gibt viele Beispiele dafür, dass das geht: über trans* Menschen Witze erzählen, originell und witzig. Aber nicht so bei Chappelle. Er ist bitter geworden, hat alle Leichtigkeit verloren, er ist bemerkenswert schlecht informiert für jemanden, der so viel über diese “Community” spricht. Sehr merkwürdiges Verhalten für einen GOAT.

Natürlich arbeitet er manchmal Dinge gut heraus, und natürlich ist einer, der mal etwas Transphobes sagt, nicht automatisch transphob. Aber Chappelle hat eben nicht “mal” etwas Transphobes gesagt, er pflegt seit Jahren eine konsistente Anti-Trans-Rhetorik. Und Netflix hat Hunderte Millionen Dollar dafür gezahlt, ihm dafür auch noch Bühne und Megaphon stellen zu dürfen. Der Comedykritiker Seth Simons plädierte darum dafür, Chappelle nicht mehr Comedian zu nennen, sondern treffender: einen Anti-Trans-Aktivisten.

Man sollte sich schon klarmachen: In einer Zeit, wo queere und gerade trans* Menschen weltweit Hass und Gewalt und gesetzliche Repressionen erfahren, wo sie schon froh sein müssen, wenn ihre Anliegen (wobei das Hauptanliegen lautet: ein normales Leben führen zu können) vom mächtigsten Mann im Staat nur zum “Zirkus” herabgewürdigt werden – in so einer Zeit also die systematische Transphobie mit dem Verweis “Ist doch nur Comedy!” abräumen zu wollen, bedeutet, sich mit diesen Witzen auf besondere Art und Weise gemein zu machen. Das geschieht nicht nach einem einzelnen transphoben Witz. Auch nicht nach zweien. Aber nach Hunderten immer noch dran festzuhalten?

Dann darf man ja anscheinend über nix mehr Witze machen! Und es bedeutet doch, Menschen auszugrenzen! Es sollen doch alle gleichberechtigt ihr “Fett weg kriegen”! Wir sollten als Gesellschaft doch abweichende Meinungen aushalten! Macht eure Witze, haltet sie aus und haltet vor allem die Kritik daran aus. Niemand verbietet es einem doch, auszuhalten, wenn Kritiker sagen: Hey, die Witze, die klingen wie Wald- und Wiesen-Transphobie sind vielleicht einfach genau das. Und wem wirklich dran gelegen ist, Menschen nicht auszugrenzen, der kann sich doch mit ihnen beschäftigen, mit ihrem Alltag, mit ihren Problemen, mit ihren Besonderheiten. Es sagt auch was aus über diese Gesellschaft, dass die einzige denkbare Möglichkeit, Menschen einzuschließen, offenbar heißt, sie zu beleidigen und herabzuwürdigen.

Hat einen Oliver Pocher jemals herausgefordert?

Aber! Müssen nicht Künstler herausfordern? Wir möchten doch nicht, dass sie nur die Meinungen reproduzieren, die wir eh schon haben. Jede künstlerische Einschränkung, etwa dass keine Witze über Minderheiten gemacht werden sollen, lässt Comedy langweilig werden. Und ist das nicht Bevormundung und treibt die Leute in die Arme der AfD?

Holy cow! Ich kann mich ehrlich gesagt nicht dran erinnern, wann mich ein Comedian das letzte Mal herausgefordert hat. Ich weiß nur noch, dass es nicht Dave Chappelle war, auch nicht Oliver Pocher, Faisal Kawusi, Lisa Eckhart oder Dieter Nuhr. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass transphobe Witze (wahlweise: frauenfeindliche, rassistische, ableistische etc.) in den meisten Fällen niemanden herausfordern, sondern allenfalls kindlichen Trotz bedienen. Man freut sich, dass andere sich ärgern. Ist legitim, aber für ausgesuchten Humorgeschmack sollte man das nicht halten. Und diesen Geschmack will man dann aber anderen vorschreiben und ärgert sich darüber, wenn sie nicht mitmachen?

Es gibt noch viel mehr dieser Glaubenssätze. Künstlerische Qualität immunisiert gegen Kritik. Ein Comedian sollte sich nicht rechtfertigen müssen, weil ich selbst mich nicht rechtfertigen möchte. Comedyformate machen Inhalte automatisch harmlos. Kritik ist gefährlicher als das Kritisierte. Wer Kunst kritisiert, ist schuld am Rechtsruck. Ohne Minderheiten-Witze gibt es keine Comedy. Minderheiten finden ihre eigene Diskriminierung lustig. Es wäre schon viel gewonnen, wenn manche wenigstens zur Kenntnis nehmen würden, dass es sich um Glaubenssätze handelt.

Wenn Chappelle als Goldstandard in Comedy zählt – und alles außerhalb von Chappelle als Tünnes&Schäl –, wird es immer Comedians geben, die ihm nacheifern. Sie möchten nicht umdenken müssen, die Industrie möchte das, was so gut funktioniert, weiter produzieren. Und das Publikum möchte gerne ohne schlechtes Gewissen weiterlachen. Diese Trägheit anzuklagen, ja überhaupt erst einmal wahrzunehmen, ist die Aufgabe von Comedykritik.

