Flotte Sprüche sind keine Comedy

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
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Es ist ja nicht so, dass man in Deutschland keine Ahnung von Komik hätte. Von Liesl Karlstadt über Gerhard Polt und Heino Jäger hin zu Filiz Taşdan – gute Leute gab’s hier immer, um nur mal wenige zu nennen. Das Problem ist eher, dass man sich nicht im Stande sieht, die Trennung zwischen Komiker:innen und Leuten, die nur versehentlich in dieser Schublade abgelegt werden, ganz trennscharf vorzunehmen.

Dann und wann reicht es schon aus, als Experte ein bisschen Charisma zu haben, oder ein nassforsches, „freches“ Auftreten – und zack, hält eben das halbe Land einen wie Bayernspieler Thomas Müller für einen großen Humoristen. Weil der eigentlich auch nichts Geistreicheres absondert als seine Fußballerkollegen, aber diesen Umstand hinter einer Fassade aus flotter Markigkeit und Lausbubencharme verbirgt. (Wobei er Letzteren als hörbarer Bayer sogar noch umsonst mitbekommen hat.)

(Kurze Abschweifung: Ich weiß von einer Journalistin, die einmal etwas zum Thema Humor in Deutschland schreiben wollte, und in eine Kolleg:innen-Runde, zu der auch ich zählte, um Rat fragte, wer sich da denn als Ansprechpartner anböte. Ihr falle ja schon mal der Müllerthomas vom FC Bayern ein. Dieses Erlebnis hat mich in meinem Einsatz für Setup/Punchline in einer Weise bestärkt, wie das kein noch so dummdreister Ausfall von Faisal Kawusi jemals schüfe.)

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Naseweisheit und „Frechheit“ gehen in Deutschland gerne als Comedy durch, und ein „flotter Spruch“ als Witz. Der Autor David Schuh hat diese Fehleinschätzung 2015 in der Titanic beschrieben, er sah sie in Reinform verkörpert im Sportmoderator Matthias Opdenhövel und diesen als Symptom für etwas, „das grundsätzlich falsch läuft in dieser Gesellschaft“: „Ich spreche vom weitverbreiteten Elend des zwanghaft saloppen, bier-‘lockeren’ Spruchs, einer ausschließlich aus trostlosen Marotten bestehenden Schwundsprache, auch des Umstands, dass heutzutage jeder lustig sein muß, vor allem aber natürlich die Mediokren, die Lautsprecher, die Nervensägen, die Opdenhövels dieser Welt.“

Es wurden schon ganze Comedykarrieren ohne einen einzigen Witz, dafür mit zahllosen flotten Sprüchen bestritten. Und warum auch nicht, das Publikum verlangt es ja oft nach nicht mehr. Schade ist es aber doch, wenn das Werk angeblicher Künstler vom Gekumpel auf einem Vatertagsausflug oder vom schweinischen Witz eines Mitarbeiters nicht mehr zu unterscheiden ist.

Wieder David Schuh: Der in seiner Allgegenwart nervtötende ‚flotte‘ Spruch, der ewig launige, „vom Verursacher wohl tatsächlich als ‚locker‘ oder ‚frech‘ oder ‚schlagfertig‘ empfundene“, ist in Wahrheit gar keiner, sondern nicht mehr als „unendlich triste[s], ermüdende[s], abgeschmackte[s], im Kern vulgäre[s] Dauergeplapper“.

Komik kann ja in guten Momenten menschliche Abgründe offenlegen, existenzielle Widersprüche aufzeigen, Gräben und Risse ausleuchten (und, in Gottes Namen, meintwegen auch Finger in Wunden legen), und über all dem im Betrachter noch ein Gefühl von Leichtigkeit erzeugen, vielleicht sogar ein Lachen auslösen. Mit ‚flotten‘ Sprüchen dagegen kocht man die Komik herunter: Das Dauergeplapper macht träge, verbirgt die Abgründe und schüttet alle Gräben zu. Wir fassen uns an den Händen und sind mal wieder ganz lustig heut!

Einer, der den flotten Spruch kultiviert und sehr zu seiner Verbreitung und Gewöhnung beigetragen hat, ist Thomas Gottschalk. 40 Jahre ist es her, dass er begann, gemeinsam mit Mike Krüger Filme zu drehen. 1982 erschien der Erste, nämlich Piratensender Powerplay. Zum Anlass des Jahrestags sagte Gottschalk jetzt der Bunten: „Dieser Spaß, der Mike Krüger und mich ein halbes Jahrhundert angetrieben hat, geht immer mehr verloren. Da zieht plötzlich eine Gedankenschwere ein, die uns fremd ist.“

Weiter sagte er: „Comedy ist heute gescripted und durchgetaktet – ohne Mut zur Wurschtigkeit und Raum für Spontaneität“, und man muss heute sagen: Na, zum Glück. Denn was die ewigen Quatschmacher mit ihrer spontanen Wurschtigkeit immer ausblenden, ist ja: dass sie ewig Zeit zum Quatschmachen bekamen. Und wenn man dann ewig Quatsch absondert, muss ja, ähnlich wie beim Affen mit der Schreibmaschine, irgendwann schon allein aus statistischen Gründen etwas Brauchbares herauskommen; oder zumindest kommt etwas heraus, was vielen Menschen aus irgendwelchen Gründen gefällt. (An den Drehbüchern wird’s bei den „Supernasen“ nicht gelegen haben.)

Dass Comedy heute viel stärker durchgetaktet ist, kann man natürlich betrauern, aber die Schuld daran ist kaum den Comedians zuzuschieben. Vielmehr fehlt’s an der Geduld der Programmverantwortlichen: Es mag halt heute niemand mehr dem Gottschalk von morgen beim wurschtigen Improvisieren zusehen. Vor allem nicht zehn oder zwanzig Jahre lang, und warten ob’s was wird.

Gottschalk spart ja selten mit allmählich etwas bitter wirkender Kritik an den Jungen. „Die junge Generation heute ist so weichgekocht und so ängstlich auf Erfolg bedacht“, hat er kürzlich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Und, immerhin auch: „Die steht so unter Druck.“

Anstatt aus dieser Erkenntnis aber mal Schlüsse zu ziehen und sich vielleicht still zu freuen, dass es das Schicksal ganz gut mit einem gemeint hat, wird das eigene individuelle Glück zum Maßstab für alle erhoben. Komiker war Gottschalk nie ein großer. Aber wenn er so weitermacht – ich bin geneigt, Wetten abzuschließen, wann er auf die cancel culture einteufeln wird – wird auch von seinem Denkmal als charismatischem Moderator nichts mehr übrigbleiben.

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