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Clam Man 2: Headliner ist die ideale Mischung für Videospiel- und Stand-up-Nerds: ein Rollenspiel über Stand-up, bei dem „Witze die Beute und Comedy-Shows Bosskämpfe sind“. Der Prolog Open Mic ist seit kurzem kostenlos auf Itch (und ab 19. Juni auf Steam) spielbar. Das Besondere an Clam Man 2: Hinter dem Spiel steht nur ein einziger Entwickler, nämlich der 27 Jahre alte Programmierer und Designer Martin Hanses, der im kanadischen Montreal lebt. Im Interview erklärt er, wie er seine persönlichen Erkenntnisse über Stand-up-Comedy in ein Spielsystem mit Quests, Leveln und Fähigkeitspunkten übertragen hat.
Setup/Punchline: Ziemlich am Anfang des Spiels diskutieren der namensgebende Clam Man und sein Boss darüber, was denn die wichtigste Zutat bei einem Burger ist: Gurke, Fleisch, Tomate, Brötchen? Sich solchen Unsinn in einem Team auszudenken, muss unglaublich lustig sein. Du arbeitest aber ganz alleine an Clam Man 2. Wie geht es dir damit?
Martin Hanses: Wenn ich das mit Clam Man 1 vergleiche, ist das mit das Schwerste. Damals waren wir ein ganzes Team an Entwicklern und Autoren. Du konntest Witze schreiben und schnell Kollegen nach Feedback fragen. Jetzt bin ich auf mich allein gestellt. Und versuche einfach, mich selber zum Lachen zu bringen.
Und wie läuft das so?
Ich versuche, mir einfach möglichst absurde Dinge auszudenken, die mich dann überraschen. Es hat sich rausgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, sich selbst zu überraschen. Aber die fail checks helfen mir sehr beim Schreiben.
DAS UNIVERSUM VON CLAM-MAN
Clam Man ist ein Büroversager mit Muschelkopf. Der erste Teil erschien im Mai 2019 und war in Gameplay und Humor angelehnt an klassische Point-and-click-Adventures wie Monkey Island und Sam&Max: Hit the road. War Hanses damals noch Teil eines crowdfinanzierten Teams, arbeitet er an Clam Man 2 alleine und auf eigene Kosten. Und er hat das Genre gewechselt, Clam Man 2 ist stark von den alten Titeln der (sehr brutalen, aber eben auch sehr komischen) Fallout-Reihe beeinflusst und text- und entscheidungslastig wie Disco Elysium (2019). Das maritime Setting kommt übrigens daher, dass Hanses, wie er sagt, einfach keine Menschen zeichnen kann.
Die fail checks sind kleine Momente im Spiel, wenn eine deiner Fähigkeiten geprüft wird. Wie wenn man bei einem Pen-and-Paper-Rollenspiel würfelt.
Wenn du den Test bestehst, zum Beispiel in deiner Wahrnehmungsfähigkeit, dann wird dein Charakter vielleicht auf irgendeine Sache aufmerksam, die das Spiel für dich leichter macht. Aber viel interessanter sind ja die Fälle, wenn du Mist baust und die Dinge wirklich schlimm schief gehen. Wie geht es dann weiter? Als Autor muss ich mir dann wirklich bescheuerte Sachen ausdenken. Wenn du Mist baust, dauert das Spiel länger, aber ich baue ehrlich gesagt lieber Mist. So ist das Spiel viel unterhaltsamer.
Du nennst Clam Man 2 ein Rollenspiel (role-playing game, RPG) und außerdem ein „erzählerisches Abenteuerspiel ohne Kämpfe“. Wieso war es dir wichtig, zu betonen, dass es keine Kämpfe gibt?
Vielleicht ist RPG nicht die perfekte Bezeichnung für Clam Man 2. Aber das Spiel hat nun mal relativ eindeutige Charakteristika von Rollenspielen. Nicht nur, weil es stark von Fallout 1&2 beeinflusst war, sondern auch weil der Protagonist bestimmte Charakterwerte hat, die er im Lauf des Spiels entwickeln kann und die geprüft werden. Viele Menschen dürften bei „Rollenspiel“ aber an die Klassiker des Genres denken wie Diablo, Baldur’s Gate oder eben Fallout, das heißt also an Spiele, bei denen Kampf ein integraler Bestandteil ist. Bei Clam Man 2 ist das anders. Das will ich den Leuten gleich deutlich machen.
Warum verzichtest du auf Kämpfe? Das ist eigentlich eine erprobte und funktionierende Mechanik. Und in der Ankündigung nennst du ja zum Beispiel auch Comedyshows „Bosskämpfe“.
Man könnte das durchaus so machen: dass Comedian und Publikum Gegner sind. Und ein einzelner Witz erzeugt dann zum Beispiel „fünf Punkte Lachschaden“. Und das passt einfach nicht in die komische Welt von Clam Man. Ich wollte ein Spiel machen, bei dem die Quests und die Geschichte wichtiger sind. Man könnte es vielleicht passender ein Entscheidungen-haben-Auswirkungen-Spiel nennen.
Schon während der ersten Stunde Clam Man 2 begegnet man verschiedensten Formen von Comedy: Stand-up und Impro-Comedy werden erwähnt, genauso wie Late-Night-Shows, Memes, Witze aus Foren und Kommentarspalten, bis hin zu Volksweisheiten wie „Lachen ist die beste Medizin“. Willst du mit dem Spiel ein Panorama zeitgenössischer Comedy zeichnen?
