Was ich oft gefragt werde (oder zumindest: am öftesten): Ist ja alles schön und gut mit diesem Stand-up-Gedöns. Aber was ist denn nun der Unterschied zwischen Mario Barth und der Comedy, die auf alternativen Berliner Open-Mics gemacht wird? Zwischen den 1990er Jahren und dem Heute? Beide Male haben wir Menschen, die in fleckigen (urbanen?) Alltagsklamotten auf Bühnen steigen und über „ihren Alltag“ sprechen und dabei nicht so politisch sind wie Kabarettisten. Was ist jetzt so neu an der angeblich neuen Stand-up, die mehr und mehr Menschen betreiben?
Noch öfter als ich das gefragt werde, scheitere ich daran, es zu beantworten. Wir alle wissen und spüren, dass es einen Unterschied gibt. Aber worin er besteht, ist sehr schwer zu fassen. Kürzlich habe ich noch einmal zwei ältere Podcastfolgen angehört, die das Problem ebenfalls verhandeln: Einmal sprachen die Comedians Till Reiners und Kawus Kalantar darüber in Jokes, und einmal war Maxi Gstettenbauer beim Podcast UFO zu Gast. Richtig nahe kommen allerdings auch sie einer Antwort nicht.
Woran liegt es also? An den Themen eher nicht, da gibt es durchaus Überschneidungen. Und nur weil jemand auf der Bühne zum Beispiel über Depressionen spricht, macht er noch keine moderne Comedy. Auch dass früher angeblich mehr „schablonenhafte“ Charaktere auf die Bühne gebracht wurden, taugt schlecht als Erklärung (gibt es heute auch noch), oder dass alles viel weniger authentisch war. Comedians sind nie zu 100 Prozent sie selbst, wenn sie auf Bühnen stehen. Authentizität ist eine verführerische, aber bei der Analyse wenig hilfreiche Kategorie.
Dieser Artikel gehört zur Reihe Noten zur Comedy, in der wir alle zwei Wochen einen Blick auf ein virulentes Thema rund um Comedy werfen. Ihr könnt die Noten auch als Newsletter abonnieren, dann kommen sie direkt (mit aktueller Presseschau und besonderem Comedytipp) ins Postfach.
Wie sieht es denn bei den Witzen aus? Sicherlich gibt es bei den Comedians, die im Boom der vergangenen Jahre mitschwimmen, ein deutliches Interesse am handwerklichen Aspekt und am Quellcode von Stand-up. Podcasts wie Ist das ein Bit?, Duden Comedy und viele andere zeugen von einem ausgeprägten Nerdtum. Aber Jokewriter bzw. Joke-Erzähler gab es in den 1990ern auch schon.
Interessanter wird es beim Blick auf die Prämissen. Es scheint mir, dass bei moderneren Comedians ein Hang erkennbar ist, Witze um gewisse Vorannahmen zu stricken und diese damit von verschiedenen Seiten zu beleuchten, zu sezieren, unterminieren oder ad absurdum zu führen. 90er-Jahre-Comedy dagegen scheint eher auf lustigen Storys zu basieren und dabei einem linearen Modell zu folgen: Dieses ist passiert, dann jenes, ferner Folgendes. Jedoch: Auch diese Einteilung ist problematisch. Schließlich handelt es sich um theoretische Überlegungen. In der Realität wird man kaum jemals dem „reinen“ premise-based comic oder story-based comic begegnen. Es ist ein Kreuz.
Auf eine neue Spur stieß ich nun vergangene Woche. Karl Heinz Bohrer war gestorben, ein Literaturwissenschaftler, dessen Arbeiten man wohl am ehesten in einem Germanistikstudium begegnen kann. Zu diesem Anlass las ich einen älteren Aufsatz (PDF) von Bohrer aus der Zeitschrift Merkur.
Darin wehrte er sich einerseits gegen Kritik an einem seiner vorhergehenden Aufsätze und richtete seinen Fokus gerade auch auf die Sprache der Kritiker und generell bestimmte – seiner Meinung nach ungute – Entwicklungen in der Alltagssprache. Selbst in so kleinen floskelhaften Wendungen wie „alles klar“ erkannte Bohrer „jenes Abduckende, Neutralisierende, was dem durchschnittlichen westdeutschen Tonfall sein neurotisches Moment, jenen Mangel an wirklichem Ausdruck gibt, jene Angst vor Genauigkeit und die Flucht ins Vermittelnde“.
Das hat mit Comedy und Stand-up einiges zu tun, denn Sprache ist ja ein wichtiger Anknüpfungspunkt für deren kritische Betrachtung. Natürlich geht es bei Stand-up darum, seine Erfahrungen zu prüfen, Klischees, Normen und überhaupt Wahrnehmungen zu hinterfragen und an seinen Überzeugungen zu messen. Ja, ja, ja. Aber all das müssen Comedians ja in Sprache ausdrücken. Und die Sprache von früherer Comedy (wie auch von viel zeitgenössischer) zeichnet sich durch das aus, was Bohrer beschrieb: Mangel an wirklichem Ausdruck, Angst vor Genauigkeit. (Über die „Flucht ins Vermittelnde“ oder das „neurotische Moment“ muss ich noch ein wenig nachdenken.)
Häufig sagen Comedians nicht einfach etwas, sondern bemühen Äußerungen aus einem konventionalisierten sprachlichen Comedyreservoir, das sich durch ständige Wiederholung gefüllt und beim Publikum bewährt hat. Darin schwimmen Signalwörter und -namen (Reiner Calmund, Jacqueline etc.), Formeln (Kennste?) oder Ausrufe (ey!). Die Benutzung einzelner Ausdrücke verfestigt sich irgendwann zu einer Strategie. Wer nur mehr in Kategorien von ey und kennste? denkt und spricht, kann natürlich zur Welt nur mehr eine permanent ironisch-hinterfragende, ungläubig-anklagende Haltung einnehmen, charakterisiert durch einen Singsang wie aus der Trennungs-PK von Tic Tac Toe.
Was ein Comedian wirklich über die Welt denkt, ist so nicht mehr zu erkennen. Anstatt erst einmal ein Stück Wirklichkeit zu beschreiben und mit der eigenen Person abzugleichen, werden alle Gedanken sofort durch eine Mangel gedreht. Anstatt Erfahrungen zu hinterfragen, wird alles in dasselbe Schächtelchen gepresst. Die Strategie – vielleicht auch: der Habitus, im bodenständigsten Sinne – überlagert alles. Wie eine Maschine oder (etwas zeitgemäßer) ein Algorithmus liefert sie verlässlich komische Äußerungen über verschiedene Themen und Prämissen. Meist sind das Dinge, die irgendwie in der Luft liegen, und bei denen viele sagen: Kenn ich! Und, das ist das Wichtigste, es sind Dinge, die Menschen verlässlich zum Lachen bringen.
Daran ist nichts schlimmes. Manchmal will man ja genau das: standardisiertes Staunen, verlässliche Punchlines, solide Comedy. Aber neues, unentdecktes Terrain ist das natürlich nicht. Denn die Wirklichkeit ist komplex. Sie lässt sich nicht algorithmisch erfassen, zumindest nicht immer.
Die knappe These also: Das, was man gemeinhin unter „90er-Jahre-Comedy“ versteht, kommt oft in zähflüssiger, standardisierter Sprache zum Ausdruck, die durch Wiederholung zu einem Habitus gerinnt, der Erfahrung einebnet und Subtilität, Dichte und Ambivalenz verhindert. Klüger gesagt: Wer nur einen Hammer hat, sieht überall Nägel. Das wäre jetzt zu prüfen. Was denkt ihr?