Lachen oder aufregen? Hm!

Der Comedy-Newsletter von Setup/Punchline: News über Stand-up, Comedy und Kabarett
Comedy-Newsletter von Setup/Punchline

Nochmal kurz zu Martin Sonneborn. Der Politiker (Die PARTEI) und Ex-Chef der Titanic hatte kürzlich einen Witz über Donald Trump und dessen Rassismus gegenüber Chinesen gemacht. Das ging aber schief – viele fanden den Witz selbst rassistisch. Sonneborn war zerknirscht, löschte den Witz und beklagte sich, dass Leute einfach keine Satire mehr verstehen. So weit, so gut. Nun trat er in einem Interview mit dem Spiegel aber nach, und wenn man mich fragt, sage ich, dass das allmählich eine leicht verbitterte Note bekommt.

Sonneborn sagte: „Nicht bedacht habe ich, dass viele Menschen gerade sozial distanziert, gelangweilt und mit einer gewissen Grundaggressivität an ihren Tastaturen sitzen und sich auf alles stürzen, was gerade diskutiert wird.“ Außerdem sei der Witz „dezidiert antiamerikanisch“ gewesen und überhaupt sollten sich die Leute nicht so wichtig nehmen. Da das nun also geklärt ist, nehmen wir Satirefreunde uns alle an der Hand und können herzlich über die ursprüngliche Satire lachen.

Nein, so funktioniert das leider ja nicht. Es wird gern behauptet, dass Menschen heute zu dumm seien, Satire zu verstehen. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Die Menschen heute sind viel gebildeter, informierter und, ja, politisierter als früher. Sonneborns Satire haben alle sehr gut verstanden. Aber viele fanden sie halt trotzdem rassistisch und deplatziert. Die Menschen regen sich ja nicht auf, obwohl sie einen Witz gut oder Satire gelungen finden. Sie regen sich auf, weil sie sie nicht gut finden. Man kann also lamentieren, von mir aus, oder genau hier als Künstler ansetzen.

Bei Setup/Punchline

Zwei neue Folgen im Podcast: einmal mit dem Kölner Comedian und Stand-up-Urgestein Manuel Wolff und dann mit Carmen Chraim, einer Berliner Comedienne, die vor allem auf Englisch auftritt. Die Podcasts gibt’s auf der Homepage und überall, wo es Podcasts gibt, z. B. auf Spotify, Apple Podcasts oder in der Podcast-App eurer Wahl.

Was sind die Seven Dirty Words, oder was passierte beim Comedy Store Strike? An dieser Stelle nochmal der Hinweis auf das Lexikon der Stand-up-Begriffe. Schaut rein, empfehlt das Lexikon weiter und schickt mir eure Kritik oder eure Vorschläge!

Comedy-News

  • Unfassbare Geschichte: Der indische Comedian Munawar Faruqui sitzt im Gefängnis wegen Witzen über hinduistische Gottheiten, die er nicht gemacht hat, aber angeblich vorhatte zu machen, wie die Polizei behauptet. Was die Sache nicht besser macht: Die betreffende indische Provinz wird von der ultrarechten Partei Bharatiya Janata regiert. Der Großteil der indischen Comedy-Industrie schweigt dazu. Freunde von Faruqui klagen an, dass das vor allem daran liege, dass er zu einer muslimischen Minderheit gehöre. Bei Al-jazeera gibt es einen längeren Artikel dazu. Zum Hintergrund über Entwicklungen in der indischen Comedyszene empfehle ich auch diesen Artikel von Deadant: India is Becoming a Dangerous Place for Standup Comics
  • Zum Abschied von US-Präsident Trump hat Vulture ein Dossier über Comedy unter Trump vorgelegt und bei Comedians und z.B. bei Autor:innen nachgefragt und einen Blick auf die Politiker-Imitationen bei Saturday Night Live geworfen. Ich argumentiere ja gerne gegen Auffassungen, dass Phänomene wie Trump (oder Corona) gut für die Kunst seien. In der Artikelserie gibts aber auch differenziertere Argumente für die gegenteilige Sicht. Comedian Roy Wood jr. etwa sagt: „I feel like Trump had a great way of polarizing people to the point that as a comic, you could take a radical stance on something and really get deep into an issue if you wanted to.“
  • Sind Comedians per se links und liberal? Fragen, denen Brian Logan im Guardian nachgeht. Die Antworten sind nicht so naheliegend, wie man meint. „But you could equally argue that standup is the apotheosis of Thatcherite individualism“, schreibt Logan.
  • Der Guardian beleuchtet die britische Stand-up-Szene bzw. wie Trans-Comedians sie wahrnehmen und welcher Abneigung und welchen Problemen sie sich gegenüber sehen. Der Artikel enthält einen schönen Hilfssatz für Comedians: „Piper Scott says a good test for jokes about a particular group is if ‚you want them to laugh at it and appreciate it the most’“. Das wäre ein schöner Standard, der etwa bei Martin Sonneborns jüngstem Aufreger (siehe oben) schon gegriffen hätte. Er bedeutet eben nicht, dass man über Minderheiten keine Witze machen darf.

Schau-Tipp: Open Mic

Stand-up comic Harrison Thomas

Der US-amerikanische Comedian Harrison Thomas hatOpen Mic gedreht, einen Kurz-Kurzfilm über den ersten Auftritt eines Comedians, der dann… nun, ja, nur so viel: Ich frage mich, warum das eigentlich nicht häufiger passiert. >>> Hier geht’s zum Video

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