Es gibt eine merkwürdige Stelle in German Humor von Shahak Shapira. Nach fast genau einer Stunde. Zu diesem Zeitpunkt hat Shapira erzählt, wie er mit seiner Familie aus Israel in ein Dorf in Sachsen-Anhalt zog, wie er dort aufwuchs, wie er sich kürzlich einbürgern ließ. Er hat Bits über Nazis in der Provinz und Religion gespielt, außerdem einen wunderbar ansatzlosen Exkurs über Geschenkideen aus Wurst. Er hat viele Schlenker gemacht und Abzweigungen genommen und ist trotzdem immer beim Thema geblieben: Deutsche und ihre Suche nach Identität, die nach der Einbürgerung nun also auch Shapiras Suche ist.
Was bedeutet also nun „typisch deutsch“? Das, sagt er, fragten Deutsche gern, weil sie es nicht wissen. Und weil es niemand wisse, bleibt eine Leerstelle. „Das führt dazu, dass Ausländer jetzt versuchen, deutscher zu sein als die Deutschen.“
Eine Stunde hat Shapira über das Deutschsein und -werden gesprochen, hat alles getan, um bei diesem Moment zu landen. Die Ironie ist greifbar. Shapira könnte sie ausschlachten, könnte sich den verdienten Lohn abholen. Er könnte genau das jetzt adressieren: Und was habt ihr getan? Ihr habt dem Ausländer zugehört, der keiner mehr ist, weil ihr euch etwas erhofft habt. Stattdessen verzichtet er an diesem natürlichen Höhepunkt darauf, Witze zu machen. Warum? Es ist ein Rätsel, das der Comedian aufgibt. Und dieses Rätsel hat auch damit zu tun, wie Stand-up in Deutschland im Jahr 2020 vom Publikum akzeptiert wird. Vielleicht auch: akzeptiert werden kann.
Shapira hat in den vergangenen Jahren einige Projekte hingelegt, die zündeten. Für Yolocaust mixte er Urlaubsselfies vom Holocaust-Mahnmal in Berlin mit Fotos von dem, wofür dieses Mahnmal steht, nämlich Leichenberge ermordeter Juden. Er schrieb Bücher, sprühte Hass-Tweets vor die Deutschlandzentrale von Twitter. Es waren die „richtigen“ Themen in einem ernsten Land, viele schauten hin.
Aber Shapira wollte Comedy machen. Er ging zu Open Mics, schrieb ein Stand-up-Programm, bekam mit Shapira Shapira eine Sendung auf ZDFneo, die nach zwei Staffeln abgesetzt wurde. Mit dem satirischen Künstler Shapira war das Land zufrieden, mit dem Comedian hatte es ein Problem. Dafür steht stellvertretend eine Rezension aus der Süddeutschen Zeitung, die mit „Nicht lustig“ übertitelt war. Das Fazit: „Er findet den angemessenen Tonfall in der ernsten, statt in der humoristischen Sphäre.“
Es sind alte deutsche Vorurteile: dass Ernstes und Humoristisches nicht zusammenfinden dürfen, zumindest nicht unter dem Dach Comedy. Dass Comedy mit Lustigkeit gleichzusetzen ist. Und dass der Wert von Comedy sich allein nach dem Lachen bemisst, also der Wirkung auf ein Publikum. Ein Gedanke, der bei Musik oder Literatur abwegig erschiene.
Derartige Missverständnisse lassen sich nicht von heute auf morgen ausräumen, vor allem, wenn man bedenkt, wie jung Stand-up als Kunstform eigentlich noch ist. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Shapira mit German Humor, das er im Februar in der Berliner Kohlenquelle aufgezeichnet und selbst produziert hat, ein zugänglicheres Bündel geschnürt hat. Eines, das vieles aus verschiedenen Comedywelten vereint.
