Einfall haben, Witz aufführen, Lacher ernten – wer bei Comedy nur diese Formel im Kopf hat, vergisst einen maßgeblichen Katalysator im Erfolgsrezept jeder Comedyszene: den Hang. Das Rumhängen nach der Show. Im sogenannten Green Room werden Freundschaften geschlossen, Comedians lassen Ideen aneinander abprallen und neue Projekte entstehen. Das klappt schlecht mit 150 Zentimeter Abstand und schon gar nicht ganz ohne Veranstaltungen.
„Der Kreis ist definitiv kleiner geworden“, erklärt Jonas Imam, Comedian und Co-Organisator von Shows wie KussKuss Comedy. Als Künstler treffe man sich derzeit nur mit den engsten Freunden. Zu einem Austausch komme es dabei nur bedingt. „Es fing an wie ein kurzer Urlaub, jetzt sind alle Comedians in einem unfreiwilligen Sabbatical-Jahr gefangen, aus dem sie nicht in den Job zurückfinden.“
Das Coronavirus legt Deutschlands Kulturlandschaft auch nach einem Jahr immer noch lahm. Zwar gab es von Juni bis Oktober in Berlin Comedyshows und Open-Mics unter Hygieneauflagen. Seitdem bleiben die Bühnen leer.
Natürlich ist es sinnvoll, die Pandemie zu bekämpfen, keine Frage. Allerdings macht es das für Comedians und Organisatoren von Comedyshows nicht weniger bedauerlich. Literatur und Musik können im Home-Office entstehen und durch ein Live-Erlebnis gewinnen – doch Stand-up-Comedy braucht das Live-Erlebnis für den Entstehungsprozess. Die Anwesenheit eines Publikums und die quasi-dialogische Auftrittssituation sind in der DNS der Kunstform angelegt. Was passiert also mit einer Stand-up-Szene, die monatelang pausiert?
Das Kneipensterben ist bislang ausgeblieben
In einem Punkt kann es vorerst Entwarnung geben: Eine Heimat wird die Szene wohl auch nach Corona noch haben. Das große Kneipensterben, das zu Beginn der Pandemie vorhergesagt wurde, ist in Berlin bisher ausgeblieben, auch dank finanzieller Hilfen der Stadt. Für die Monate November und Dezember hat Berlin Gaststätten bis zu 75 Prozent des Durchschnittsumsatzes von November und Dezember 2019 ersetzt. Die Hilfen kamen zwar bürokratisch-schleppend in Gang, schaffen mittlerweile aber etwas Entlastung.
„Dem Club geht es dank der November- und Dezemberhilfen ganz gut“, sagt etwa der Comedian Fabian Barahmeh, der Ma’s Comedy Club in Berlin-Mitte betreibt. Erst im August wandelte er sein Mittagsrestaurant in einen Comedyclub um, weil die Gäste im Home-Office saßen und mittags zu Hause aßen. Nach einem Besuch des Ordnungsamtes im Oktober wurden Gäste wegen fehlendem Abstand zu Ordnungsgeldern verdonnert. Die Rechnungen in Höhe von 2.000 Euro übernahm Barahmeh selbst, um schlechte Laune bei den Kunden zu vermeiden.
Die Hilfen werden laut Investitionsbank Berlin (IBB) 2021 fortgesetzt. Veranstalter Jonas Imam warnt trotzdem: Gerade größere Locations mit höheren Fixkosten seien deshalb in Gefahr. Denn die Fixkosten, wie Miete, werden von der IBB nur mit bis zu 3.000 Euro bezuschusst. Ganz zu schweigen von der fehlenden Planbarkeit. Im Moment weiß niemand, wann überhaupt wieder Normalbetrieb zu erwarten ist.
Und noch eine Hürde kommt hinzu: Selbst wenn irgendwann im Frühjahr wieder Shows möglich sein sollten, bleiben die Hygieneauflagen bestehen. Dazu gehören: reduzierte Zuschauerzahl, Abstandsregeln, das Desinfizieren der Mikrofone, das Sammeln der Kontaktadressen, um im Fall einer Ansteckung mögliche Infektionsketten nachvollzogen werden können. Alles wichtige Maßnahmen, aber künstlerisch eine Herausforderung. „Als Künstler ist es immer blöd, wenn du schon vor der Show mit dem Publikum interagierst“, sagt Philipp Uckel, Comedian, Showhost und künstlerischer Leiter im Mad Monkey Room im Prenzlauer Berg. „Noch viel blöder ist es, wenn du im Negativen mit jemanden interagierst und plötzlich der sympathische Moderator sein sollst.“
Eine andere Frage ist, ob es überhaupt nach Corona noch etwas zu moderieren geben wird. Wird es überhaupt noch genug Comedians geben? Als Anfang der 1990er der erste Comedyboom in den USA platzte und Clubs im ganzen Land schließen mussten, beendeten Dutzende Comedians ihre Karrieren. Eine ähnliche Entwicklung kann sich Philipp Uckel in Berlin nicht vorstellen. „Natürlich werden ein paar Leute aufhören, aber das werden nicht mehr als 10 bis 15 Prozent sein“, schätzt er. Der harte Kern werde weiter machen.
Ersatz für Live-Comedy hat sich bislang nicht durchgesetzt
Wenn überhaupt, so ist am ehesten mit einem Podcast-Sterben zu rechnen. In Zeiten ohne Live-Auftritte hat sich, neben lustigen Tweets, Tiktok oder Youtube, vor allem Audio als Möglichkeit für Comedians aufgetan, die kreative Energie irgendwie zu kanalisieren. Doch der Kampf um Abonnenten war schon hart, als Corona noch lediglich der Name eines überteuerten Importbiers war. Sich mit wöchentlichen Podcasts eine Hörerschaft aufzubauen, ist arbeitsintensiv. Womöglich fällt nach dem Ende der Pandemie also auch die große Podcast-Motivation weg.
Trotz aller Online-Comedy: „Innovative Formate, die bei Youtube alle Zahlen sprengen, habe ich bisher nicht gesehen“, sagt Uckel. Imam sagt, er hätte sich gewünscht, dass noch mehr Comedians kreative Formate entwickeln, um Stand-up ins Digitale zu bringen. Er selbst hat mit KussKuss Digital jüngst einen neuen Versuch gestartet und ein aufwendig produziertes Online-Open-Mic veranstaltet, bei dem die Comedians die Zuschauerreaktionen über Zoom mitbekommen konnten. Allerdings haben sich Formate, die Live-Stand-up komplett ersetzen könnten, weder in Deutschland noch anderswo auf der Welt bisher durchgesetzt. Vielleicht aus gutem Grund.
So wartet die Szene letzten Endes doch sehnsüchtig vor allem auf eines: dass endlich wieder Live-Shows möglich sind. „Sobald es wieder geht, Shows mit reduziertem Publikum abzuhalten, wird die Szene wieder aufwachen“, sagt Imam. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass dann auch die Infrastruktur noch da sein wird. Uckel etwa macht sich keine Sorgen um das Überleben des Mad Monkey Room, wo er sogar unter erschwerten Corona-Bedingungen sein Solo erstaufführte. „Stagetime wird es bei uns in Zukunft wieder reichlich geben“, sagt er. Unklar ist derweil nur, wann diese Zukunft beginnt.