Dabei ist sie immer auch Einladung, die Kritik zu erwidern, auf sie zu reagieren. Denn wer voraussetzt, dass er kritisieren darf, setzt voraus, dass alle kritisieren dürfen. Und das kann auch notwendig sein, denn die Comedykritiker können uns ja viel erzählen, wenn der Tag lang ist, wenn man nicht aufpasst, sogar ziemlichen Unsinn. Und das könnte man dann seinerseits kritisieren. Blöd wäre nur, wenn man sich den Zugang zur Debatte mit lauter Brettern, auf denen „Ist doch nur Comedy!“ steht, vernagelt hat.

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6 Antworten

  1. Avatar von DirkNB

    Bei der deutschen Comedy (ich muss mich aus sprachlichen Gründen darauf beschränken) findet eine zunehmende Fastfoodisierung statt (es gibt Ausnahmen), meist in Form des schnellen, einfachen Gags, den man zur Not auch dann versteht, wenn man nicht so genau zuhört. Einen Humor, der einen geistig mitnimmt, der etwas anspruchsvoller ist, findet man immer seltener (in der Allgemeinverfügbarkeit), da Dank der SoMe (und einem Bündel weiterer Gründe) die Aufmerksamkeitsspanne des Comedykonsumenierenden sich eher am unteren Ende der Skala aufhält. Irgendwer hatte mal was gesagt im Sinne, dass Humor die Leute an die Grenzen ihres Geistes führen sollte, „für viele nur ein Kurzausflug.“ Das scheint das Problem zu beschreiben. Keiner will sich mehr auf etwas wirklich einlassen, alles wird nebenbei konsumiert (bewusst pauschal gehaltene Aussage, die so natürlich nicht stimmt). Das führt dann zur kritisierten Qualität der Comedy.

    1. Avatar von Setup Punchline
      Setup Punchline

      Faulheit allein erklärt mMn noch nicht, warum es so magnetisch-unausweichlich scheint, immer wieder bei denselben menschenverachtenden Topoi zu landen und das dann als große gesellschaftskritische Leistung zu verkaufen. Und das war ja schon lange vor Aufkommen der Sozialen Medien so – die sog. „equal opportunity offender“ gaben schon immer an, gleichberechtigt gegen alle Seiten auszuteilen, teilten dann aber natürlich nie gegen alle Seiten aus.

      1. Avatar von DirkNB

        Stimmt. Faulheit allein nicht. Durch die immer größere Fragmentierung der Gesellschaft und ihrer Teilnehmer kann mittlerweile nicht mehr ein gleicher oder zumindest ähnlicher Kenntnisstand bei den Konsumenten unterstellt werden. Insofern wird als Pointengrundlage auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückgegriffen, damit den Gag möglichst viele verstehen. Und dieser Nenner rutscht immer mehr ans Kleinhirn.

  2. Die Auswahl derer Comedymenschen, die dich nicht abholen, lässt darauf schließen, dass die Wahrnehmung von Comedy vielleicht nicht völlig unbeeinflusst von deiner politischen Sichtweise ist.
    Wann hat dich das letzte Mal die Heute-Show abgeholt? Oder ein Michael Mittermeier? Oder vielleicht sogar ein Jan Böhmermann?
    Es geht mir vermutlich genauso. Aber ich weiss es zumindest.

    1. Avatar von Setup Punchline
      Setup Punchline

      Hehe, ein sehr guter Punkt, in der Theorie. Es stimmt, deren Comedy fordert mich auch selten bis nie heraus. Es wäre auch ziemlich vernebelt, die Qualität vom Urheber und dessen Gesinnung abhängig zu machen… Aber darum geht es hier nicht. Die Genannten sind hier nicht aufgeführt, weil sie einem politischen Lager angehören, sondern weil bei ihnen gerne die „man muss auch mal herausfordern“-Verteidigung gespielt wird. Bei Böhmermann und der heute-show ist das nicht der Fall, vermutlich ist es denen einfach zu blöd.

    2. Avatar von DirkNB

      Vermutlich ist es auch nicht nur die politische Sichtweise sondern eher das Alter. Und die Erfahrung, die man „früher“ mit erheiternden Programmen zum Mitdenken gemacht hat. Der eigene Geschmack entwickelt sich weiter und die Comedy auch, und wenn beides in unterschiedliche Richtungen geht, ist’s blöd. Aber vielleicht sollte man die Qualität auch nicht an den medial ventilierten Schnipselchen festmachen, sondern an den Bühnenprogrammen. Das wäre dann der Unterschied wie Fastfood und gutes Restaurant. Leider fehlt mir in dem Zusammenhang die Fähigkeit zum Selberkochen, sonst hätte ich pointierter geschrieben. 😉

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