Drei Aspekte zu „German Humor“
- Perspektive: Der Comedian Shapira ist nicht persönlich in dem Sinne, dass man das Gefühl hat, ihn kennenzulernen (selbst wenn er über seine Familie spricht, bleibt er distanziert). Aber er ist subjektiv. Es wird deutlich, was das für eine absurde Welt ist, in der er lebt: in der Gott ein 14-jähriger Troll ist, Religionen Follower haben statt Gläubige oder der Staat Israel wie ein Start-up agiert. Das ist die klassische vacation in someone’s head, die Stand-up in guten Momenten darstellt.
Nicht alle Beobachtungen sind subjektiv. Er liefert auch Generisches, etwa Bits über Nazis oder menschliche Dummheit sowie ein (etwas pastoral daherkommendes) Segment über das Wesen des Humors, wie man das eher aus dem Kabarett kennt.
- Handwerk: Mal tritt Shapira als Jokewriter und Storyteller in Erscheinung wie beim Bit in der Einbürgerungsbehörde. An anderen Stellen fügt er dagegen nicht viel hinzu und verlässt sich eher auf found material wie den Twitter-Account der Ausschwitz-Gedenkstätte und Amazon-Bewertungen. (Oder er zeigt mit der Wurst-Kabeltrommel, dass auch ein Act-out kreativen Mehrwert schaffen kann und nicht nur bereits geäußerte Jokes bekräftigt.)
- Originalität: Die Bits über Religion (samt Pädophilie-Joke auf Kosten der Katholischen Kirche) und Terroristen, die auf Segways unterwegs sind, fühlten sich für mich etwas alt an. (Ich meine auch, dass es ein Bit von Bill Burr(?) gibt über Terroristen, die mit dem Fahrrad über den Nordpol in die USA fahren – das habe ich aber auch nach längerer Suche nicht gefunden.) Außerdem hat Shapira einen Joke über Detlef D! Soost im Gepäck bzw. handelt es sich dabei nicht um einen Joke, sondern um einen Lachtrigger in der Tradition der 90er und frühen 2000er Jahre, als Comedy oft über lustige Worte funktionierte (z. B. Jacqueline, Kevin, Rainer Calmund, „Nippel“ etc.)
Dann wieder ist Shapira sehr originell und schreckt zum Beispiel nicht zurück vor einer „gefährlichen“ Prämisse wie „Die Flüchtlinge sind schuld“. Hört man so etwas bei einem Open-Mic, kann man sich in der Regel auf einen schlimmen Bomb einstellen. Nicht so bei Shapira: Der manövriert sich gekonnt durch und kommt zu einem überraschenden Schluss.
Fazit
Shapira erreicht durch sein Changieren etwas, wofür der Comedy-Journalist Jesse David Fox einmal den schönen Begriff „trojan horse good comedy“ gebraucht hat. Er nimmt Bezug auf Comedy-Traditionen, die zwar veraltet sind, die das Publikum aber sicher kennt – und schiebt diesem so auch modernere Elemente unter.
In Deutschland entwickelt sich nicht nur Stand-up, wir beobachten außerdem die Entstehung eines Stand-up-Publikums. Shapira fordert nicht einfach Verständnis für eine komplexere Form von Comedy, die persönlich, konversationell, flüssig, präsentisch ist. Er lässt das Publikum das nicht schlucken wie bittere Medizin. Vielmehr vermittelt er dieses Konzept mit einem spoonful of sugar.
An der Stelle nach knapp einer Stunde fährt er fort: „Leute sind der Meinung, dass sie alles vergessen müssen, was sie waren, bevor sie nach Deutschland kamen, um dazuzugehören. Es ist traurig. Wir verlieren sehr viel.“
Er macht keinen Witz, vielleicht weil es ihm zu ernst ist, vielleicht weil er das Thema erst im nächsten Special angehen will. Vielleicht auch, weil es keinen braucht: Es ist eine Vertrautheit zwischen Comedian und Publikum entstanden, das nicht die Punchline um die Ohren gehauen braucht, weil es den Insider am Ende schon versteht.