Auf jeden Fall, aber mit einem Schwerpunkt auf Stand-up. Auch da war es mir wichtig, ein gewisses Panorama abzubilden. Nimm zum Beispiel die drei Charaktere, die den Comedyclub im Spiel betreiben. Die repräsentieren drei verschiedene Richtungen von Stand-up, quasi die drei Hauptfraktionen: observational, physical und absurdist Comedy, also beobachtende, körperliche oder schlicht absurde Comedy. Das ist natürlich eine Vereinfachung, und kein Comedian lässt sich zu 100 Prozent einer Fraktion zuordnen.
Wie bist du auf diese Kategorien gekommen?
Ich habe mich gefragt: Warum finden die Leute die Dinge, die sie lustig finden, lustig? Am Ende läuft es dann meiner Meinung nach auf eine der drei Disziplinen hinaus. Mit beobachtender Comedy meine ich, kleine Details im Alltag wahrzunehmen, wie Seinfeld etwa. Absurde Comedy wäre dann zum Beispiel mehr wie bei Eddie Izzard. Und bei „körperlich“ denke ich an jemanden wie Jim Carrey.
Viele sehen heute ein bisschen abschätzig auf körperliche Comedy herab. Klar, Comedy ist heute post-modern und intellektuell, da schaudern wir, wenn Comedians ihre Körper übertrieben einsetzen. Aber Körper-Comedy schleicht sich langsam wieder ein. Nimm zum Beispiel Bill Burrs aktuelles Special, Paper Tiger. Er er erzählt darin die Geschichte eines Mannes, der aus einem Helikopter springt. Burr stellt das komplett körperlich dar, und das ist auch der Grund, warum das so lustig ist. Auf der anderen Seite ist es übrigens auch körperlich, wenn jemand dead-pan ist, also der Comedian so aussieht, als fände er das selbst alles überhaupt nicht lustig. Aber wie gesagt: Es gibt unzählige Mischformen. Schau dir Steven Wright an, mit seinen observational jokes, die auch ein wenig absurd sind. Und gleichzeitig sieht er so aus, als hätte er Kopfschmerzen, und hat dann diese einprägsame Stimme. Er hat eine unglaubliche körperliche Präsenz auf der Bühne.
Die Charakterwerte im Spiel sind Auffassungsgabe, Improvisation, Wahrnehmung und die Fähigkeit, den eigenen Körper einzusetzen, die du wegen der maritimen Szenerie des Spiels „Aquadynamics“ nennst. Spiegeln diese Fähigkeiten deine persönliche Wahrnehmung von Stand-up wider?
Über die Fähigkeiten habe ich sehr lange nachgedacht. Ich habe dann ein paar Nächte lang Unmengen von Stand-up angesehen und alles aufgeschrieben, was mir in den Sinn kam. Ich wollte auch die kleinstmögliche Anzahl an Fähigkeiten kommen, die Comedians brauchen, und die, mit unterschiedlicher Punkteverteilung, alle möglichen Konstellationen der drei verschiedenen Stand-up-Disziplinen ermöglichen.
Auffassungsgabe und „Aquadynamics“ sind relativ selbsterklärend. Improvisation ist die Fähigkeit, spontan zu sein und Geistesblitze zu haben. Ganz nützlich bei, klar, Improv, aber auch wenn es darum geht, mit Hecklern umzugehen. Und mit Wahrnehmung ist vor allem die Wahrnehmung von Gefühlen gemeint: den eigenen und denen von anderen. Das ist auch die Fähigkeit, bei der sich Comedians am stärksten voneinander unterscheiden.
Wie meinst du das?
Nehmen wir noch einmal Bill Burr als Beispiel. Er ist schon mehr oder weniger ein observational Comedian, dann driftet er aber auch ins Absurde ab, um sich über die Realität lustig zu machen oder über das, was er als Realität wahrnimmt. Auch John Mulaney ist so, aber der hat eine ganz andere Vorgehensweise. Burr ist wütend und aggressiv. Er sagt „This is bullshit“. Mulaney ist netter, charmanter und ironischer, empfänglicher für die Gefühle von anderen. Meiner Meinung nach ist die Selbst- und Fremdwahrnehmung das, worin dieser Unterschied liegt.
Gab es früher noch weitere Fähigkeiten?
Ich glaube, ich hatte ein oder zwei andere. Selbstvertrauen zum Beispiel. Aber das ist mehr oder weniger in Wahrnehmung enthalten.
Wie hast du gelernt, Witze zu schreiben? Bist du selbst Comedian?
Ich habe mal vor einiger Zeit Stand-up gemacht und das hat viel Spaß gemacht. Aber ich wusste damals noch nicht, dass Comedians ein Set spielen wie Musiker, das sie entwickeln und perfektionieren. Ich dachte, man muss sich ständig neue Sachen ausdenken. Das war mir dann zu viel Stress, darum habe ich aufgehört. Aber Stand-up liegt mir immer noch sehr am Herzen. Es heißt ja immer: Schreib‘ über etwas, das du kennst. Ich bin ein Stand-up-Nerd, also schreibe ich halt über Stand-up.
Kennst du Comedians, mit denen du deine Witze durchsprechen kannst?
Nein, ich habe keinen Kontakt mehr mit Comedians. Aber die braucht es auch nicht unbedingt. Ich kenne ja viele witzige Menschen. Jeder hat seinen eigenen Sinn für Humor. Aber dieser Sinn ist auch davon geprägt, mit welchen Menschen du dich umgibst. Ein alter Freund kann ein einzelnes unlustiges Wort zu dir sagen, ohne jeden Kontext, und trotzdem bringt es dich zum Lachen. Vielleicht weil es dich an eine gemeinsame Erfahrung erinnert. Und nur die Tatsache, dass ihr das beide wisst, bringt euch zum Lachen.