Wer Stand-up erklären will, greift oft auf Vergleiche mit Musik zurück. Stand-up sei wie Soul, hat zum Beispiel Comedian Henning Wechsler in einem Interview mit Setup/Punchline mal gesagt. „Mit Tiefe. Dafür nicht unbedingt massenkompatibel.“ Das sollte heißen: Auch in der Comedy gibt es Genres, man sollte nicht alles über einen Kamm scheren. Was Menschen gemeinhin als „typisch deutsche Comedy“ bezeichnen, meint in vielen Fällen nur das komische Äquivalent zur oberflächlichen Popmusik, die landauf, landab über zahllose Radiosender läuft und Hallen füllt.
Eine, die den Vergleich von Comedy mit Musik etwas weitergetrieben hat, ist Chanon Cook. Die war 2015 Head of Research beim US-Sender Comedy Central und sagte über Millenials als Zielgruppe: “Comedy is to this generation what music was to previous generations. […] They use it to define themselves. They use it to connect with people.”
Diesen Gedanken fand ich damals sofort nachvollziehbar. Egal für welche politische Einstellung, egal für welche Thematik, für welches Hobby, welchen Kleidergeschmack, ob man schüchtern ist oder extrovertiert, sportlich oder faul: Irgendwo wartet schon die richtige Comedienne, der richtige Joke, das richtige Bit, der richtige Sketch; wartet schlicht das richtige Comedydeckelchen für den Topf. Niemand war ein Wok.
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Und weil die liebste Seinfeld-Episode, die liebsten Podcastfolgen von Gemischtes Hack, Comedy Bang Bang oder WTF, das liebste Bit von Patrice O’Neal eben dieses ist und nicht jenes, und überhaupt der liebste Comedian meiner ist und nicht deiner, ist es ein Leichtes, sich über Comedy zu identifizieren und abzugrenzen.
Nur: Neu war dieser Gedanke natürlich auch 2015, als Cook ihn äußerte, nicht. Wer Otto Waalkes gut fand, gab damit ein Statement über den Heinz-Ehrhardt-Humor der Elterngeneration ab. Wer Kaya Yanar schaute, eines über die Mehrheitsgesellschaft, die migrantische Stimmen ausschloss.
Je länger ich mich mit Stand-up beschäftige, kommt mir auch immer fragwürdiger vor, dass Comedy Musik abgelöst haben soll. Ernsthaft? Wie schön sind Unterhaltungen unter Comedynerds. Aber wie viel mächtiger scheint Musik? Wie viel umfassender kann sie ganze Subkulturen, Stile, Epochen, überhaupt ganze Existenzen prägen? Was können Comedians mit ihren flüchtigen Witzen prägen?
Kann Stand-up ähnlich Begleitung, Trost, Konfrontation, Herausforderung und Inspiration sein wie Musik? Dass man sich an ein Bit erinnert, das man an einem bedeutenden Lebensmoment gehört hat? Ist Stand-up nicht eher ein intellektuelles als ein emotionales Vergnügen? Wenn Stand-up Denken mit einem fremden Gehirn heißt, ist Musik dann Fühlen mit einem fremden, na wie sagt man, Fühlorgan? Kann ein Mensch Stand-up schätzen wie Musik? Es sind Fragen, auf die ich auch keine Antworten habe.
Sicherlich ist im Garten der Kultur Platz für alle Kunstformen, und keine ist besser als die andere. Nur scheint es mir ratsam, den Comedyboom auch nicht höher zu hängen, als er gerne gehängt wird. (Memo an mich selbst Ende.)
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